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Fachwerksanierung Im Kampf gegen Schwamm und Leerstand

Die Zeit der verfallenen Fachwerkstädte in Sachsen-Anhalt ist vorbei. Problemhäuser gibt es trotzdem noch, Fachleute sind gefragt.

Von Jörn Wegner 18.12.2016, 00:01

Blankenburg l Unscheinbar wirkt die Baustelle am Kleinen Schloss in Blankenburg: Ein Gerüst, dahinter jede Menge dunkles und helles Holz. Der von seinen Außenwänden fast befreite Anbau des Schlosses ist in seinen Konturen nur noch zu erahnen. Wer näher an die Baustelle tritt, erkennt mehr: Grob zusammengenagelte Nadelholzbretter, ein rustikales Gerüst aus hellem Eichenholz im unteren Geschoss, halbverrottete dunkelgraue Balken oben.

Mario Giesecke, Sebastian Weber und André Haake sanieren das Fachwerkgebäude aus dem 18. Jahrhundert. Für die Zimmermänner kein leichtes Unterfangen, denn das Fachwerk, die Stütze des Hauses, muss komplett ausgetauscht werden. Feuchtigkeit, Stümperei bei vorherigen Reparaturen und der Zahn der Zeit haben dem Gebäude zugesetzt.

Die Baustelle zeigt die Bandbreite der Fachwerkproblematik. Sanierungsfehler verzeiht die Substanz nicht. „Bei früheren Reparaturen wurde oft Nadelholz eingesetzt. Aber das verwittert zu schnell“, erklärt Polier André Haake. Heute schreibt der Denkmalschutz stabiles und trockenes Eichenholz vor. Das kann Jahrhunderte überstehen, wenn auch sonst fachgerecht saniert wird. Zement zum Beispiel ist ein Tabu im Fachwerkhaus, ist aber oft Überbleibsel unsachgemäßer Sanierungen. Er verträgt sich nicht mit der Gerbsäure des Eichenholzes, erklärt Haake. Der historische Baustoff Kalkputz ist daher das Mittel der Wahl.

Haake hat Jahrzehnte Erfahrung in der Fachwerksanierung. Vor 35 Jahren hat er in Quedlinburg Zimmerer gelernt. In der heutigen Welterbestadt arbeitete damals einer der vier Betriebe für Denkmalpflege in der DDR. 1978 wurden die Einrichtungen gegründet, um den Verfall alter Gebäude zu stoppen. Die dortigen Handwerker erhielten eine spezielle Ausbildung.

Quedlinburg ist bis heute ein Zentrum der Fachwerksanierung. Nach der Wende konnten einige Mitarbeiter den ehemaligen VEB der Treuhand abkaufen und wandelten ihn in die Werkstätten für Denkmalpflege um. Die rund 100 Mitarbeiter sind bis heute gefragte Fachleute.

Am Blankenburger Schloss setzen die Quedlinburger ihr Spezialwissen ein. Bevor die Sanierung überhaupt beginnen kann, müssen die Zimmerer Mario Giesecke und Sebastian Weber ein provisorisches Stützwerk einbauen. Denn das Fachwerk ist nicht nur schön anzusehen, sondern ist das tragende Gerüst des Hauses. „Aussteifung“ heißt das chaotisch anmutende Gebilde aus Brettern und ist eine echte Herausforderung, erklärt André Haake. „Weil es über drei Etagen geht.“

Erst dann können Weber und Giesecke verwitterte Balken entfernen und durch neue ersetzen. Dabei wird die historische Geometrie exakt beibehalten. Die kann in Sachsen-Anhalt durchaus kompliziert sein. Denn das im Land vorherrschende niedersächsische Fachwerk zeichnet sich durch Verzierungen und Formenvielfalt aus. Statt mit Nägeln arbeiten die Zimmerer wie in vergangenen Zeiten mit Zapfen – eine aufwendige Technik.

Ein Gang durch den Schlossanbau in Blankenburg zeigt, was die Zimmerer noch erwartet: Balken, die von innen stabil wirken, sind von außen völlig verwittert. Von den Decken hängen die Strohputzbrocken herab, der alte Dielenboden ist an vielen Stellen durch einfache Bretter ersetzt.

Sachsen-Anhalt sei ein bedeutendes Fachwerk-Land, sagt Manfred Gerner, Präsident der Arbeitsgemeinschaft Deutsche Fachwerkstädte. Rund 130 Orte sind in dem Verband organisiert, der sich selbst als Lobby für das Fachwerk bezeichnet. Herausragend in Sachsen-Anhalt sei natürlich die Welterbestadt Quedlinburg, aber auch Wernigerode, Halberstadt, Stolberg, Stendal und Tangermünde. Und Osterwieck, das Vorharzstädtchen sei von ganz besonderer Bedeutung, sagt Gerner.

Touristen, die ihre Tage in Wernigerode oder Goslar verbringen, finden jedoch selten in die Kleinstadt am Fallstein. Dabei könnten sie in Osterwieck ein zusammenhängendes Fachwerkensemble bewundern. „Einmalig schön“ sei das, sagt Osterwiecks Bürgermeisterin Ingeborg Wagenführ (Buko).

Dabei zeigte sich die Innenstadt noch vor einem Vierteljahrhundert desolat. Gebäude waren ganz oder teilweise eingestürzt, gewohnt wurde in neu gebauten Siedlungen. Heute ist das anders. „Die Fachwerksanierung in Osterwieck ist eine Erfolgsgeschichte“, sagt Wagenführ.

Trotzdem, der jüngste Einsturz eines Gebäudes ist erst ein gutes Jahr her. Es war ein typisches Beispiel für Problemhäuser in Osterwieck und anderswo, der Eigentümer war nicht ausfindig zu machen. Und wenn die Besitzer doch zu ermitteln sind, bleiben Schwierigkeiten. „Die Eigentümer schaffen es einfach nicht“, sagt die Bürgermeisterin. Ihnen fehle das Geld und oft auch die Kraft. „Wir versuchen solche Häuser aufzukaufen, meistens für einen Euro.“ Dann wird saniert oder zumindest die Substanz gesichert.

Die Bilanz der Kleinstadt ist beeindruckend: 77 Mal wurden in den vergangenen 25 Jahren Gebäude grundlegend saniert. 1991 wurde ein Kostenaufwand von 125 Millionen Mark geschätzt, bis heute hat die Sanierung nur die Hälfte gekostet.

„Osterwieck ist ein leuchtender Name“, sagt Manfred Gerner. Wenn aus der Stadt berichtet wird, dass wieder vermehrt Menschen in einst leerstehende Fachwerkgebäude ziehen, ist das für den Fachwerk-Verband eine gute Nachricht. Dass viele Fachwerkstädte kleinere Orte sind, bringe Probleme mit sich, sagt Gerner. Denn die Magnetwirkung der Großstädte habe zur Folge, dass das Kleinstadt-Fachwerk leersteht. Die Konsequenz: Feuchtigkeit greift die unbeheizten Häuser an, regelmäßige Pflege findet nicht mehr statt.

Der Verband organisiert daher Projekte, die oft keinen direkten Bezug zum Fachwerk haben. Zum Beispiel im Bereich Migration. „Flüchtlinge sollen Fachwerk-Bürger werden“, erklärt Gerner. Die Arbeitsgemeinschaft bemüht sich, Migranten in Vereine zu integrieren und ihnen die typisch europäische Bauart näherzubringen. Das Ziel sei es, so Gerner, die Geflüchteten in den Kleinstädten zu halten, sie zu Bewohnern und vielleicht sogar Liebhabern der alten Gebäude zu machen. Dass die Häuser nicht leerstehen, ist wichtig, sagt auch André Haake. „Wenn ein Haus nicht bewohnt ist, ist es tot.“ Besonders problematische Baustellen hatte er in Orten, in denen die Bevölkerung schwindet. „Schlimm ist es da, wo keine Jugend mehr ist“, so der Polier.

Bei allen Schwierigkeiten, die die verfallenen Fachwerk-Innenstädte hinterlassen haben, sei die Sanierungssituation im Osten besser als im Westen, sagt Manfred Gerner. War das Fachwerk in den neuen Bundesländern weitgehend sich selbst überlassen, wurde es im Westen vielerorts kaputtsaniert. Dampfsperren, Fassadenverblendungen und unsachgemäße Sanierungen aus den 70er und 80er Jahren hätten große Probleme hinterlassen.

Trotzdem schreitet die Fachwerksanierung voran. Ob Osterwieck irgendwann durchsaniert ist? „Auf jeden Fall“, sagt Bürgermeisterin Wagenführ.