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Flüchtlings-Rettung Im Wettlauf mit dem Tod

Mehrere Wochen war Thomas Wieland mit dem Rettungsschiff Sea-Watch 3 auf dem Mittelmeer, um Menschen in letzter Not zu helfen.

Von Alexander Rekow 08.02.2020, 00:01

Gardelegen/Magdeburg l „Ungerechtigkeit ist etwas, womit ich ein Problem habe“, sagt Thomas Wieland. Der gebürtige Gardelegener mit Wohnsitz in Magdeburg ist einer von etwa 500 Helfern, die mit einem Schiff von Sea-Watch Flüchtlinge aus dem Mittelmeer retten. Keine einfache, aber eine notwendige Aufgabe, wie er schildert.

Eigentlich ist der gelernte Industriemechaniker als IT- und Prozessberater in der Landeshauptstadt tätig. Von Magdeburg aus beobachtet er schon lange „die Abschottungspolitik“ der Europäischen Union, findet sie zutiefst ungerecht. Logische Konsequenz für ihn: etwas tun, statt Menschen beim Sterben zuzusehen. So bewarb er sich zunächst bei einer anderen Hilfsorganisation. Das wusste auch sein Freund. „Als die Sea-Watch 3, das Schiff von Sea-Watch, am 19. Dezember 2019 nach einem halben Jahr von der italienischen Regierung freigegeben wurde, rief mein Freund mich an und wollte wissen, wie mein Weihnachten aussieht und ob ich bereit wäre, spontan auf eine Mission zu gehen“, erinnert sich der 42-Jährige. Wieland muss sich schnell entscheiden.

Zu diesem Zeitpunkt war nur ein weiteres Seenotrettungsschiff im Mittelmeer. „Auch die winterliche See hält Menschen nicht davon ab, die gefährliche Flucht anzutreten, und somit werden Schiffe jederzeit gebraucht.“ Da für die Sea-Watch 3 medizinisches Personal benötigt wurde und Thomas Wieland auch examinierter Krankenpfleger ist, zudem ein Studium in Gesundheitswissenschaften hat, war er der richtige Mann zur richtigen Zeit. Er sagte zu.

„Menschen, die die Flucht über das Mittelmeer antreten, sind zutiefst verzweifelt und haben schlimme Dinge erlebt.“ Als Fluchtursachen nennt Thomas Wieland den fehlenden Zugang zu Trinkwasser, zu Bildung und medizinischer Versorgung, anhaltende Dürren, drohende Todesstrafe, Zwangsarbeit, Naturkatastrophen, wenig bis keine Nahrungsmittel, keine Glaubensfreiheit, keine sexuelle Selbstbestimmung und die Unterdrückung der Meinungsfreiheit. Deshalb ist es ihm ein persönliches Anliegen, eben jenen Menschen zu helfen, die ein Leben außerhalb des Leids suchen.

Einsätze auf See dauern in der Regel etwa drei Wochen, wie Wieland erklärt. Außer das jeweilige Land lässt die Sea-Watch nicht einlaufen. „Es kommt immer wieder zu Schwierigkeiten bei der Zuweisung eines italienischen oder maltesischen Hafens.“ Rein rechtlich müsse der nächstgelegene Hafen zwar ein sicheres Einlaufen gewährleisten. Doch dies werde in der Regel verwehrt, so dass die Rettungsschiffe im Mittelmeer kreuzen müssen, bis sich ein Hafen findet, der die Menschen an Land lässt. Gerade für die körperlich und psychisch belasteten Flüchtlinge sei dies eine Belastung. „Die meisten Flüchtlinge kommen aus Libyen, aber auch aus anderen Regionen Afrikas. Der körperliche Zustand ist in der Regel schlecht.“ Auch deshalb, weil die Geflüchteten schon teils über Stunden oder Tage auf dem offenen Meer sind und nur das haben, was sie am Körper tragen. „Sie sind stark unterkühlt, dehydriert und haben teils Verätzungen durch Benzin, das in den Schlauchbooten oftmals ausläuft.“

Die Sea-Watch 3, auf der Wieland mitfuhr, habe einen geringen Tiefgang und sei dementsprechend anfällig für rollende Wellen. Daher gehört auch die Seekrankheit bei den meisten zum Einsatz. „Ich hatte in der ersten Woche ganz schön damit zu kämpfen.“

Übrigens: Das Schiff gehört dem Verein Sea-Watch. Der gründete sich 2014, um im Mittelmeer Geflüchteten in Seenot zu helfen. Das sei notwendig, da staatliche Marineoperationen beendet worden seien, so Wieland.

Eines der schlimmsten Erlebnisse auf seinem Einsatz: Als er mit ansehen muss, wie die libysche Küstenwache 200 Menschen unweit ihres Schiffes abfängt und zurück an Land bringt. „Das Boot hatte es nicht in internationale Gewässer geschafft.“ Auch die Sea-Watch konnte deshalb nicht helfend eingreifen.

Was Thomas Wieland aber richtig unter die Haut geht, sind die Lebensgeschichten der zahlreichen Menschen, die vor Leid fliehen. So sei die Rede von furchtbaren Foltermethoden.

Aber es gibt auch schöne Momente. „Mir geht zum Beispiel immer das Herz auf, wenn die vielen Kinder an Bord, darunter war ein vier Monate altes Baby, wieder anfangen zu lächeln.“ Es sind Momente wie diese, die den Magdeburger in seinen Taten bestätigen. Nach solcher Nähe zu den Flüchtlingen und ihren Erlebnissen, die sie schilderten, fiel Thomas Wieland der Abschied an der Gangway schwer. „Ich konnte fast jedem einzelnen die Hand schütteln und ihm alles Gute wünschen.“

Schon jetzt steht für ihn fest: Es wird nicht seine letzte Rettungsmission bleiben.