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DNA In 20 Jahren führten 8600 Spuren zum Täter

Seit Einführung der gemeinsamen DNA-Analyse-Datenbank haben in Sachsen-Anhalt 8600 biologische Spuren zu einem Verdächtigen geführt.

Von Matthias Fricke 24.06.2018, 01:01

Magdeburg l Die Sprengstoff­experten haben die Hülle des selbstgebastelten Sprengsatzes bereits untersucht, nun sind die Gen-Kommissare des Landeskriminalamtes an der Reihe: Uta Pich und ihr Team untersuchen das am 8. Juli 2017 vor einer Dienststelle der Polizei im Magdeburger Stadtteil Stadtfeld abgelegte Paket auf DNA. Unter dem Mikroskop sieht sich die biologische Sachverständige Andrea Wächter die Spuren an.

Schließlich wird sie an einer Stelle fündig und sichert am Ende eine winzige Spur, die am Ende nur ein paar billionstel Gramm schwer sein dürfte. „Für eine erfolgreiche Untersuchung benötigen wir in der Regel nur wenige Hautzellen. Die Technik ist da heute schon sehr weit“, erklärt die Expertin.

Was dann folgt, ist eine mühselige Sisyphusarbeit. Die biologische Spur wird isoliert und die Erbinformationen aus der Zelle in einem komplizierten Verfahren „ausgelesen“.

Am Ende steht für die Experten das unverwechselbare Muster der DNA fest, das in die DNA-Analyse-Datenbank des Bundeskriminalamts eingespeist wird. Was dann folgt, ist ein Glücksfall. Einer von 8600 in den vergangenen 20 Jahren. Die Datenbank meldet einen Treffer.

Weil der mutmaßliche Täter bereits wegen einer anderen Straftat seine DNA abgeben musste, spuckt der Rechner eine Personenspur aus. Sie führt zu einem 25-jährigen Verdächtigen aus Magdeburg. Mit einem richterlichen Beschluss aufgrund der neuen Erkenntnisse durchsuchen die Ermittler des Staatsschutzes die Wohnung des jungen Mannes. Er kommt zwischenzeitlich in Untersuchungshaft.

„Die Ermittlungen zu dem Fall sind noch nicht abgeschlossen“, erklärt LKA-Sprecher Andreas von Koss. Beschuldigt ist der junge Mann wegen des Verdachts der versuchten Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion.

Für die Gen-Detektive ist es einer von jährlich 5500 Untersuchungsaufträgen der Ermittlungsbehörden im Land, bei denen sie 18 700 Spuren auswerten. Insgesamt kommen dabei 32.500 DNA-Proben zusammen. Da nicht alle davon im LKA untersucht werden können, wird ein Teil Fremdlaboren vergeben.

Der Zeitdruck auf die Sachverständigen ist entsprechend groß. Jeder Kriminalist möchte für seinen Fall wissen, welcher Verdächtige für das jeweilige Verbrechen in Frage kommt. Doch die DNA-Analyse dauert, mindestens 24 Stunden. Und da ist die Untersuchung der Spurenträger noch nicht einberechnet.

Laborchefin Pich: „Mit Beprobung und Auswertung dauert die Analyse in der Regel eher mehrere Tage oder Wochen. So wie es in den amerikanischen Spielfilmen suggeriert wird, dass per Knopfdruck die Analyse da ist, so funktioniert die Realität nicht.“

Es gibt deshalb eine Prioritätenliste. „Vor allem Kapitalverbrechen und Haftsachen werden vorgezogen“, erklärt die Labor-Leiterin.

Die Aufklärung einer Vergewaltigungsserie in Magdeburg innerhalb kurzer Zeit ist dafür ein Beispiel: Im Oktober 2015 wurden vier Frauen von zwei Unbekannten vergewaltigt bzw. sexuell missbraucht. Die Polizei hatte damals bei den Opfern biologische Spuren der Täter sicherstellen können.

Kurze Zeit später nahm die Polizei zwei Verdächtige, einen damals 31-jährigen Afghanen und einen 19-jährigen Landsmann fest. „Wir konnten zunächst anhand der DNA-Analysen klären, dass die vier Fälle zusammengehören“, erklärt Andrea Wächter. Mit den Ergebnissen der Analyse konnte dann auch ein Zusammenhang zwischen den Verdächtigen und den Sexualverbrechen hergestellt werden. Das reichte für einen Haftbefehl.

Am Ende legte der 31-jährige Hauptangeklagte vor Gericht ein umfassendes Geständnis ab. Für die vier sexuellen Übergriffe auf Frauen wurde er zu acht Jahren Haft verurteilt. Sein 19-jähriger afghanischer Mitangeklagter wurde wegen versuchter sexueller Nötigung zu zwei Jahren und neun Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. In der Regel dauert die Sicherung und Auswertung der Spuren aber mehrere Tage.

Biologin Wächter: „Je umfänglicher eine Spur ist, desto länger dauert es.“ Im Schnitt müssen die Mitarbeiter im DNA-Labor pro Auftrag drei bis vier Spuren untersuchen.

„Jeder von uns ist deshalb für einen bestimmten Bereich spezialisiert“, erklärt Laborchefin Pich. So gibt es sogar eine Sachverständige extra für Haare. Die mikroskopische Analyse dafür ist besonders aufwändig. Durchschnittlich nur jedes zehnte Haar führe zu einem Treffer.

Doch die Technik und die Methoden werden immer besser. Aber auch die quantitativen Anforderungen nehmen zu. „In den vergangenen Jahren gab es regelmäßig einen Zuwachs an Untersuchungsaufträgen“, erklärt Pich. Im Jahr 2005 hatten die Magdeburger Gen-Detektive noch 2000 Fälle auf dem Tisch. Inzwischen sind es 5500.

Die Alltagsarbeit machen nicht immer Kapitalverbrechen aus. Auch bei Einbrüchen werden vermehrt biologische Spuren gesichert. Die DNA-Analyse habe inzwischen fast den Stellenwert der Daktyloskopie (Wissenschaft vom Vergleich von Fingerabdrücken) erreicht. Pro Jahr werden in der Datenbank „AFIS“ (Automatisiertes Fingerabdruck-Identifizierungs-System) mehr als 24.000 Spurenverursacher vom BKA und den Landeskriminal­ämtern identifiziert.

Beide Mittel sind für die Kriminalisten aus der täglichen Arbeit nicht wegzudenken, meint auch der Landesvorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK) Peter Alexander Meißner: „Mit diesen Methoden können wir inzwischen auch ältere Fälle nach zig Jahren noch mal neu aufrollen. Es reicht da eine eingeschweißte Asservate.“

Allerdings seien die rechtlichen Möglichkeiten, solchen Spuren nachzugehen, sehr begrenzt. „Für jede Untersuchung benötigt man in diesem Bereich einen richterlichen Beschluss“, sagt der Ermittler. Der Umgang mit Fingerabdrücken sei hingegen historisch gewachsen und damit einfacher.

Verbessert ist hingegen die europäische Zusammenarbeit. Nach dem Vertrag von Prüm (Rheinland-Pfalz) gibt es inzwischen eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit mit 20 Ländern. Weitere kommen hinzu.

Meißner kennt aber auch die Tücken der DNA-Analyse: „Es erfordert vor allem professionelle und saubere Arbeit beim Sichern der Spuren, sonst kann es schnell zu Fehlern kommen.“ Und auch Laborchefin Uta Pich muss die Erwartungen der Ermittler oft bremsen: „Nicht in allen Fällen führt eine DNA-Untersuchung auch tatsächlich zu einem Täter.“

Der Kommentar zum Thema von Matthias Fricke.