Ministerium widerspricht Zahlen / GEW fordert 600 Neueinstellungen für Lehrer pro Jahr Eine Million Schulstunden nicht nach Plan
Unterrichtsausfall und eine überalterte Lehrerschaft - wie geht es weiter an Sachsen-Anhalts Schulen? Die Einschätzung der Gewerkschaft GEW: Ohne viel mehr Neueinstellungen ist der Unterrichtsbetrieb in Gefahr.
Magdeburg l Die Bildungsgewerkschaft Erziehung und Wissenschaften (GEW) hat gestern in Magdeburg eine Statistik zum Unterrichtsausfall an Sachsen-Anhalts Schulen vorgestellt. Demnach werden zehn Prozent der Schulstunden nicht nach Plan gegeben - das entspricht mehr als einer Million Unterrichtsstunden. Diese Zahl umfasst auch erheblichen Unterrichtsausfall aus Krankheitsgründen - zwischen 5,5 Prozent an Grundschulen und Gymnasien und 8,5 Prozent an Förderschulen (siehe Grafik). "Die immer wieder eingeforderte Qualität schulischer Bildung ist in allen Schulformen gefährdet", resümierte Sachsen-Anhalts GEW-Vorsitzender Thomas Lippmann.
Die Ursachen für den krankheitsbedingten Ausfall lägen vor allem an steigenden Anforderungen und an der Überalterung des Lehrpersonals, so der Gewerkschafter. Statistisch gesehen gebe es derzeit pro Schule nur einen Lehrer unter 40 Jahren, kommentierte Lippmann die Zahlen, die nach Aussage des GEW-Vorsitzenden aus den Daten der Landesverwaltung zusammengestellt wurden. Besonders deutlich wird die Überalterung der Lehrerschaft beim Vergleich mit den Zahlen von 1998. Lippmann sagte: "Natürlich brauchen wir an den Schulen auch erfahrene Kollegen. Aber es ist nicht allein wegen längerer Krankheitszeiten, sondern auch aus pädagogischen Gründen wichtig, junge Lehrer an die Schulen zu holen."
Den einzigen Weg, dem Dilemma zu begegnen, sieht die GEW im massiven Ausbau der Neueinstellungen: Statt rund 200 Lehrer im Jahr müssten 600 ausgebildet und eingestellt werden.
Die Landesregierung widerspricht der GEW. Denn ohne Vertretung und ersatzlos ausgefallen seien im vergangenen Jahr nur 202 000 Stunden. Das entspreche einer Quote von 1,8 Prozent. Zudem gebe es mit einer 105,2-prozentigen Unterrichtsversorgung ausreichend Reserven für die Vertretung. Allerdings - kritisiert die GEW - würden vielerorts Klassen kurzerhand zusammengelegt oder von pädagogischen Mitarbeitern anstelle von Lehrern unterrichtet - und dies sei kaum ein gleichwertiger Ersatz für Fachlehrer.
Der Krankenstand ist indes durchaus Thema für die Regierung. "Das Kultusministerium nimmt die gesundheitlichen Belastungen im Lehrerberuf sehr ernst und bietet verschiedene Maßnahmen zur Linderung dieser Belastungen", sagte Kultusstaatssekretär Jan Hofmann. Gerade erst habe das Landesinstitut für Lehrerbildung begonnen, ein Programm zum Gesundheitsmanagement für Lehrkräfte, pädagogische Mitarbeiter und schulische Führungskräfte zu entwickeln.
Matthias Höhn, Landesvorsitzender der Linken, fordert von der Landesregierung indes wie die GEW mehr Einstellungen und mehr Plätze in den Lehrerseminaren - aber auch eine "multiprofessionelle Ausstattung" der Schulen - was beispielsweise die Sicherung und den Ausbau der Schulsozialarbeit im Land umfasst. Claudia Dalbert, Grünen-Fraktionschefin im Landtag, sieht derweil die Reform der Schulen in Gefahr: "Wir müssen uns nicht über Schulstruktur, Inklusion oder Leistungsdefizite unterhalten, wenn die Basis - der Unterricht - fehlt." Seite 5