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Frauen in Gefahr? Flüchtlinge und Sexualdelikte

Statistiken zeigen einen Anstieg von Übergriffen auf Frauen auch in Sachsen-Anhalt. Hintergründe lassen sie aber unberücksichtigt

Von Alexander Walter 28.09.2017, 01:01

Magdeburg l Die Serie sorgte für Aufsehen. Gleich vier Mal wurden im Oktober 2015 sexuelle Übergriffe auf Frauen in Magdeburg bekannt. In einem Fall vergewaltigte der Täter, ein Afghane, eine 24-Jährige am Neustädter Friedhof. In einem anderen verletzte er eine 19-Jährige bei einer versuchten Vergewaltigung am Uni-Platz. Der 30-Jährige wurde später durch DNA-Spuren überführt.

Die Ängste in der Bevölkerung haben seitdem nicht abgenommen. Dazu trugen zuletzt neben der Kölner Silvesternacht 2015/16 auch immer neue Berichte von Übergriffen bei. Erst im August wurde in Dessau-Roßlau eine 56-Jährige vergewaltigt. Unter Verdacht stehen vier Eritreer.

In die Schlagzeilen schaffen es allerdings immer wieder auch falsche oder zumindest tendenziös wiedergegebene Zahlen. So sprach Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) jüngst stark verkürzt von drastisch mehr Vergewaltigungen im ersten Halbjahr 2017 in Bayern. Dabei verschwieg er, dass veröffentlichte Zahlen auch sexuelle Nötigungen enthielten. Außerdem unterschlug er den Einfluss des verschärften Sexualstrafrechts, das seit November 2016 greift. In Magdeburg nutzten Rechtsextreme die Vorfälle im Oktober 2015 für Stimmungsmache. Im Netz streuten sie Gerüchte über Massenvergewaltigungen.

Richtig ist: Die Zahl von Sexualdelikten durch Zuwanderer ist in Sachsen-Anhalt gestiegen. Registrierte das Innenministerium 2015 noch 41 Straftaten durch Zuwanderer (2,84 Prozent), waren es 2016 bereits 102 (6,89 Prozent) (siehe Grafik). Bei schweren sexuellen Nötigungen und Vergewaltigungen zählte die Behörde im selben Zeitraum eine Zunahme der Fälle um 90 auf 255. 20 Taten (7,8 Prozent) wurden dabei von Zuwanderern begangen.

Die Zahl korreliert mit einer sprunghaft gestiegenen Zahl von Schutzsuchenden im Land. Kamen 2014 noch gut 6600 Asylbewerber nach Sachsen-Anhalt, so waren es 2015 und 2016 insgesamt 43.500. „Wenn man bedenkt, dass der Ausländeranteil in Sachsen-Anhalt zuletzt bei 3,9 Prozent lag, haben wir schon eine atypische Häufung von Sexualstrafdelikten“, sagt Klaus Tewes, Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft in Naumburg, zum Thema.

Auch bundesweit nahm die Zahl vollendeter oder versuchter Vergewaltigungen und sexueller Nötigungen zu. Im Zeitraum 2015 bis 2016 stieg sie von 7022 auf 7919 – ein Anstieg von 12,8 Prozent. 38,8 Prozent der Täter waren Nichtdeutsche. Auch hier fällt der Trend mit einer historisch einmaligen Zuwanderungswelle zusammen. Allein 2015 waren knapp eine Million Flüchtlinge und Zuwanderer nach Deutschland gekommen.

Doch was sagen die Zahlen? Sind Flüchtlinge böser als wir, frauenfeindlicher oder gar gnadenloser sexualisiert? Ganz so einfach ist das nicht. Darin sind sich Experten einig. Ein Faktor, der gern übersehen werde, sei das Alter der Füchtlinge, sagt Klaus Tewes. Viele Zuwanderer seien männlich und zwischen 16 und 25 Jahre alt. Das sei die Altersstufe, bei der es auch unter Deutschen die meisten Probleme mit Sexualdelikten gebe. Der Kriminologe Christian Pfeiffer gibt Tewes Recht. 40 Prozent der Zuwanderer aus Nordafrika seien junge Männer gewesen, sagt er. „Diese jungen Kerle sind in jedem Land die gefährlichsten.“

„Ganz egal aus welcher Religion sie kommen, müssen Männer lernen, ihr Aggressionspotenzial zu regulieren“, fügt Psychologin Maggie Schauer von der Universität Konstanz hinzu. Das dauert. „Wir haben in westlichen Gesellschaften eine andere Sozialisierung als in vorwiegend muslimischen Kulturen. Diese Welten können sehr aufeinanderclashen.“

Der zweite Faktor ist die Ausweglosigkeit. „Wir haben ein Risiko durch eine beachtliche Gruppe von Leuten, die hier keine Chance auf Zuflucht haben“, sagt Kriminologe Pfeiffer. „Gewaltprävention aber läuft über Chancen.“ Bei einer Ablehnung müsse es diese zu Hause geben, sagt er. Ausweisung sei ein langwieriges und zähes Unterfangen, Rückkehrprogramme der bessere Weg. „Wenn wir das zu einer attraktiven Option machen, dann kriegen wir auch hier Sicherheit.“ Eine Milliarde solle die Bundesregierung dafür in die Hand nehmen, empfiehlt der Kriminologe.

Dritter Faktor sei ein Unterschied in der Anzeigenbereitschaft. „Einheimische werden weniger angezeigt als die Fremden, weil man sich von den Fremden stärker bedroht fühlt“, sagt Pfeiffer. Für die, die länger oder gar dauerhaft hier bleiben, heißt das Heilmittel: Integration. „Wir haben für in Deutschland lebende junge Polen, Russen, Italiener, Türken über lange Jahre verfolgt, wie sich ihre Kriminalität entwickelt: Sie sank bei allen“, betont Pfeiffer. „Dieses Rumgejammere, dieser Immerschlimmerismus ist völlig unberechtigt.“

Der Experte räumt dennoch ein: Für Sexualverbrechen sind die stärker anfällig, die von einer Machokultur geprägt sind. „Und das ist nun mal bei einem beachtlichen Teil von Zugewanderten der Fall“. Offensiv müsse die Gleichrangigkeit von Frauen und Männern in Integrationskursen angegangen werden. „Leider wird dort kein spezieller Fokus darauf gelegt“, bedauert Nora Brezger, die seit 2009 in Berlin in der Flüchtlingsarbeit tätig ist.

Kulturelle Lernprozesse aber sind möglich, da sind beide Experten einig. – „Dann kommt man auch mit anfangs bedrohlich wirkenden Gruppen zurecht, die zunächst sehr viele Probleme verursachen“, sagt Pfeiffer. Schauer fügt hinzu: Keine Gewalttat sei mit dem Argument der „anderen Kultur“ zu entschuldigen. „Das wissen die Männer auch sehr genau.“ Klaus Tewes verweist schließlich auf die andere Seite der Zahlen: 87 Prozent der Tatverdächtigen von Sexualdelikten kommen nach wie vor aus Deutschland.

25. September: Ein 31-jähriger Asylbewerber aus Ghana sagt vor dem Landgericht Bonn aus. Er soll im April eine 23-jährige Camperin vor den Augen ihres Freundes vergewaltigt haben.

19. September: Ein 40-jähriger Syrer muss für drei Jahre ins Gefängnis. Im März 2016 soll er in Nebra (Burgenlandkreis) eine 23-Jährige vergewaltigt haben. Die Frau war umgekippt, nachdem sie ihren Wohnblock verlassen hatte. Anschließend versuchte der Täter, sie zu vergewaltigen.

12. September: Vier Flüchtlinge aus Eritrea werden festgenommen. Ihnen wird vorgeworfen, im August eine 56-jährige Flaschensammlerin in Dessau-Roßlau vergewaltigt zu haben.

6. September: Der Afghane Hussein K. steht wegen des Vorwurfs des Mordes an Maria K. vor Gericht. Er soll der Freiburger Studentin aufgelauert, sie vergewaltigt und getötet haben. Bei der Einreise nach Deutschland hatte Hussein K. angegeben, minderjährig zu sein.

Mit Material der dpa