Heute ist bundesweiter Tag der Organspende / Christine Köthe und Iris Kolloch leben mit einer neuen Niere "Fühle Respekt für Familie meines Spenders"
Alle acht Stunden stirbt in Deutschland ein Mensch, weil es für ihn keine Organspende gibt. Christine Köthe und Iris Kolloch aus Magdeburg hatten Glück. Beide können Dank einer Spenderniere wieder ein normales Leben führen. Heute setzen sie sich ehrenamtlich beim Landesverband Niere Sachsen-Anhalt nicht nur für Aufklärung und Prävention ein, sondern begleiten auch andere Patienten, die auf eine Transplantation warten müssen.
Magdeburg. Angefangen hat alles bei Iris Kolloch im Jahre 1989, als bei ihr ein extrem hoher Blutdruck festgestellt wurde. Von da an begann ein schleichender und schmerzhafter Prozess, begleitet von einer ständigen Müdigkeit und Abgeschlagenheit. Schließlich hörten ihre Nieren zwei Jahre später ganz auf zu arbeiten. Diagnose: Chronische Glomerulonephitis, eine Autoimmunkrankheit, die schließlich zu Nierenversagen führte.
Die Nieren haben als Ausscheidungsorgane eine wichtige Entgiftungsfunktion, sie sind das körpereigene Filter-system und auch für die Regulierung des Wasserhaushaltes zuständig.
"Arbeiten die Nieren nicht mehr, können Harnstoff und Kreatinin nicht mehr ausgeschieden werden. Dadurch werden die gesamten Organe geschädigt", erklärt Dr. Christa Wachsmuth, geschäftsführende Ärztin der Region Ost der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO). Das bedeutet, dass bei akutem Nierenversagen innerhalb von 48 Stunden gehandelt werden muss, ansonsten droht der Körper, sich selbst zu vergiften.
"Konnte mich nicht mehr bewegen"
Bei Christine Köthe war das der Fall. Damals war die heute 42-Jährige gerade mal 16 Jahre alt, als ihre Nieren von einem auf den anderen Tag versagten. "Ich konnte mich nicht mehr bewegen. Und da war diese bleierne Müdigkeit", erinnert sich die zierliche Frau. Mit Hilfe von Medikamenten fingen die Nieren wieder an zu funktionieren, doch irgendwann halfen auch diese nicht mehr.
Sie weiß noch genau, wie es damals am 13. Juli 2004 war, als sie zum ersten Mal ins Krankenhaus zur Dialyse musste. "Als ich dahin kam und die Menschen da liegen sah, an den Geräten, bin ich in Tränen ausgebrochen", erinnert sie sich.
Mehrere Stunden dauert diese Prozedur, bei der eine Maschine die Arbeit der Nieren übernimmt. Dr. Christa Wachsmuth: "Das Blut wird durch ein Filtersystem außerhalb des Körpers gereinigt und dann wieder in den Körper zurückgeführt. Doch wenn man das viele Jahre über sich ergehen lassen muss, ist das nicht nur psychisch extrem belastend, sondern auch die Organe werden zerstört."
Die Dialyse wurde für beide Frauen dreimal die Woche zu einem festen Bestandteil des Alltags. "Es war ein bisschen für mich, wie zur Arbeit zu gehen. Es musste ja sein", sagt Iris Kolloch, und dann muss sie wieder an den schrecklichen Durst denken, der sie acht Jahre lang 24 Stunden am Tag quälte.
Damit sich das Wasser nicht zu stark im Körper ansammelt, waren nur 500 Milliliter Flüssigkeit täglich erlaubt, der Wasseranteil von Lebensmitteln wie Gemüse, Suppen oder Eiscreme mit eingerechnet. Das ist ein Viertel dessen, was ein gesunder Erwachsener zu sich nimmt.
"Meine Gedanken kreisten nur noch ums Trinken. Manchmal habe ich nur von Wasser geträumt. Ich wurde wütend, wenn ich mitansehen musste, wenn jemand einen Rest in seinem Glas stehen gelassen hatte." Jeder kleine Schluck wurde zu einer Kostbarkeit. "Aber wenn man überleben will, muss man Disziplin haben", sagen beide Frauen.
Ilse Kolloch kam 1991 auf die Transplantationsliste. Von da an hieß es warten, acht Jahre lang. Dann, an einem Freitag im Frühsommer des Jahres 1999, kam der Anruf, der ihr das Leben wieder zurückgeben sollte. "Ich weiß noch, es war kurz vor Mitternacht. Ich war völlig erschöpft, weil ich grad von der Dialyse nach Hause kam. Der Arzt sagte: ,Sie wissen schon worum es geht.‘ Aber ich wusste es nicht. Ich konnte gar nicht mehr denken, hab wahllos irgendwelche Sachen zusammengesucht und bin ins Taxi." Heute weiß sie, dass ihre neue Niere von einem männlichen Unfallopfer stammt, das wenige Stunden zuvor ums Leben kam.
Iris Kollochs Augen füllen sich mit Tränen, als sie daran zurückdenkt, wie sie die anderen Patienten auf der Dialysestation mitten in der Nacht zum Abschied umarmt haben, dann wurde sie für die Operation nach Berlin gebracht.
"Man verbringt so viel Zeit mit den anderen Patienten bei der Dialyse, da wird man wie eine große Familie. Auch weil alle dieselbe Frage verbindet: Wie lange muss ich noch warten?
Christine Köthe musste nicht lange warten. Ihre Schwester wollte etwas tun, damit sie nicht mehr so leiden muss und ließ sich testen, ob sie als Lebendspenderin in Frage käme. Nach wenigen Wochen kam der Befund: Ihre Niere ist geeignet. Dann ging alles ganz schnell. Im Januar 2005 erhielt Christine Köthe eine der Nieren ihrer Schwester.
Heute können Iris Kolloch und Christine Köthe ein fast normales Leben führen, doch die Haltung dazu hat sich verändert. "Ich verschwende nicht mehr meine Zeit mit sinnlosen Streitereien. Das Leben ist dafür zu wertvoll für mich geworden. Und ich fühle mich meiner Schwester jetzt viel näher. Uns verbindet ja nun etwas ganz Besonderes", sagt Christine Köthe. Und Iris Kolloch erinnert sich: "Als ich zum ersten Mal wieder im Restaurant saß und mir ein Suppe und ein Getränk bestellen konnte, das war für mich das pure Glück."
"Es gibt noch viel zu tun"
Um etwas zurückgeben zu können, engagieren sich die Frauen im Landesverband Niere Sachsen-Anhalt beziehungsweise dem Regionalverband Niere Magdeburg. Die gemeinnützige Organisation ist eine Selbsthilfegemeinschaft, die Patienten mit Nierenversagen dabei unterstützt, so gut wie möglich mit ihrer Krankheit zu leben. Doch auch ein Bewusstsein in der Bevölkerung zum Thema Organspende zu fördern, gehört zu ihren Aufgaben. "Fragt man die Menschen, ob sie nach ihrem Tod ein Organ spenden würden, wären die meisten dazu bereit. Doch kaum einer hat einen Ausweis. Es gibt noch viel zu tun", sagt Christina Köthe.
So werden beide am Sachsen-Anhalt-Tag vom 24. bis zum 26. Juni in Gardelegen mit einem Informationsstand vertreten sein. Ob beide jetzt zweimal im Jahr Geburtstag feiern? Nein, sagen beide. Aber der Tag, an dem sie ihre neue Niere bekamen, wird immer ein ganz besonderer sein. Und Iris Kolloch fügt hinzu: "Mir ist bewusst, dass jemand am Tag meiner Transplantation durch einen Unfall ums Leben gekommen ist. Ich darf zwar weiterleben, aber dennoch empfinde ich gerade an diesem Tag tiefen Respekt und Anteilnahme für die Familie meines Spenders, auch wenn ich sie nie kennenlernen werde."