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Diskussion Freiheitsglaube aus Diktatur-Kenntnis

Wie unterschiedliche Biografien die Sicht auf die DDR und das demokratische Deutschland prägen.

Von Steffen Honig 19.11.2015, 00:01

Magdeburg l Rainer Eppelmann möchte gern 93 Jahre alt werden. Dann, so rechnet er am Dienstag in der Magdeburger Staatskanzlei vor, hätte er ein Jahr länger in der Demokratie als in der von ihm stets verabscheuten Diktatur gelebt.

Zur Wende, die der damalige Pfarrer politisch mitprägte, lagen 46 Lebensjahre hinter ihm. „Ich habe die DDR von der ersten bis zur letzten Minute miterlebt“, sagt der Berliner.

Er fragt, wie das wohl mit denen sei, die im Gegensatz zu ihm nur Demokratie kennen – also den Westdeutschen. Für ihn sind die Deutschen „ein Gemisch von Staatsbürgern, die sehr unterschiedliche Leben gelebt haben“.

Sicher sei die Demokratie kein Schlaraffenland, aber „wir können uns einmischen und keiner sagt mehr: Folgen Sie mir mal.“

Sein Lebensweg in der DDR habe, geprägt vom Elternhaus, immer im Widerspruch zu den Systemvorgaben gestanden. Eppelmann war kein Pionier, nicht in der FDJ, hatte Konfirmation statt Jugendweihe, diente als Bausoldat und landete im Knast, weil er zu seiner pazifistischen Meinung stand. Er sei den Eltern dankbar, dass er nicht dazugehören sollte: „Der bequemste Weg muss nicht immer der beste sein.“

Mit dem 17. Juni 1953, dem Volksaufstand in der DDR, und dem 13. August 1961, dem Tag des Mauerbaus, nennt er Schlüsseldaten der DDR-Entwicklung, die den Menschen die Augen geöffnet hätten. 1953 mussten sie, die nie wieder Krieg und Diktatur wollten, erkennen, dass sie doch nur Untertanen im preußischen Sinne waren. Und mit dem Mauerbau seien sie „offiziell zu Leibeigenen erklärt worden“.

Birgit Neumann-Becker freut sich darauf, dass sich ihr Arbeitsfeld demnächst von der „Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR“ um die Aufarbeitung der SED-Diktatur des Landes erweitern wird. Sie, die den Umbruch als 17-Jährige miterlebte, erklärt voller Überzeugung: „Es ist schön, dass die DDR ,ehemalig‘ ist.“ Sie sei gedemütigt worden, weil sie den Aufnäher „Schwerter zu Pflugscharen“ getragen habe und politisch wider den Stachel löckte. Noch immer beschäftigt Neumann-Becker, weshalb die anderen in ihrer Klasse nicht gesagt hätten, dass Menschen in der DDR ihre Rechte aufgegeben hätten.

Auch wenn heute die Arbeit US-Nachrichtendienstes NSA umstritten sei – eine Gleichsetzung von NSA und Stasi hält die Landesbauftragte für „nicht sinnvoll“. Das Ziel sei nicht die Datensammlung gwesen, die Staatssicherheit hätte Informationen gesammelt, um Menschen verfolgen zu können.

Rainer Eppelmann sieht das ähnlich: Ein Geheimdienst könne Diener des Staates sein oder wie die Stasi in der DDR ein Staat im Staate, der anständige Leute kaputt gemacht habe.

„Differenziert“ betrachtet Harald von Bose, Landesdatenschutzbeauftragter von Sachsen-Anhalt, Geheimdiensttätigkeiten – auch die Enthüllungen über die NSA und den BND. Die Stasi habe Leben zerstört und Menschen wehgetan.

Daten zu sammeln wie die NSA tue zwar nicht weh, aber im Übermaß betrieben, kollidiere dies mit der Rechtsstaatlichkeit. Von Bose verweist zudem auf das jüngste Safe-Harbor-Urteil des Europäischen Gerichtshofes, nach dem die USA keinen sicheren Datenhafen darstellen.

„In der Demokratie dürfen Geheimdienste nicht völlig geheim bleiben.“ In der EU werde daher etwa versucht, ein neues Datenschutzrecht zu schaffen. Von Bose mahnt gleichzeitig an, bei jüngeren Menschen im Sinne der Demokratie mehr politisches Interesse zu wecken. „Wir müssen sie zu politischem Mitmachen ertüchtigen.“