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Geheimdienst Große Gefahr aus Russland

Die Witwe des ermordeten Ex-Geheimdienstmitarbeiters Litwinenko ist in Magdeburg zu Gast und spricht über Putins Machenschaften.

Von Emily Engels 30.05.2018, 12:00

Magdeburg l Zwei Anschläge auf russische Ex-Agenten in Großbritannien: Während das Gift-Attentat auf Sergej Skripal im März misslingt, stirbt Alexander Litwinenko 2006 an einer Vergiftung mit Polonium. Seine Witwe Marina Litwinenko macht Putin für den Tod ihres Mannes verantwortlich. Im Interview mit Emily Engels und Gert Glowinski spricht sie über die Parallelen zum hochaktuellen Fall Skripal, der für Spannungen zwischen Russland und dem Westen sorgt.

Volksstimme: Sie werden dieser Tage viel auf den Fall Skripal angesprochen. Wie viele Parallelen weist dieser tatsächlich zur Vergiftung Ihres Mannes auf?

Es gibt eine große Gemeinsamkeit: Es geht um zwei russische Männer, beide haben für den Geheimdienst gearbeitet. Und sie wurden beide auf britischem Boden vergiftet. Aber es gibt aber auch Unterschiede. Zunächst einmal hat Sascha – so nenne ich meinen verstorbenen Mann Alexander Litwinenko – niemals als Spion gearbeitet. Auch war er nie als Doppelagent tätig. Sergej Skripal hingegen war beim Geheimdienst und auch Doppelagent. Er wurde angeklagt und hat drei Jahre in einem russischen Gefängnis gesessen.

Und ein weiterer wichtiger Unterschied: Mein Mann hat öffentlich gesagt, was er über die russische Regierung denkt.

Das tun Sie auch. Wurden Sie selbst jemals bedroht – oder haben Sie Angst davor?

Als ich angefangen habe, der Frage nachzugehen, wer meinen Mann ermordet hat, war ich bei jeder Gerichtsverhandlung dabei. Ich habe mich für weitere Ermittlungen eingesetzt und dann einen öffentlichen Untersuchungsbericht durchgesetzt. All die Zeit – jetzt schon über zehn Jahre – habe ich mich in Großbritannien nie bedroht gefühlt. Ganz anders in Russland. In meine Heimat kann ich leider nicht reisen, weil ich mich dort nicht sicher fühlen würde.

„Das radioaktive Gift Polonium 210 kam von der russischen Regierung. Dafür muss Putin sein Einverständnis gegeben haben.“

Was kann man als Einzelner tun im Kampf gegen die Propaganda eines ganzen Staates?

Ich halte es für wichtig, Menschen zu vermitteln, wie Propaganda funktioniert. Sie schadet nicht nur den Russen, sondern auch denen, die außerhalb von Russland leben. Russische Medien zählen für mich alle zur Propaganda – da sie vom Staat kontrolliert werden. Dabei müssten Menschen, die nicht einer Meinung mit der russischen Regierung sind, die Möglichkeit bekommen, ihre Meinung zu äußern und auch gehört zu werden.

Der Untersuchungsbericht sieht die Schuld am Tod Ihres Mannes klar bei Russland. Ihr Mann hat wenige Stunden vor seinem Tod Putin persönlich dafür verantwortlich gemacht. Ist damit die Aufarbeitung nun zu Ende?

Die polizeilichen Ermittlungen haben ein sehr eindeutiges Ergebnis erbracht. Andrej Lugowoi, ein Offizier des Geheimdienstes FSB, der heute im russischen Parlament sitzt, wurde eindeutig des Mordes überführt. Weil Russland ihn nicht ausliefert, konnten er und sein Mittäter nie vor Gericht gestellt werden. Dabei sprechen alle Hinweise dafür, dass sie es waren, die das Gift verabreicht haben.

Während der Untersuchungen wurden alle Hinweise aus den polizeilichen Ermittlungen öffentlich gemacht. Das war sehr wichtig, weil es für die Menschen, die zuvor gezweifelt hatten, jetzt erstmals handfeste Beweise gab. Und die Untersuchung hat noch mehr gezeigt. Und zwar, dass diese Straftat von der russischen Regierung begangen wurde. Denn der radioaktive Stoff Polonium 210 kam von der russischen Regierung. Das kann wiederum nicht ohne das Einverständnis von Präsident Wladimir Putin und Nikolai Patrushev, damaliger Direktor des Geheimdienstes FSB, geschehen sein.

In seinem Abschiedsbrief, den Ihr Mann im Sterbebett geschrieben hat, steht: „Sie können einen Mann verstummen lassen, aber nicht die ganze Welt.“ Aber ist nicht genau das geschehen?

Diese sehr starken Worte meines Mannes sind sehr wohl wahr geworden. Nach seinem Tod gab es viele Proteste – nicht nur in Russland, sondern auf der ganzen Welt. Und zwar nicht nur wegen der Vergiftung – sondern auch gegen die russische Regierung und Putin selbst. Denn er ist kein friedlicher Mann und das merken die Menschen jetzt. Sascha hatte mich seinen Worten recht.

Nach dem Giftanschlag auf Ex-Spion Sergej Skripal gab es Sanktionen, die bis heute anhalten. In Großbritannien und vielen weiteren Ländern sowie der Nato wurden russische Diplomaten ausgewiesen. Ein Schritt, den Sie sicherlich begrüßen?

Ich glaube, dass Russland überrascht darüber war, wie viele Länder sich an den Ausweisungen beteiligt haben. Jedes Mal, wenn Diplomaten aus Großbritannien oder anderen Ländern ausgewiesen wurden, war es eine starke Nachricht an Russland. Die könnte etwa so lauten: Wenn ihr an internationalen Beziehungen teilhaben wollt, müsst ihr euch dementsprechend verhalten. Als die britische Premierministerin Theresa May öffentlich gemacht hatte, dass das Nervengift, mit dem Skripal und seine Tochter vergiftet wurden, nachweislich in Russland hergestellt wurde, war die Reaktion Putins arrogant: Die Ermittler wurden nicht unterstützt.

Dieser Schritt belastet bis heute die Beziehungen zwischen Russland und dem Westen ...

Aber er war nicht ausreichend. Doch wir sollten nicht darüber sprechen, wie wir Russland verändern wollen, sondern darüber, wie wir uns schützen – das Leben der Menschen im Westen und das derer, die hier Schutz suchen. Und wenn es ein Land nicht schafft, eine starke Reaktion auf das Verhalten von Russland zu zeigen, kann es auch nicht die Menschen im eigenen Land schützen.

Und auch hier spielt Propaganda eine wichtige Rolle. Denn vor ihr müssen wir uns schützen. Propaganda ist ein Gift. Zwar kein Polonium oder ein Nervenkampfstoff. Dafür eines, das langsam die Fähigkeit abtötet, kritisch zu denken.

Wie stark ist die russische Regierung überhaupt auf gute Beziehungen zum Westen angewiesen?

Zunächst einmal finde ich es schwer, diese Menschen überhaupt als Regierung zu bezeichnen. Denn sie benehmen sich so, als würden sie vielmehr einer kriminellen Gang angehören. Für mich sind das alle Gangster. Diese kriminelle Gang tut alles dafür, vor den Menschen in Russland ein gutes Bild abzugeben. Wer hier die öffentlich-rechtlichen Sender sieht, wird schnell feststellen, dass jeder noch so kleine Erfolg hochgejubelt wird. Das funktioniert sogar auch dann, wenn Menschen festgenommen werden, nur weil sie anderer Meinung sind. Die russische Regierung hat die Einstellung: Wir machen unsere Geschäfte und werden immer akzeptiert, egal was wir tun. Das ist gefährlich. Denn wenn man sich nicht gegen Putins kriminelle Gang und ihren Machenschaften stellt, wird er bald auch im Westen das machen, was er will. Zum Beispiel die Ermordung von Journalisten und die Bestrafung von Menschen, die anderer Meinung sind. Um das klar zu sagen: Es reicht nicht aus, zu sagen, dass man damit nicht einverstanden ist.

Das ist auf dem diplomatischen Parkett aber schwer. Was raten Sie Angela Merkel im Umgang mit Russland?

Sie ist in einer sehr schwierigen Position. Denn in Deutschland hat die Wirtschaft eine sehr starke Stellung. Und die Beziehung zu Russland ist ihr sehr wichtig. Ich denke, es ist entscheidend, dass Angela Merkel mehr Stärke zeigt. Wladimir Putin nutzt die Schwächen seines Gegenübers aus. Je leichter Angela Merkel Abkommen mit ihm trifft, desto mehr wird er sie vereinnahmen. Und desto mehr wird er Deutschland und den Menschen hier schaden.

„Wladimir Putin sind seine Beziehungen zu Deutschland sehr wichtig. Denn unter guten Freunden macht man auch gute Geschäfte.“

Das klingt jetzt schon ein bisschen abenteuerlich. Welchen Einfluss hat Deutschland denn überhaupt auf Putin?

Für Wladimir Putin sind seine Beziehungen zu Deutschland und zu Angela Merkel sehr wichtig. Wenn er einen guten Kontakt zu Deutschland hat, fühlt er sich sicher. Denn unter guten Freunden macht man auch gute Geschäfte. Das bedeutet auch, dass sich Putin zum Schein demokratischen Spielregeln unterwirft. Das ist aber für ihn kein Problem.

Glauben Sie ernsthaft, dass vergleichbare Giftanschläge, wie sie in England zweimal passiert sind, in Deutschland passieren könnten?

Da möchte ich nicht gerne mutmaßen. Aber Fakt ist: Nur, weil mein Mann so lange gelebt hat, dass Polonium in seinem Körper nachgewiesen werden konnte, ist klar, was passiert ist. Polonium-Spuren wurden an vielen Orten Europas gefunden – darunter auch in Hamburg. Denn die Russen haben ein Gift gewählt, dass nicht nur für das Opfer schädlich war. Das ist skrupellos. Denn Polonium ist nicht nur tödlich für meinen Mann gewesen. Es war auch eine Gefahr für die Öffentlichkeit.

(Das Interview wurde auf Englisch geführt und ins Deutsche übersetzt.)

Marina Litwinenko spricht am Mittwoch auf einer Veranstaltung um 18 Uhr im Magdeburger Moritzhof, „Scheune“. Die Friedrich-Naumann-Stiftung lädt ein zu einem Forum mit dem Titel „Russland, die Demokratie und der Westen – Einblicke in einen autokratischen Staat.“ Der Eintritt ist frei.