Islam und Terror Die unheilige Allianz
Seit Jahrzehnten analysiert Peter Heine die Entwicklung des islamischen Terrorismus, mit dem Europa nun in voller Wucht konfrontiert ist.
Für Europa ist der islamistische Extremismus zu einer Schicksalsfrage geworden. Der Terror ist eine ständige Bedrohung, im Syrien-Krieg wird der Kampf gegen den Islamischen Staat mit europäischer Unterstützung geführt. Bleibt dies der entscheidende Konflikt in den kommenden Jahren?
Peter Heine: Ich glaube schon, dass diese Auseinandersetzung für die nächsten zehn Jahre einer der bestimmenden Konflikte bleiben wird. Das hängt noch immer mit der Auflösung der Blöcke zusammen. Bis dahin waren die Machtverhältnisse geklärt. Dieses Gleichgewicht hat sich durch die Wende 1989/90 aufgelöst. Lange Zeit – für die USA gilt das immer noch – gab es keinen Plan für den Umgang mit der neuen Situation. Da sind schlimme Fehler gemacht worden, wie bei der Invasion im Irak 2003 bar jeder Kenntnis der Verhältnisse vor Ort. Es ist anschließend leider nicht besser geworden.
Frankreich und Belgien sprechen vom Krieg gegen den Terror – wie die USA nach dem 11. September. Teilen Sie diese Wortwahl für Deutschland?
Nein. In Deutschland stehen die muslimischen Minderheiten in einem ganz anderen gesellschaftlichen und religiösen Kontext. Die Akteure in Belgien und Frankreich waren allesamt nordafrikanische Muslime, zum Teil aus der dritten Einwanderergeneration. Die Radikalisierung hängt in Frankreich mit Kolonialgeschichte und Entkolonialisierung zusammen, die dazu geführt haben, dass große Gruppen nordafrikanischer Migranten ins Land gekommen sind. Die französische Politik hat sich über Jahrzehnte überhaupt nicht dafür interessiert, was in den Vorstädten passiert.
Doch, der damalige Innenminister Nicolas Sarkozy wollte 2005 nach gewaltsamen Unruhen mit dem Kärcher durch die Banlieus gehen.
Das will ich nicht kommentieren – aber „gekärchert“ hat er nicht. Religionspolitik in Frankreich ist beim Innenministerium angesiedelt und wird immer unter dem Gesichtspunkt der Sicherheit gesehen. Es gab nie eine echte Integrationspolitik. Frankreich steckt in einer Wirtschaftskrise. Es herrscht unter den jungen Migranten das tiefe Gefühl, nicht erwünscht zu sein. Das führt zu entsprechenden Reaktionen. Zur Vorgeschichte gehört, dass seit dem verlorenen Junikrieg der Araber gegen Israel 1967 arabischer Nationalismus als nutzlos angesehen worden ist. Die Folge war die Re-Islamisierung als Basis für die Radikalisierung.
Und Belgien?
Dorthin sind, wie auch in die Niederlande, ebenfalls nordafrikanische Migranten eingewandert. Die belgische Politik zeichnet sich durch ein hohes Maß an Anarchie aus. Die Anschläge sind auch das Ergebnis der fehlenden staatlichen Struktur.
Wie ist die Situation in Deutschland?
Wir haben bei den muslimischen Einwanderern bislang vergleichsweise wenige Nordafrikaner. Die Mehrzahl kommt aus der Türkei ...
... um hier zu arbeiten ...
... und ist in der Bundesrepublik lange nicht als Muslime wahrgenommen worden. Viele waren keine sunnitischen Muslime, sondern Kurden und Aleviten. Um eine Moschee zu gründen, mussten nach hiesigem Recht erst einmal Vereine geschaffen werden. So wurden sie automatisch in ein deutsches System eingebunden. Dann hat sich die staatliche türkische Religionsbehörde eingeschaltet, die Moscheen übernommen und Imame entsandt. Aber an Radikalismus besteht kein Interesse, eher daran, die Verbindungen zur Türkei zu pflegen. Ob das vernünftig ist, sei dahingestellt, aber diese Struktur erfasst zumindest einen großen Teil der türkischen Gemeinschaft.
Von Rechtspopulisten in Europa kommt der Vorwurf, dass durch fanatische junge Männer unter den Flüchtlingen der Terror importiert wird. Wie ist Ihre Meinung?
Es ist ein zentrales Problem, dass überwiegend junge Männer kommen. Ein großer Teil wird wieder zurückgehen, denke ich. Es ist nicht ausgeschlossen, dass unter den Ankommenden radikale Muslime sind. Die Sicherheitsorgane müssen Extremisten herausfinden. Dazu muss man erstmal genau wissen, wer überhaupt im Land ist. Syrien hatte bis vor wenigen Jahren 15 Prozent Christen und 10 bis 12 Prozent Aleviten. Ein Viertel der Bevölkerung waren keine sunnitischen Muslime, gehörten also nicht zu dem Kreis, aus dem Terroristen rekrutiert werden. Hinzu kommt die ethnische Vielfalt. Syrien hatte bis zum Arabischen Frühling 2011 zwar die erzkonservative Gruppe der Muslimbrüder, aber die stand voll unter Kontrolle. Jetzt liefern die konservativen und letztlich islamistischen Länder – wie vor allem Saudi-Arabien und Katar – nicht nur Waffen, sondern verbreiten auch ihre reaktionäre Form des wahabitischen Islams.
Selbstmordattentäter werden zu muslimischen Märtyrern, ihnen verheißt man eine goldige Zukunft im Jenseits. Alles vage Versprechungen – warum sind so viele junge Muslime dafür empfänglich?
Viele dieser Attentäter waren einmal kleine Gangster. Sie erleben häufig eine Art religiöse Erweckung. Diese verschiedenen Formen des radikalen Islam zeichnen sich vor allem durch inhaltliche Einfachheit aus. Das ist einer der Gründe dafür, dass die Täter von muslimischen Rechtsgelehrten, die sie von Attentaten abhalten könnten, nicht erreicht werden. Denn Islam ist nicht gleich Terrorismus: Vieles bei uns – von Musikinstrumenten über Mathematik bis zur Medizin – sind Erfindungen und Erkenntnisse der islamischen Welt.
Zu den besseren Nachrichten gehört, dass der Islamische Staat an Boden verliert, zudem gibt es ernsthafte Friedensbemühungen für Syrien. Sehen Sie am Horizont eine Lösung?
Der zentrale Punkt ist, dass der Islamische Staat in wirtschaftlichen Schwierigkeiten steckt. Grund sind etwa sinkende Öleinnahmen. Die Finanzierung des Kampfes fällt immer schwerer. Wie die Bezahlung der nordafrikanischen Söldner, die mit 1500 Dollar im Monat vergleichsweise hervorragend verdienen. Im Irak hat der IS zudem so unklug operiert, dass sich die sunnitischen Stämme von ihm abgewandt haben.
Jetzt kann man nur hoffen, dass sich die schiitische Regierung im Irak nicht mit den Stämmen anlegt. Wenn es so weiter geht wie bisher, wird sich ein großer Teil der Kämpfer vom IS verabschieden. Die „Helden“ sind nach dortigem Verständnis die irakischen Araber, die ihren Mitkämpfern erst beibringen müssen, wie man vernünftig betet. Insgesamt bin ich gedämpft optimistisch, dass der IS weiter an Boden verliert.
Eine der Hauptstreitfragen zwischen dem Westen und Russland ist die Zukunft von Präsident Assad, der jetzt Parlamentswahlen anberaumt hat. Hat er eine?
Wenn Assad weg ist, wer soll an seine Stelle treten? In der syrischen Opposition sehe ich niemanden, der in der Lage ist, das Regime zu ersetzen. Es werden letztlich Militärs sein müssen, die das Land unter ihre Kontrolle bringen und eine Ideologie entwickeln. Nur so lässt sich ein heterogenes Land wie Syrien beherrschen.
Und was ist mit Assad?
Irgendwann wird er in ein Flugzeug gesetzt und auf die Krim oder sonstwohin geflogen.
Wird bei einer Friedenslösung der Staat Syrien in seinen bisherigen Grenzen bestehen bleiben?
Ich glaube schon. Zu Großsyrien gehören noch Libanon und Palästina. Da werden schon die Israelis aufpassen, dass nichts anbrennt. Am vernünftigsten wäre, wenn Russen und Amerikaner mit Verbündeten mit Militär nach Syrien hineingingen, dort zehn Jahre blieben und versuchen würden, tragfähige Struktur aufzubauen. Die Chancen wären besser als in Afghanistan. Aleviten, Kurden und Christen sollten sich auf ihren Ebenen selbst organisieren und miteinander kooperieren, die Großmächte hätten eine Art Polizeifunktion. Es muss deutlich werden, dass es vorteilhaft ist, in Frieden miteinander zu leben.
Im Irak gibt es, wie Sie bereits beklagt haben, üble Erfahrungen mit dem Sturz eines Potentaten ...
Dort ist alles grandios schiefgegangen nach dem Ende des Saddam-Regimes. Das darf nicht noch mal passieren. Die Kunst wird sein, Armee und Verwaltung in Syrien in einen neuen Staat zu integrieren. Und nicht wie im Irak alle Offiziere zu entlassen und sich dann zu wundern, wenn diese sich andere militärische Beschäftigung suchen.
Was hat der Westen insgesamt falsch gemacht in der Nahost-Politik?
Es gab eine völlige Fehleinschätzung des Arabischen Frühlings mit dem Ansatz, dass nun die Demokratie dort einziehen wird. Es ist passiert, was immer passiert: die jungen Leute haben aufbegehrt und sich nach den Erfolgen an der Anarchie begeistert. Aber das war völlig unpolitisch. Besonders gründlich danebengelaufen ist der Umbruch in Libyen und in Syrien. Ich vermute, dass in Syrien westliche politische Strategen gedacht haben: Jetzt kommen die Russen dort endlich in Schwierigkeiten und sind bald da weg. Jetzt sind sie dort stärker als je zuvor. Die USA hätten sagen müssen, dass die berühmte rote Linie überschritten ist und dort reingehen müssen. Das war in den USA politisch nicht durchzusetzen. Wenigstens hätte man dafür sorgen müssen, dass die Flüchtlinge im Libanon, in Jordanien und der Türkei bleiben und leben – und sei es nur auf einem Hartz-IV-Niveau. Versprochenes Geld ist nicht geflossen. Hilfsorganisationen legten Kindern in den Lagern Armreifen um und wenn diese hinunterfielen war die Todesgefahr so groß, dass man ihnen wieder etwas zu essen gab. Das ist doch unglaublich. Da darf man sich nicht wundern, dass diese Menschen irgendwann losrennen! Ich bin gespannt, wie viel von den zugesagten drei Milliarden Euro für die Türkei wirklich in den Lagern ankommen. Und was bekommen die Flüchtlinge im Libanon und in Jordanien?
Wird sich der Flüchtlingsdruck auf Europa durch die Abschottung verringern?
Wenn wir keine Alternativen für die Leute aufbauen, werden wir ein permanentes Problem haben.
Ist die von Kanzlerin Angela Merkel betriebene Politik der offenen Grenzen gescheitert?
Die Kanzlerin hätte sich auf jeden Fall über die Verteilung mit den europäischen Partnern absprechen müssen. Dann hätte sie gemerkt, dass das schwierig wird. So sympathisch mir dieser Ansatz als Mensch ist, so problematisch finde ich ihn als jemand, der sich in der Region auskennt. Ich weiß nicht, ob man das einen Fehler nennen kann, aber es war nicht politisch.
Ist es nicht verlogen, wenn Deutschland Fluchtursachen bekämpfen will und gleichzeitig Waffen an Saudi-Arabien liefert?
Saudi-Arabien ist in dieser Krise das gefährlichste Land. Finanziell stark und überall dort aktiv, wo der Islam ist. Durch moderne Medien, durch Prediger und durch das Geld. Wenn die Saudis irgendwo in Afrika ein Entwicklungsprojekt betreiben, wird nebenan eine Moschee gebaut und eine Koranschule. Das führt zu einer Vereinheitlichung des Islams in reaktionärem Sinne. Wirtschaftsminister Gabriel würde zu den Waffenlieferungen wohl sagen: Wir machen Realpolitik. Man kann aber nicht muslimische Extremisten bekämpfen und gleichzeitig die Quelle des Ganzen stärken.