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Gebäudesanierung Energiesparen wird vielen zu teuer

Deutschland will den Heizenergieverbrauch drastisch senken. Doch vielen Hausbesitzern ist die Lust am Sanieren vergangen.

Von Jens Schmidt 21.06.2016, 01:01

Magdeburg l Etwa 85 Prozent des privaten Energieverbrauchs zu Hause geht für Heizen und Warmwasser drauf. Ein beträchtlicher Teil ließe sich mit vernünftig gedämmten Häusern, modernen Kesseln und neuen Fenstern vermeiden. Allerdings ist erst die Hälfte der 18 Millionen Wohngebäude energetisch fit. Der Bund strebt an, den Energiebedarf von 2008 bis 2050 um stolze 80 Prozent zu senken. Nur so ließen sich die ehrgeizigen klimapolitischen Ziele erreichen. Doch es mehren sich Zweifel und Gegenwehr.

Bei Neubauten wurden die Wärmeschutz-Vorgaben in den vergangenen Jahren massiv verschärft. So sehr, dass die Bauminister auf die Bremse treten. Sachsen-Anhalts Ressortchef Thomas Webel (CDU), derzeit Chef der Länder-Bau- ministerkonferenz, mahnte: „Wir brauchen eine Pause, ansonsten wird Bauen zu teuer.“ Die Bundesregierung bastelt nämlich an einer weiteren Verschärfung. Da super abgedichtete Neubauten innen nicht selten schimmeln, sollen Lüftungsautomaten zur Pflicht erhoben werden. Mieter dürften dann nicht mal mehr die Fenster öffnen.

Ein weitaus größeres Problem sind die älteren Häuser, die sogenannten Bestandsbauten. Um die Energiesparziele zu erreichen, müssten jährlich zwei bis drei Prozent der Gebäude energetisch auf Vordermann gebracht werden. Tatsächlich passiert das gerade mal bei etwa einem Prozent.

„Die Eigenheime sind ein schlafender Riese“, ist der gängige Slogan aller Ministerien und Energieagenturen. Doch so müde ist der Riese gar nicht, er ist nur misstrauisch geworden. Das hat Gründe.

Erstens: Die Energiepreise für Gas und Öl sind derzeit im Keller, die Baupreise aber wegen des anhaltenden Booms so ziemlich unterm Dach. „Das Sanierungsinteresse ist erlahmt“, berichtet Holger Neumann, Landeschef von Haus und Grund in Sachsen-Anhalt. Erdgaspreise liegen seit Jahren unter denen von 2008. Heizöl wurde binnen weniger Monate sogar um 30 Prozent billiger.

Zweitens: Bundesregierung und etliche Energieagenturen gehen oft von unrealistischen Energieverbräuchen aus. Laut aktueller Energieeinsparverordnung (EnEV) sollen in einem sanierten Einfamilienhaus im Jahr idealerweise nur noch gut 6000 Kilowattstunden Heizenergie anfallen. Da hat sich eine 30.000-Euro-Investition dann schon nach gut 15 Jahren rentiert. Angeblich.

In Wirklichkeit liegt der Verbrauch selbst mit neuen Fenstern und modernen Kesseln oft mehr als doppelt so hoch. 15.000 Kilowattstunden (1500 Liter Öl) geben Stadtwerke und Preisportale als durchaus üblich für ein Einfamilienhaus an. Und aus 15 Jahren werden dann schnell 30 Jahre Amortisationszeit. Eine Ursache: Die wenigsten finden es gemütlich, bei 19 Grad in Pullover und Schafwollsocken vor dem Fernseher zu sitzen.

Selbst Fachleute, die klimafreundliche Technologien sehr mögen, plädieren für realistischere Werte. Das Freiberg-Institut in Sachsen etwa entwickelt Modellhäuser, die vollständig mit Sonnenenergie auskommen. Auch bei der Raumwärme wurde viel ausprobiert. Doch Geschäftsführer Konrad Uebel kommt zum Schluss: „21 bis 22 Grad sind nötig, um es behaglich zu haben.“ Und der Energie-Dienstleister Techem Eschborn schreibt in seiner jüngsten Studie: „Aufgrund des nach wie vor in vielen Amortisierungsrechnungen nicht berücksichtigten tatsächlichen Endenergieverbrauchs bzw. des realen Nutzerverhaltens tragen sich Sanierungsmaßnahmen oft nicht im erwarteten Umfang.“

Drittens: In Ostdeutschland haben die meisten nach der Wende die Kohleöfen rausgeschmissen. Doch die Technik ist schon wieder überholt, mittlerweile sind energiesparende Brennwertkessel angesagt, die aber schnell mal 5000 bis 8000 Euro kosten.

Hinzu kommt ein weiteres Problem: Viele haben moderne Fenster eingebaut, aber sonst nicht viel unternommen. Da die dichten Fenster nahezu nichts mehr durchlassen, kriecht feuchte Innenraumluft in die ungedämmten und oft zu kalten Wände: Es schimmelt. „Da wäre eine Dämmung nötig“, sagt Architekt und Energieberater Hans-Joachim Döll. Doch wer in den 90er Jahren alles durchsaniert hat, hat weder Lust noch Geld, von vorn anzufangen. „Gerade bei Leuten ab Ende 50 geht das gegen null“, berichtet Döll.

Viertens: Hemmend wirkt auch die Demografie. Selbst Ältere, die über ein paar Rücklagen verfügen, überlegen es sich dreimal, ob sich der Aufwand noch lohnt. „Ob die Kinder das Elternhaus später übernehmen oder es gut verkaufen können, ist gerade auf dem Lande oft ungewiss“, sagt Marko Mühlstein, Chef von Sachsen-Anhalts Energieagentur (LENA). In begehrten Wohnlagen, vor allem in Städten, sei man da schon investitionsfreudiger.

Nun hat das Bundeswirtschaftsministerium überlegt, wie man den „schlafenden Riesen“ wecken kann. Zunächst wurden Hauseigentümer befragt, wo es hakt. Das übernahm die Deutsche Unternehmensinitiative Energieeffizienz (DENEFF) aus Berlin. Die größten Hürden: Der Preis sowie die Sorge, von schlechten Beratern und Handwerkern übers Ohr gehauen zu werden. „Vor allem Männer wollen genau verstehen, was warum gemacht wird“, sagt Susann Bollmann während einer Expertentagung der Landesenergieagentur. Fazit: Berater müssen besser werden. Und: Statt einer teuren Komplettsanierung ist für viele eine schrittweise Modernisierung besser.

Nunmehr lässt das Bundeswirtschaftsministerium einen „Individuellen Sanierungsfahrplan“ entwickeln: Eine Art Handbuch, mit dem Energieberater zusammen mit den Eigentümern ein auf Haus und Geldbeutel zugeschnittenes Konzept für die nächsten Jahre entwickeln. Im November soll das Werk vorliegen.

Doch damit allein ist es nicht getan. Mit Klimaschutz lässt sich kein Eigentümer hinterm veralteten Ofen vorlocken. „Damit motiviert man niemanden, in die Tasche zu greifen“, sagt Richard Häusler vom Berliner Kommunikationsberater Stratum. Und: „,Sanierung‘ klingt nicht sexy.“ Er rät Sachsen-Anhalt, eine pfiffige Kampagne zu entwickeln, damit geschulte Berater das Thema in die Nachbarschaft bringen. Ähnlich sieht das die Deutsche Energieagentur (Dena). „Wir müssen weg vom: ,Ich muss Energie sparen‘ und hin zum ,Ich will mein Haus verbessern und verschönern‘ sagt Odette Tubies. LENA-Chef Mühlstein denkt: „Wir müssen die Leute dazu bringen, dass sie ihr Haus wie ihr Auto behandeln: Mit dem geht man ja auch zum TÜV.“

In Sachsen-Anhalt sind sich die Ministerien jedoch einig, die Vorgaben nicht noch weiter zu verschärfen. Auch das Umweltministerium fährt die moderate Linie: „Klimaschutz muss bezahlbar bleiben“, sagt der für Klima und Energie zuständige Abteilungsleiter Michael Dörffel.

Doch so viel scheint klar: Die von der Bundesregierung angestrebte Offensive wird nicht billig. Wenn sich Experten ernsthaft in ein Haus vertiefen sollen, um einen soliden Fahrplan zu entwickeln, sind vierstellige Beträge zu kalkulieren. „Für 500 Euro kann da nichts Gescheites rauskommen“, sagt ein Fachmann.