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Fundmunition Tödliches Erbe lauert am Deich

Kampfmittel­experten haben am Deich bei Schönhausen Granaten und den Kopf einer Panzerfaust entdeckt und sie am Mittwoch gesprengt.

Von Matthias Fricke 16.02.2017, 00:01

Schönhausen l Die beiden Truppführer André Römmer und Dieter Schwarz vom Kampfmittelbeseitigungsdienst bereiten die Sprengung von neun Panzergranaten und einem Gefechtskopf einer Panzerfaust auf einem Acker bei Schönhausen vor. „Wir konnten die Munition nicht mehr entschärfen und auch der Transport wäre viel zu gefährlich“, sagt Römmer, während er die verrosteten 7,5-Zentimeter-Panzergranaten fein säuberlich in vorbereitete Löcher verschwinden lässt. Anschließend versieht er die Munition mit Zündern und einer zusätzlichen Spreng­ladung.

Funde wie diese gibt es regelmäßig im Bereich der Elbe bei Schönhausen und Fischbeck. Denn unter anderem haben Einheiten der 12. Armee unter der Führung von Wehrmachts-Panzergeneral Walther Wenck an der Elbe bei Tangermünde in Massen Waffen, Gewehre, Pistolen, Panzerfäuste, Munition und Stahlhelme auf der Flucht vor den Sowjets zurückgelassen oder verbuddelt. Zum Teil stammt die Munition aber auch aus Gefechtshandlungen. „Es wäre reine Spekulation, zu sagen, was mit den Granaten passiert ist, dass sie in solch einem deformierten Zustand sind“, sagt der 47-jährige Truppführer.

Es hätten nach dem Ende des Zweiten Weltkrieg auch oft Bewohner die herumliegenden Waffen und Munition mit Benzin übergossen und angesteckt. Römmer: „Was explodierte, ging hoch, das andere eben nicht und wurde vergraben.“

Dort, wo jetzt die Munitionssucher die Deichsanierung auf 1,9 Kilometer Länge nördlich der ICE-Eisenbahnbrücke vorbereiten, gab es auch Verteidigungsstellungen. Die beiden Brücken bei Schönhausen und Tangermünde waren damals von der Wehrmacht vor dem Eintreffen der Amerikaner gesprengt worden. Letztere war noch notdürftig für einen Übergang zu Fuß repariert worden und rettete Hundertausenden das Leben. Waffen und Ausrüstungsgegestände derjenigen, die 1945 über die Elbe vor den anrückenden Sowjets auf das westliche Ufer flüchteten, liegen zum Teil noch immer verstreut in den Wäldern und auf Grundstücken der Umgebung.

Zwei Beispiele: Erst vor 17 Jahren hatten bei Schönhausen 80 Hektar Wald gebrannt. Die mehr als 300 Feuerwehrleute mussten sich zeitweise immer wieder zurückziehen, weil explodierende Munition die Löscharbeiten immer wieder behinderte. In einem anderen Fall aus dem Jahr 2004 entdeckte der Kampfmittelbeseitigungsdienst auf dem Gelände eines Spielplatzes in Schönhausen in einem Loch mehrere Raketenpanzerbüchsgranaten, Leuchtmunition, Karabiner, eine Handgranate und jede Menge Gewehrmunition.

Angesicht der zahlreichen Funde von zum Teil noch funktionierender Wehrmachtsmunition ist die Gegend auch beliebtes Ziel illegaler Waffensammler. Solche schlugen Anfang Januar auch auf der künftigen Deichbaustelle zu.

Tobias Koch vom Landesbetrieb für Hochwasserschutz und Wasserschutz Sachsen-Anhalt (LHW): „Diese Sammler haben hier 50 bis 70 Löcher gebuddelt. Drei bis vier hatten sogar einen Erdaushub von einem Kubikmeter. Das kann für den Deich sehr gefährlich werden.“

Die illegalen Sammler verteuern schon jetzt die Deichbaustelle. Der LHW musste einen Wachdienst organisieren, um die Baustelle abzusichern. Die Kampfmittelräumung soll vor Baubeginn erfolgen.

Aber auch während der eigentlichen Bauzeit zwischen Mai dieses Jahres und Dezember 2018 begleiten die Munitionsexperten die Bagger. Insgesamt werden an dieser Stelle 4 Millionen Euro investiert.

Inzwischen haben Römmer und Schwarz die Zündkabel verlegt und sind hinter einem großen Stapel Baumstämme in Deckung gegangen. Im Radius von 500 Meter Sicherheitsabstand darf sich nun keiner mehr aufhalten. Dreimal gibt Römmer das Warnsignal. Dann dreht er die Kurbel am Zündgerät und drückt auf den Knopf. Es folgt ein lauter Rums und eine Staubwolke steigt auf. Dann wird es still auf dem gefrorenen Acker. Die Experten sammeln die Splitter der Panzergranaten ein.

Für illegale Sammler wäre solch eine Explosion tödlich. Schon die Berührung könnte die verrostete Mechanik auch noch nach 72 Jahren auslösen und die Blindgänger zur Explosion bringen. Ende Juli 2003 starben in Barleben (Bördekreis) ein Mann und sein zweijähriger Sohn an den Folgen einer solchen Explosion von Fundmunition. Der 31-Jährige hatte in einem Schuppen mit Munitionsteilen hantiert.

Den Deichplünderern von Schönhausen droht nicht nur ein Ordnungswidrigkeitsverfahren wegen der Löcher im Deich. Axel Vösterling vom Technischen Polizeiamt: „Wenn solche illegalen Sammler in den Besitz von Kriegsgerät gelangt sind, könnte ihnen auch ein Ermittlungsverfahren wegen des Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz drohen.“ Dies ist ein Verbrechenstatbestand. Im Fall einer Verurteilung drohen Freiheitsstrafen von einem bis zu fünf Jahren.

Im vergangenen Jahr sind laut Landeskriminalamt 36 solcher Fälle von der Polizei in Sachsen-Anhalt registriert worden. Im Vorjahr waren es 33 und 2014 noch 32 Fälle. Unter den Tatverdächtigen waren fast ausschließlich nur Männer. Die überwiegende Zahl der Straftaten (20) wurden im Bereich der Polizeidirektion Nord angezeigt.

Für die beiden Truppführer des Kampfmittelbeseitigungsdienstes wird es wohl nicht die letzte Sprengung auf der Deichbaustelle bleiben. Die Mitarbeiter einer Spezialfirma haben einen Teil des Geländes bereits mit Metalldetektoren abgesucht und mögliche Fundstellen von Munition mit roten Fähnchen abgesteckt. Es dürften Hunderte sein.