Land steht vor einer schwierigen Debatte, da sich die Geburtenzahl künftig halbiert Für 82 kleine Grundschulen wird es eng
82 Grundschulen in Sachsen-Anhalt haben nicht einmal 60 Schüler. Für die Standorte wird es eng, wenn bald die neue Schulnetzplanung startet. Etwa 60 Schulen stehen ab 2014 wohl vor der Schließung.
Magdeburg l Kultusminister Stephan Dorgerloh hat Ärger mit seinen SPD-Genossen. Dorgerloh hatte medienöffentlich gemacht, was viele ahnen, aber jetzt nicht von einem Regierungsmitglied gesagt werden soll: Etwa zwei Drittel der kleinen Grundschulen sind wohl nicht zu halten. Das hieße: gut 60 Schulen müssten auf dem Lande dichtmachen. "Dem haben sie die Ohren langgezogen", erzählt man sich in der Koalition. Das Thema ist heikel - vor allem für die SPD. Die war nämlich in den Landtagswahlkampf gezogen mit dem Spruch: Wir streichen keine einzige Schule, wir streichen sie alle an. Also: Malern statt schließen. Das war mutig - in einem Land, in dem die Geburtenzahlen von mageren 17000 im Jahr in naher Zukunft auf noch dürftigere 12000 herunterrauschen. "Der Spruch war vor allem platt", sagt CDU-Bildungspolitiker Hardy Güssau. "Natürlich hat Dorgerloh recht", stützt der Unionsmann den SPD-Minister. "Wir müssen überlegen, ob es nicht besser ist, ein paar Standorte zu schließen und dafür gut erreichbare Schulen ordentlich zu modernisieren." Denn etliche Gebäude seien ziemlich abgewirtschaftet.
Sachsen-Anhalt hat nach der Wende bereits fast 900 Schulen aller Größen dichtgemacht. Mit der Schulnetzplanung 2009 erfolgte ein Paradigmenwechsel: Um die ohnehin ungeliebte Gemeindegebietsreform nicht zu erschweren und die Abwanderung aus den ländlichen Gebieten abzubremsen, machte die Landesregierung den kleinen Orten viele Zugeständnisse. Grundschulen, die die Mindestvorgabe von 60 Schülern nicht erreichten, erhielten großzügig Ausnahmegenehmigungen. Selbst Mini-Grundschulen mit 40 Schülern bekamen Bestandsschutz. Mit dem Schuljahr 2014/15 gibt es eine neue Schulnetzplanung. Umgesetzt wird sie von den Kommunen - die Vorgaben aber kommen vom Land. Werden die Zügel angezogen? Der mittlerweile vorsichtig gewordene Minister Dorgerloh verweist auf Diskussionen im Landtag - "dieser Debatte möchten wir nicht vorgreifen."
Viele Eltern mögen ihre kleine Schule vor Ort, weil ihre Steppkes andernfalls lange Schulwege zurücklegen müssten. Güssau, der selber Lehrer in der dünn besiedelten Altmark war, sagt: "Diese Schleifenfahrten, wenn Busse über die Dörfer zuckeln und Schüler einsammeln - und dann noch die Warterei an den Haltestellen - das macht Eltern und Schüler kirre." Thomas Lippmann, Landeschef der Lehrergewerkschaft GEW, mahnt: "Für Grundschüler sollte die Fahrtzeit pro Weg nicht mehr als 15 bis 20 Minuten betragen."
Doch der Handlungsdruck auf das Land ist gewachsen.
r Das von Finanzminister Jens Bullerjahn (SPD) in Auftrag gegebene kommunale Finanzgutachten legt dar, dass Sachsen-Anhalts Gemeinden im Vergleich zu anderen Ländern zu viel Geld ausgeben. Ein Kostenschwerpunkt: die Schulgebäude. Gutachter Ingolf Deubel errechnete schülerbezogene Mehrkosten von 25 Millionen Euro jährlich.
r Die Geburtenzahlen werden im nächsten Jahrzehnt deutlich nach unten gehen. Von 17000 auf 12000 (2020) und dann ab 2025 auf 9300.
r Das mit EU-Mitteln finanzierte Programm zur Sanierung von Schulen (Stark III) gibt strenge Margen vor: Geld gibt es nur für Grundschulen ab 100 Schülern, in dünn besiedelten Regionen ab 80. Nur in Einzelfällen sind Ausnahmen möglich.
r Veränderungsdruck kommt auch aus den neuen, großen Einheitsgemeinden. Die Bürgermeister und Räte haben den Blick schon geschärft.
Beispiel Gardelegen. Die Stadt wucherte nach der Eingemeindung auf 632 Quadratkilometer - ist dreimal so groß wie Magdeburg, hat aber mit 24000 Einwohnern nur ein Zehntel der Bevölkerung. In Gardelegens Kernstadt gibt es vier Grundschulen - in den Ortsteilen fünf. Zwar hat der Stadtrat das letzte Wort - doch Bürgermeister Konrad Fuchs (SPD) laviert nicht lange herum: "Ich sehe für die Schulen in Estedt und Solpke heute keine Perspektive." Fuchs rechnet vor: "Pro Jahr kostet uns der Betrieb eines Schulgebäudes 80 000 bis 90 000 Euro. Pro Schüler macht das bei kleinen Schulen 1500 bis 2000 Euro im Schuljahr aus, für größere Schulen 500 bis 800 Euro."
Auch in der östlichen Altmark wird gerechnet. Stendal hat 42000 Einwohner und sieben Grundschulen; die benachbarte Verbandsgemeinde Arneburg-Goldbeck hat auch sieben Grundschulen - aber nur 10000 Einwohner. "Da wird sicherlich etwas passieren müssen", sagt Güssau.
Auch die Gewerkschaft GEW hält Grundschulen mit 80 bis 120 Schülern für ideal. Aber: "Auf keinen Fall dürfen Lernkombinate entstehen - wie zum Teil bei weiterführenden Schulen geschehen", sagt GEW-Chef Lippmann. Grünen-Fraktionschefin Claudia Dalbert mahnt Augenmaß an: "Die Grundschule ist die Seele im Ort."
Die SPD-Fraktion behauptet trotzig, dass an den Vorgaben für Mindestschülerzahlen nicht gerüttelt werde. Die Vize-Parteivorsitzende Corinna Reinecke sagt: "Für uns gilt grundsätzlich das Prinzip ¿Kurze Beine, kurze Wege\'." Seite 5