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Fluchtgeschichte Hassan zwischen den Welten

Hassan Musavi ist von Afghanistan bis nach Magdeburg geflohen. Jetzt steht er vor der Abschiebung.

Von Steffen Honig 11.07.2017, 01:01

Magdeburg l Eine Drei-Raum-Wohnung in einem sanierten fünfgeschossigen Plattenbau in Magdeburg, oben unterm Dach. Seit einigen Monaten ist dies das Heim von Hassan Musavi. Der Afghane teilt sich die Wohnung mit einem Landsmann, die Miete zahlt das Sozialamt. „Schuhe ausziehen?“ „Ja, bitte – und dann dort ins Wohnzimmer, nehmen Sie Platz“, sagt Musawi auf Deutsch. Der Raum ist fein tapeziert und spärlich möbliert. „Einen Tee?“ „Vielen Dank“, sagt der Kaffeetrinker.

Musavi kam vor zwei Jahren als Flüchtling nach Deutschland. Er hat beim Integrationskurs Deutsch gelernt, doch für ein Interview fühlt er sich nicht gewappnet. Daher dolmetscht Marzieh Sadeghzadek, verheiratete Ecklebe. Sie ist gebürtige Iranerin, von Beruf OP-Schwester, lebt seit Jahren in Magdeburg und ist derzeit zur Betreuung ihres kleinen Sohnes zu Hause.

Ihr Mann und sie hätten Hassan als „vernünftigen Menschen“ kennengelernt und sich deshalb um ihn gekümmert – von Behörden-Anträgen bis zur Freizeitgestaltung. Das deutsch-iranische Paar lernte den Flüchtling über den Magdeburger Ringerverein MSV 90 kennen, in dem Sebastian Ecklebe selbst aktiv ist.

Rascher Seitenblick auf die Ohren Hassan Musavis. Richtig, es sind lädierte „Blumenkohlohren“, wie sie durch nicht ausgeheilte Blutergüsse bei der Kampfsportart Ringen entstehen. Hassan machte sich gut bei den Magdeburger Ringern. Es war für ihn die Gelegenheit, in die deutsche Gesellschaft einzutauchen und nicht nur daneben zu stehen.

Ein Zugehörigkeitsgefühl, das er nicht oft im Leben erfahren hat. Den Wechsel zwischen Ankunft und Abschied über Landesgrenzen hinweg kennt Hassan von Kindesbeinen an.

Der 21-Jährige stammt aus Baghlan in Nordafghanistan, gehört einer Minderheit der Volksgruppe der Hasara an. Sechs Kinder waren sie zu Hause, drei Brüder, drei Schwestern. Der Vater ist Bauer. Als Hassan vier Jahre alt war, floh er mit der Familie vor Krieg und Taliban-Gewalt in den nahen Iran. Sieben Jahre schlugen sich die Afghanen wie viele ihrer Landsleute im Nachbarland durch – dann kehrten sie in die Heimat zurück.

Die Macht der Taliban war zwar gebrochen, ein friedliches Land fanden die Heimkehrer aber nicht vor. Die Bedrohung blieb. So begann Hassan mit 16 Jahren seine große Reise in eine andere Welt, Tausende Kilometer von den kargen Bergen des Hindukusch entfernt. Er sollte es für sich und die Familie bis ins gelobte Europa schaffen, dort ankommen, Arbeit finden und Geld nach Afghanistan schicken.

Er startete 2013 zu Fuß in Richtung Iran, fuhr in Autos mit und erreichte nach einer Woche die türkische Grenze. Mit Hilfe von Schleppern, die der Vater organisiert und bezahlt hatte. Es entwickelte sich eine jener Fluchtgeschichten, die Bücher füllen und Filmstoff liefern. „Dreieinhalb Monate habe ich gebraucht, um durch die Türkei zu kommen“, berichtet Hassan.

Es folgte Griechenland: Der junge Afghane war endlich in Europa gelandet. Jedoch nicht in der ersehnten Freiheit, sondern in griechischem Gewahrsam – für mehr als 18 Monate. Aufzugeben kam für Hassan aber nicht in Frage.

Vielmehr reifte in ihm der Entschluss, als konkretes Fluchtziel Deutschland anzusteuern: „Ich hatte nur Gutes über Deutschland gehört.“

Die griechische Polizei ließ ihn schließlich laufen. Nach weiteren anderthalb Monaten gelang ihm die Fährüberfahrt nach Italien. Die Balkanroute, über die sich später Millionen Flüchtlinge nach Norden bewegten, funktionierte Ende 2014 noch nicht.

Am 6. Januar 2015 kam Hassan Musavi, der Bauernsohn aus Afghanistan, endlich in Deutschland, in München, an. „Hier steht das Datum“, sagt Hassan und zeigt stolz sein Notizbuch: „Ich habe alles Wichtige genau aufgeschrieben.“ Das war wichtig für den Asylantrag in der Bundesrepublik. Lesen und schreiben kann er, einen Beruf aber hat er nie gelernt.

Bei Hassans monatelanger Reise durch Asien und Europa war Bayern wieder nur ein Zwischenstopp. Weiter ging es nach Hamburg, von wo er der Zentralen Aufnahmestelle Sachsen-Anhalts in Halberstadt zugewiesen wurde. Zwei Wochen blieb er im Februar 2015 dort, ehe er in Magdeburg den Endpunkt seiner Flucht erreichte.

Unterkunft fand er in einem Containerdorf in Rothensee, für die nächsten 18 Monate. Als er dann auf die Straße gesetzt wurde, weil das provisorische Heim geschlossen wurde, konnte er bereits auf die Unterstützung von Marzieh Sadeghzadek und ihrem Mann bauen.

Erst halfen sie ihm, ein neues Heim zu finden, dann bei der Wohnungssuche. Um sein jetziges Quartier beziehen zu können, ging er allerdings erst noch auf die Suche nach einem Mitbewohner. Denn der Wohnraum muss entsprechend den Vorgaben belegt werden. Mit den 340 Euro, die er vom Sozialamt erhält, kommt Hassan Musavi über die Runden.

Es fehlte nur noch eine Beschäftigung, um in Magdeburg richtig Fuß zu fassen. Sebastian Ecklebe tat auch hier etwas auf: Hassan hätte für gut 1000 Euro in einem Möbelgroßhandel anfangen können. Doch die Ausländerbehörde lehnte ab. Arbeiten darf nur, wessen Asylantrag befürwortet wurde. Hassan kann damit nicht dienen: Sein Antrag wurde vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) abgelehnt – zwei Mal. Musavi: „Sie haben mir meine Geschichte nicht geglaubt.“

Familie Ecklebe kümmerte sich um anwaltlichen Beistand, es half nichts. Hassans Angaben reichen dem Amt für die Gewährung von Asyl in Deutschland nicht aus.

Eine vage Chance gäbe es noch: Ein drittes Mal Widerspruch beim Bundesamt einzulegen. Doch die Resignation, die sich in Hassans Augen widerspiegelt, spricht gegen das Unterfangen. „Eigentlich will ich nun auch zurück“, sagt der 21-Jährige. Am besten nach Kabul.

Hassan ist nun Kandidat für die Abschiebung nach Afghanistan wie Hunderte allein in Sachsen-Anhalt (siehe Kasten) . Seine „Patin“ Marzieh Sadeghzadek kann das nicht verstehen: „Er könnte ein guter Tischler oder Mauer werden, er will doch etwas lernen“, sagt sie.

Von seinen Leuten, die inzwischen wieder im Iran leben, erhält Musavi telefonisch diffuse Signale. Der Vater sage „Komm, Junge“, die Mutter wolle das – den jüngsten schweren Anschlag in Kabul im Kopf – eher nicht. Daneben macht Hassan der moralische Rucksack zu schaffen: Statt die Familie finanziell zu unterstützen, drücken ihn Schulden von 9000 Euro. Es ist das Geld, mit dem er die Flucht bezahlt hat, vor allem die Schlepper haben es eingestrichen.

Doch am schlimmsten, sagt der junge Afghane, sei die Ungewissheit. Er hat die amtliche Ablehnung seines Asylantrages, aber keine Ansage, wie es weitergeht. Einen Abschiebetermin gibt es nicht, zumal die Bundesregierung nach der Teilzerstörung der deutschen Botschaft in Kabul angekündigt hat, nur Afghanen ausfliegen zu wollen, die anders als Hassan etwas auf dem Kerbholz haben.

Der Flüchtling ist zu Untätigkeit und Ungewissheit verdammt. Das schlägt schwer aufs Gemüt. Einige seiner Landsleute seien schon depressiv geworden, sagt er. Hassans dringende Empfehlung an alle, die ihm nachfolgen wollen, lautet: „Wer in Sicherheit ist, sollte in Afghanistan bleiben.“ Die Wanderung zwischen den Welten hat ihm kein Glück gebracht.