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Feuerwehr Schere zwischen Job und Einsatz

Freiwillige Feuerwehren in Sachsen-Anhalt versuchen mit Rendezvous-Alarmierungen gegenzusteuern.

Von Bernd Kaufholz 17.02.2020, 00:01

Magdeburg l Stell dir vor, die Sirene heult und im Spritzenfahrzeug bleiben Sitze frei, weil Feuerwehrleute ihren Arbeitsplatz nicht verlassen durften. Um nicht häufiger in solche Situation zu kommen, gebe es schon länger die sogenannte Rendezvous-Alarmierung, sagt Walter Metscher, Kreisbrandmeister im Jerichower Land. Ohne den „Trick“, dass mehrere Feuerwehren angefordert werden, könnte es sonst „schlecht aussehen“, befürchtet er.

„Seit der Wende reden wir über dieses Problem“, so der Chef von 1460 aktiven Feuerwehrleuten in 91 Ortsfeuerwehren. Es gebe zwar gute Ansätze, aber von einer Lösung sei man noch weit entfernt.

Erst kürzlich haben Ministerpräsident Reiner Haseloff und sein Innenressortchef, Holger Stahlknecht (beide CDU), mit den höchsten Wirtschaftsgremien Sachsen-Anhalts eine Absichtserklärung unterzeichnet. Darin wird bekräftigt, dass „Freiräume für die Feuerwehrleute“ zu schaffen sind, damit sie zu Einsätzen ausrücken und an Lehrgängen teilnehmen können.

Allerdings lehnen Haseloff und Stahlknecht eine gesetzliche Freistellungspflicht für die rund 38.000 Einsatzkräfte ab. Der Ministerpräsident: „Wenn wir das alles per Gesetz regeln müssten, dann ist das, was wir uns unter lebenswerter und solidarischer Gesellschaft verstehen an einem Kipppunkt.“

Kai Pluntke, sechs Jahre Kreisbrandmeister und heute Ordnungsamtsleiter in der Stadt Wanzleben-Börde, kennt das Einsatzproblem ebenfalls. „Damit Auswärtsarbeitende ihren Arbeitsplatz nicht verlassen müssen, helfen sich die Wehren gegenseitig. Kameraden aus A, die in B arbeiten verstärken bei Einsätzen Feuerwehrleute aus B und umgekehrt.“

Schlechte Erfahrung hat Pluntke mit dem Öffentlichen Dienst gemacht. „Man sollte denken, dass dort Kameraden die wenigsten Schwierigkeiten haben“, sagt er. Aber bei einem ihm bekannten Dienstherrn sei es inzwischen so, dass tagsüber die Einsatzbereitschaft der drei Feuerwehrkameraden nicht mehr gewährleistet sei.

Es nennt allerdings auch positive Beispiele. „Die Westfalen Flüssiggasanlage Wanzleben GmbH zum Beipsiel erhielt die Auszeichnung ,Partner der Feuerwehr‘“.

Werkleiter Sasche Müller spricht von einer Win-Win-Situation. „Es kann doch in jedem Betrieb ein Unglück geschehen. Dann ist man froh, wenn die Feuerwehr vollzählig anrückt.“ Darum sei es selbstverständlich für ihn, die zwei Werksmitarbeiter, die bei der Feuerwehr sind, zu unterstützen. „Natürlich bekommen sie auch frei, wenn sie zu Lehrgängen müssen.“

Nach stundenweisen Einsätzen rechne die Firma den Verdienstausfall nicht ab, obwohl das jedem Unternehmen laut Fuerwehrgesetz zustehe. „Zu aufwändig“, winkt er ab.

Kreisbrandmeister Metscher sieht in der Möglichkeit, dass Firmen für den Ausfall, der ihnen durch Einsätze von Mitarbeitern entstanden ist, entschädigt werden, einen guten Anreiz, Feuerwehrleute freizustellen. „Aber, wenn der Verlust über der angebotenen Pauschale liegt, ist der Aufwandsnachweis für viele Firmen zu groß“, weiß auch er. „Das könnte man möglicherweise über die Steuern regeln.“

Kai-Uwe Lohse, Chef des Landesfeuerwehrverbandes meint, dass Gespräche zwischen Wehrleitungen und Betrieben ein guter Weg für gegenseitiges Verständnis ist. Besonders für Arbeitgeber mit wenigen und spezialisierten Beschäftigten sei es nicht einfach, Kameraden freizustellen. Letztlich sei einigen das Hemd zwar näher als die Jacke, aber insgesamt gebe es doch sehr viele Arbeitgeber, die ein Herz für die Feuerwehr haben.

Lohse sieht auch die Feuerwehren in der Verantwortung. „Es kommt darauf an, dass der Einsatzleiter vor Ort entscheidet, wieviel Kräfte nötig sind und ob bei jedem umgestürzten Baum, jeder Ölspur der ganz große Ball getreten werden muss.“

Kai Pluntke ist sich sicher, dass es sich künftig noch mehr auszahlen wird, dass der Gesetzgeber beschlossen hat, bei Einstellungen in den öffentlichen Dienst von Städten und Gemeinden – zum Beispiel Bauhöfen – bei gleicher Eignung Feuerwehrkameraden zu bevorzugen.

„Diese Vorgehensweise sollte auf die Landkreise ausgeweitet werden“, sagt er.