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Freizeitsport Abhängen beim Kletter-Guru

Bei Wolfgang Brandt im Harz können Anfänger die Kunst des Kletterns erlernen. Damit hat sich der 65-Jährige einen Traum erfüllt.

Von Jens Müller 06.10.2018, 01:01

Schierke l Vorsichtig tastet Antje den Granitfelsen ab - auf der Suche nach einem Spalt, an dem sie sich festhalten kann. „Bauch ran an die Wand“, ruft Wolfgang Brandt ihr zu. „Fuß etwas nach links. Und nicht den ganzen Fuß aufsetzen! Kleine Schritte!“, gibt er vor und gibt etwas mehr Seil frei, an dem sein Schützling gesichert ist. Dann kommen die ersten beiden Seil-Kommandos „Zu“ und „Ab“. Und schon beginnt das konzentrierte Ablassen aus knapp zehn Metern Höhe, was einige Überwindung kostet. Denn hierbei muss sich der Kletterer voll auf seinen Partner am Fuß des Felsens verlassen können. Im Gurt sitzend, die Hände frei, geht es rückwärts am Seil hängend wieder den Felsen hinab. „Ein Naturtalent“, lobt Wolfgang Brandt die junge Frau aus Rimbeck bei Osterwieck, die an diesem Sonnabendmorgen die ersten Erfahrungen im Felsklettern sammelt. Gemeinsam mit ihrer Frendin Silke aus dem Nordharzörtchen Stötterlingen hat sie sich in den Oberharz aufgemacht. „Wir wollten einfach mal unsere Grenzen austesten und Spaß haben in der Höhe“, so die beiden jungen Frauen. „Und es macht Lust auf mehr“, sind sie nach ihrem ersten kleinen Aufstieg begeistert.

Für Wolfgang Brandt kein Wunder. Denn die Felsen rund um Schierke mit ihren lustige Namen wie Schnarcherklippen, Mauseklippen und Feuersteinklippen sind für ihn das Kletterparadies in Nord- und Mitteldeutschland. Seit 20 Jahren bietet der Wernigeröder in „seinem Revier“ professionelle Klettertouren an. Damit hat er sich einen Lebenstraum erfüllt.

Bereits im Alter von 14 Jahren hatte er sich einst dazu entschlossen, zum Bergrettungsdienst zu gehen. „Ich war begeistert von dem Feeling“, erinnert sich Wolfgang Brandt an die anspruchsvolle Ausbildung, bei der er neben der Ersten Hilfe auch Klettererfahrung an den unterschiedlichsten Felsformationen sammeln konnte. Und gerade der Harz biete dafür eine ganz breite Palette: „Wir haben hier den Granit rund um Schierke, super Sandstein an der Teufelsmauer und den Kalk bei Rübeland“, zählt er auf.

Die Wende bot ihm schließlich die Möglichkeit, aus seinem Hobby einen Beruf zu machen. „Ich wollte immer Bergführer werden“, sagt der heute 65-Jährige. Nachdem er zunächst das elterliche Feinkostgeschäft übernommen hatte, setzte sich immer mehr dieser Gedanke durch. „Ich wollte einfach meine Erfahrungen weitergeben, und dass junge Menschen das Klettern von der Pike auf lernen.“

Die Initialzündung kam schließlich von dem unermüdlichen Laufpionier und Harzfreund Herbert Pohl (1910-1993), der vorgeschlagen hatte, in Wernigerode eine Sektion des Deutschen Alpenvereins (DAV) zu gründen.

Seit 1992 wird nun bereits unter dem Dach und den Regeln des DAV jungen Menschen in der Harzstadt das Einmaleins des Kletterns beigebracht. Trainiert wird zweimal pro Woche an der vereinseigenen künstlichen Kletterwand in der Stadtfeld-Turnhalle und vor allem an Felsen in Hasserode, Schierke, Thale und im Okertal. Daneben bieten erfahrene Experten wie Wolfgang Brandt auch Wochenendausflüglern und Touristen im Harz an ausgewählten Terminen professionelle Klettertouren an. „Das Klettern hat in den vergangenen zehn Jahren einen enormen Boom erlebt“, weiß Brandt. Vor allem in den Großstädten schießen Kletter- und Boulder-Hallen wie Pilze aus dem Boden. Und davon profitiere nicht zuletzt der Harz.

Kletterfans vor allem aus Hamburg und Berlin haben inzwischen das Paradies der Steinriesen für sich entdeckt. „Wir sind relativ schnell und gut zu erreichen. Und die meisten wollen nicht extra bis in die Alpen fahren, um ihrem Hobby nachzugehen“, weiß Wolfgang Brandt. Die meisten, so der DAV-Trainer, wollen dabei die beim Hallenklettern erworbenen Kenntnisse mal am Felsen ausprobieren und dann vielleicht mit dem Outdoor-Basic-Kurs eine richtige Ausbildung starten. „Sehr gefragt sind auch Gutscheine zum Schnupperklettern in der Halle und am Fels oder auch eine Gipfeltour mit Gipfelbucheintrag.“

Dabei wird Brandt auch von seiner Ehefrau Ellen Sprich unterstützt. So wie an diesem Vormittag, an dem sich Timur und Alena aus Braunschweig angemeldet haben. Timur ist begeisterter „Boulderer“. Als er seiner Freundin erzählte, dass er mal „richtig klettern“ wolle, schenkte sie ihm zum Geburtstag einen Gutschein für eine Tour im Harz. „In Braunschweig haben wir ja nur die Halle, aber hier kann man an einen richtigen Felsen“, sagt er nach seinem ersten Auf- und Abstieg begeistert. „Das macht richtig viel Spaß!“

Für Ellen Sprich und Wolfgang Brandt eine ganz normale Reaktion: „Das Klettern kann Freude für das ganze Leben sein. Und wer einmal Blut geleckt hat, den lässt es nicht mer los. Der bleibt dabei.“ Deshalb spielen bei ihren Kletterangeboten Alter, Fitness und selbst Handicaps keine Rolle. Für jeden kann die Klettererfahrung zu einem besonderen Erlebnis werden. Wolfgang Brandt hat beispielsweise schon eine Vierjährige bei ihrem ersten Aufstieg angeleitet. Sein Sohn hat mit fünf Jahren begonnen. „Wenn Kinder diesen Drang haben, muss man das einfach fördern“, sagt er. Denn neben der Herausforderung, einen Gipfel zu erreichen, präge dieser Sport auch Charaktereigenschaften wie Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit und Ehrlichkeit. „Man muss sich auf seinen Partner hundertprozentig verlassen können. Das ist das A und O“, so Brandt. Die Kosten für Einsteiger seien dabei überschaubar und mit anderen Sportarten vergleichbar. Die Grundausstattung mit Kletterschuhen, Gurt und Sicherungsgerät würden mit etwa 150 Euro zu Buche schlagen. Das Hauptsportgerät derweil liefert die Natur. Nicht umsonst hat der Deutsche Alpenverein neben der bergsteigerischen Ausbildung auch den Schutz und die Pflege von Natur und Landschaft, Tier- und Pflanzenwelt als Vereinsziele ausgegeben.

Umso schmerzlicher sieht Wolfgang Brandt die zunehmenden Beschränkungen, denen Kletterer ausgesetzt sind. Während es seine Kollegen etwa im Nationalpark Sächsische Schweiz geschafft haben, die einzigartige Felsenwelt für sich im Einklang mit den Naturschutz-Behörden zu nutzen, haben die Harzer bereits einige gute Klettergebiete wie den Regenstein und die Teufelsmauer bei Neinstedt gänzlich oder die Gegensteine bei Ballenstedt teilweise als Refugium verloren. „Dabei haben wir dort super Sandstein. Nirgendwo ist er so fest, wie dort“, plädiert Brandt für ein besseres Miteinander. Österreicher und Italiener würden es vormachen, wie naturnaher Tourismus für diese Sportart möglich ist. „Nur wenn wir Naturschutz vorleben und ihn der Jugend beibringen“, so der Harzer Kletterprofi, „können wir unsere Heimat mit all ihrer Schönheit und Einmaligkeit erhalten“.

Fit hält er sich bei seinen regelmäßigen Touren im Harz. Einmal im Jahr geht es aber auch höher hinaus: zum Beispiel in die Dolomiten. „Der Mount Everest“, so der Sportkletterer, „hat mich dagegen noch nie gereizt.“ Er sei lieber dort, wo weniger Menschen sind. „Es gibt spannendere Ziele“, erklärt Brandt. Beispielsweise in Marokko. Dort zieht es ihn dann mit Zelt und Schlafsack in die Wüste. Ein Ziel liegt dann aber doch in Nepal: „Dort möchten wir unser Patenkind, ein 10- jähriges Mädchen, besuchen. Diesen Aufenthalt wollen wir mit einer Trekkingtour verbinden.“