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Fall Güssau Koalitionsgespräche im Keller

Beim Krisentreffen in der Staatskanzlei haben die Spitzen von CDU, SPD und Grünen Klartext geredet. Die Koalition wankt.

09.08.2016, 23:01

Magdeburg l Eng stecken sie ihre Köpfe zusammen. Die Mienen sind ernst. Sie sprechen im Flüsterton. Dennoch fallen deutliche Worte zwischen den Fraktionschefs Siegfried Borgwardt (CDU), Katja Pähle (SPD) und Cornelia Lüddemann (Grüne). Eigentlich sind die Spitzenvertreter der Koalition erst in 25 Minuten miteinander verabredet. Dann wollen sie im Koalitionsausschuss zusammenkommen, um über Landtagspräsident Hardy Peter Güssau (CDU) und dessen Rolle in der Stendaler Wahlaffäre zu sprechen. Doch es gibt reichlich Klärungsbedarf. Die Sitzung muss vorbereitet werden. Im kleinen Kreis. Es ist nicht die einzige Runde an diesem Dienstagmorgen.

Schon vorher haben SPD-Landeschef Burkhard Lischka, die Minister, Staatssekretäre und die Fraktionsspitze der SPD bei einem Sondertreffen ihre Linie abgesteckt: So geht es nicht weiter. Kurz bevor der Koalitionsausschuss beginnt, stimmen sie sich noch einmal mit Lüddemann an einem Seiteneingang der Staatskanzlei ab. Dann gehen alle in den Keller.

Die Runde trifft sich nicht im repräsentativen Kabinettssaal, in dem Wände und Decke schön verziert sind. Getagt wird im Besprechungsraum U16. Der ist in schlichtem weiß gehalten. Keine Ledersessel, sondern robuste Tische mit einfachen Stühlen. Durch die Jalousien fällt nur wenig Tageslicht herein. Die Bürolampen sorgen für eine kühle Atmosphäre. Der Raum passt zum Großreinemachen, das heute angesagt ist.

Als die schweren, dunkelbraunen Holztüren geschlossen werden, rechnen viele mit einer langen Sitzung. Doch schon nach 69 Minuten ist das Krisengespräch beendet. Was folgt, ist ein bemerkenswerter Auftritt von Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) und SPD-Chef Lischka. Es sagt viel über den Zustand der Kenia-Koalition aus, wie sie vor die Presse treten. Nur eine Woche nach der 100-Tage-Feier steht die Koalition auf der Kippe.

Haseloff ergreift zuerst das Wort. „Der Landesvorsitzende der CDU“ werde eine Liste mit 14 Fragen „an das Parteimitglied Güssau“ schicken, „mit der Bitte, diese Fragen bis zum Wochenende zu beantworten“, sagt Haseloff. Die CDU wolle so zur „Aufklärung der Gesamtsituation“ beitragen.

Nun also doch. Nachdem die CDU-Fraktion Güssau am Donnerstag noch demonstrativ das Vertrauen ausgesprochen hatte, werden die Zweifel jetzt ausgesprochen. Die wenig überzeugenden Auftritte Güssaus vor den Landtagsfraktionen und den Medien haben Spuren hinterlassen. Die kritischen Stimmen in der CDU werden lauter. Deshalb kommt auch Landeschef Webel nicht umhin, zu sagen: „Ich denke, wir sollten dem Landtagspräsidenten diese Woche Zeit lassen, die Fragen umfassend zu beantworten.“ Von Worten der Rückendeckung, wie sie Webel noch am Montag äußerte, keine Spur mehr.

Doch Lischka reicht das nicht. Ein „wichtiger Zwischenschritt“ sei das vereinbarte Vorgehen, sagt der Mann, der in den vergangenen Tagen den Rücktritt Güssaus gefordert hatte. Seine nächsten Sätze aber lassen die Miene von Reiner Haseloff einen Moment entgleiten. „Jede der drei Parteien steht in der Verpflichtung, eine Bewertung für sich vorzunehmen.“ Die SPD werde ein Abwahlverfahren „ernsthaft“ prüfen. „Wohlwissend um die Konsequenzen, die das hat.“

Damit droht Lischka erstmals mit dem Bruch der Koalition. Haseloff versucht sofort, Lischkas Worte zu relativieren. Man sei sich in der Koalition „einig“, dass die Stendaler Wahlaffäre und der Wirbel um Güssau „ursächlich gar nichts“ mit der aktuellen Landesregierung zu tun hätten, sagt Haseloff. „Dieses Thema darf die Arbeit in der Koalition nicht unmöglich machen. Wir haben das klare Ziel, diese Koalition fortzusetzen.“

Haseloff redet deutlich wie selten. Doch der Mann, der nach dem Krisengespräch den Ton angibt, ist Lischka. Er erlebe die Situation als „Belastung für die Koalition und das Land“, wiederholt er und fordert das Ende der „Hängepartie“ um Güssau.

„Aber es war auch klarer Konsens, dass es fatal wäre, wenn dieses Problem mit darüber entscheidet, was aus dieser Koalition und aus diesem Land wird“, schiebt Haseloff schnell hinterher. Von „hoher Verantwortung“, von einer „hochsensiblen Zeit“, in der sich die „politischen Gewichtungen in ganz Europa“ verschieben würden, spricht Haseloff. Der Regierungschef sendet ein unmissverständliches Signal an Hardy Peter Güssau: Er wird die mühsam ausverhandelte Koalition nicht für ihn opfern. Es gibt wichtigere Dinge als einen in die Stendaler Briefwahlaffäre verstrickten Politiker, der den Zeitpunkt zum Rücktritt verpasst hat. Das ist die Botschaft Haseloffs.

Doch wird die CDU den Worten des Ministerpräsidenten auch Taten folgen lassen? Wer legt ihm den Rücktritt nahe? Würde die Unions-Fraktion einen Abwahlantrag mittragen?

Lischka legt den Finger noch einmal in die Wunde der CDU. „Ich weiß, dass die Unterstützung eines Abwahlantrags bedeuten würde, dass diese Koalition auseinandergeht. Ich glaube, wir sollten bestimmte Optionen nicht verschweigen.“

Lischka kann mit Neuwahlen drohen, weil er weiß, dass die SPD in einer komfortablen Lage ist. Seine Partei dürfte dabei besser abschneiden als im März (10,6 Prozent) – während der CDU der Wahlskandal um Güssau anhaftet.

Der Druck auf die Union wächst damit weiter. Der Ältestenrat soll Güssaus Antworten nächste Woche bewerten und ein Votum abgeben, inwiefern diese zur Aufklärung beitragen. Angesichts der massiven Zweifel von SPD, Grünen, AfD und Linken an Güssau ist mit einem deutlichen Ergebnis zu rechnen. Grünen-Chef Christian Franke schickt schon mal klare Worte an den Landtagspräsidenten: „Wir legen Herrn Güssau sehr deutlich nahe, das Votum des Ältestenrates zu respektieren. Wir erwarten, dass er das sehr ernst nimmt.“