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Geheimdienst Tillschneider verstärkt im Visier

Der Verfassungsschutz nimmt die AfD ins Visier. Mit Hans-Thomas Tillschneider steht ein Politiker aus Sachsen-Anhalt besonders im Fokus.

Von Michael Bock 08.02.2019, 00:01

Magdeburg l Die Bekanntmachung des Prüffalls durch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) erschwere „die Ausübung der parteilichen Tätigkeit“ in „erheblichem Maße“, zitiert die „Süddeutsche Zeitung“ aus der Klageschrift. Der Verfassungsschutz hatte vergangenen Monat die AfD insgesamt zu einem „Prüffall“ erklärt, bei dem offen zugängliche Quellen ausgewertet werden. Weil damit aber noch keine offizielle Entscheidung getroffen worden sei, fehle es dem Verfassungsschutz an einer juristischen Grundlage für diese „öffentlich-diskreditierende Mitteilung“, argumentiert die AfD.

Das BfV hat das mehr als 400 Seiten starke Gutachten als „Verschlusssache – nur für den Dienstgebrauch“ eingestuft. AfD-Politiker aus Sachsen-Anhalt haben sehr dazu beigetragen, dass der Geheimdienst die Partei verstärkt ins Visier nimmt. Allen voran der Landtagsabgeordnete Hans-Thomas Tillschneider. Nur der thüringische AfD-Landesvorsitzende Björn Höcke wird in dem Gutachten häufiger genannt. Ihnen wie auch dem früheren AfD-Landes- und Fraktionschef André Poggenburg wird ein eigenes Unterkapitel gewidmet.

Tillschneider, promovierter Islamwissenschaftler und AfD-Mitglied seit 2013, ist einer der „Flügel“-Mitbegründer. Einer radikalen Strömung in der AfD, welche der Geheimdienst – wie auch die Nachwuchsorganisation Junge Alternative (JA) – zum „Verdachtsfall“ erhoben hat. Gegen Mitglieder des „Flügel“ und der JA dürfen nun geheimdienstliche Mittel eingesetzt werden.

Der Verfassungsschutz sieht „stark verdichtete Anhaltspunkte“ dafür, dass es sich bei der „Flügel“-Sammlungsbewegung „um eine extremistische Bestrebung handelt“. Das durch den „Flügel“ propagierte Politikkonzept sei „auf die Ausgrenzung, Verächtlichmachung und weitgehende Rechtlosstellung von Ausländern, Migranten, insbesondere Muslimen, und politisch Andersdenkenden gerichtet“. Es verletze die Menschenwürdegarantie sowie das Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip. Die Relativierung des historischen Nationalsozialismus ziehe sich wie ein roter Faden durch die Aussagen der „Flügel“-Vertreter.

Ausführlich zitiert werden Höcke, Tillschneider und Andreas Kalbitz (Brandenburg) in dem Gutachten mit ihren Reden bei den alljährlichen Kyffhäusertreffen. So heißt es unter anderem: „In ihren Reden bekennen sich Höcke und Tillschneider und – eingeschränkt – auch Kalbitz in zahlreichen Äußerungen zu einer völkisch-nationalistischen Ideologie, die allein das Überleben des als historisch gewachsene, organische Einheit gedachten Volkes für wichtig hält, hinter dem das Wohlergehen des einzelnen Menschen zurückzutreten hat und die deswegen mit der Garantie der Menschenwürde nicht vereinbar ist.“ Begründet wird das Bekenntnis zu einer solchen völkisch-nationalistischen Ideologie zum Beispiel mit einer Rede Tillschneiders aus dem Jahr 2018. „Die deutsche Identität ist allumfassend“, sagte der in Rumänien geborene Mann seinerzeit. Es sei so, „dass alles, was es für uns gibt, alles, was wir mit unseren deutschen Augen sehen, deutsch ist. Unsere gesamte Weltsicht ist deutsch.“

Der Verfassungsschutz erklärt dazu, dies lege eine „Ausgrenzung und Abwertung von Menschen nahe, die diese Voraussetzungen nicht erfüllen, weil sie sich in irgendeiner Weise von der deutschen Mehrheitsbevölkerung unterscheiden. Auch Tillschneider ordnet also den einzelnen Menschen dem Volk unter.“

Tillschneider greife auf „vulgäre Ausdrücke“ zurück, er verwende „diffamierende Metaphern“, die Menschen zum Objekt degradierten, heißt es. Beispielhaft wird ein Satz des 41-Jährigen zum Islam zitiert: „In Westeuropa, in unseren kranken Gesellschaften, kann er sich einnisten, kann seine Parallelgesellschaften bilden, die wie ein Baumpilz am Stamm der deutschen Eiche wuchern, und damit ist der Islam letzten Endes doch nichts anderes als ein Symptom unserer eigenen Schwäche.“

Hervorgehoben werden auch Tillschneiders Verbindungen zur rechtsextremen Identitären Bewegung. Noch im vorigen September hatte er erklärt, dass sich deren Programm „nicht von den Zielsetzungen der AfD unterscheidet“. Danach geriet Tillschneider in den eigenen Reihen unter Druck. Die in der AfD als gemäßigter geltende „Alternative Mitte“ in Niedersachsen legte ihm den Austritt aus der Partei nahe. Tillschneider, der einst das Bundesverdienstkreuz für Pegida-Chef Lutz Bachmann forderte, bezeichnet Kritiker als „Erbsenzähler“.

Im sachsen-anhaltischen Landesverband stört das offenkundig niemanden. So verwies der ansonsten demonstrativ auf Abgrenzung zum rechten Parteirand bedachte Landeschef Martin Reichardt beim jüngsten AfD-Parteitag darauf, dass Tillschneider für Sachsen-Anhalt auf die Europaliste der AfD gewählt worden sei. „Wir verfügen über einen eigenen Kandidaten, der über die Partei hinaus als scharfer Denker, profilierter Bildungspolitiker und hervorragender Redner bekannt ist“, jubelte er. Das Vorgehen des Verfassungsschutzes wertete er als Versuch, „uns mit billigen und letztlich unlauteren Mitteln zu diskreditieren“. Den Etablierten sei jedes Mittel recht, „um unseren Aufstieg zu verhindern“, sagte er. AfD-Fraktionschef Oliver Kirchner spricht von „perfidem Machtmissbrauch der Altparteien“.

Tillschneider selbst hält Erkenntnisse und Wertungen des Verfassungsschutzes für „beliebig, bösartig und hochgradig absurd“. Sie seien „geprägt von Verdachtshermeneutik“, sagte er am Donnerstag der Volksstimme. „Ich suche eine sachliche Auseinandersetzung“, beteuerte er. Er wolle dazu mit den Bürgern ins Gespräch kommen.

Auch André Poggenburg, der inzwischen die neue Partei „Aufbruch deutscher Patrioten“ gegründet hat, wird in dem Gutachten eine Nähe zur rechtsextremen Identitäten Bewegung bescheinigt. Er habe persönlichen Kontakt zu den Akteuren. Erwähnt wird auch, dass Poggenburg in seiner Funktion als AfD-Landtagsabgeordneter einen ehemaligen Funktionär der 2009 verbotenen neonazistischen „Heimattreuen deutschen Jugend“ als persönlichen Referenten beschäftigt habe.

Im Gutachten taucht Poggenburgs Aschermittwochsrede vom Februar 2018 auf. Seinerzeit hatte er die türkische Gemeinde in Deutschland als „Kümmelhändler“ bezeichnet. „Diese Kameltreiber sollen sich dahin scheren, wo sie hingehören. Weit, weit, weit hinter den Bosporus, zu ihren Lehmhütten und Vielweibern.“ Nach dieser Rede verlor Poggenburg Landes- und Fraktionsvorsitz in der sachsen-anhaltischen AfD.

Auch der AfD-Bundestagsabgeordnete Jens Maier (Sachsen) findet unter der Überschrift „Revisionismus“ Eingang in das Gutachten mit diesen Sätzen: „Diese ganze gegen uns gerichtete Propaganda und Umerziehung, die uns einreden wollte, dass Auschwitz praktisch die Folge der deutschen Geschichte wäre. (...) Ich erkläre hiermit diesen Schuldkult für beendet, für endgültig beendet.“ Maier wurde unlängst in das Landesschiedsgericht der sachsen-anhaltischen AfD gewählt.