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Geldnot Kreise in der Klemme

Sachsen-Anhalts Landkreise stecken mit 310 Millionen Euro im Dispo. Was ist da los? Der Chef des Landkreistags erklärt das Dilemma.

Von Jens Schmidt 16.03.2020, 00:01

Magdeburg l Schlaglöcher, rissiger Asphalt, marode Brücken: Etwa die Hälfte des 4300 Kilometer langen Kreisstraßennetzes in Sachsen-Anhalt ist dringend sanierungsbedürftig. Gutachterlich bestätigt ist ein Investitionsstau von einer Milliarde Euro. Verkehrsminister Thomas Webel (CDU) kennt die Lage und hatte daher schon eine rettende Idee: Die Landeskasse legt ein kommunales Straßenbauprogramm mit 80 Millionen Euro jährlich auf. Die Hälfte davon sollten die elf Landkreise bekommen. Der Gesetzentwurf war schon fertig, doch ausgerechnet die eigene CDU-Landtagsfraktion machte nicht mit.

Sie packte das Geld in einen anderen Topf: Der heißt Investpauschale. Damit kann jede Kommune bauen, was sie will, ob Straßen oder Sportplatz, ist egal. Die Fraktion wollte damit „ein kräftiges Signal an die Kommunen senden“, wie es in der Fraktionsspitze hieß. Das Problem: Bei diesem Geldtopf gibt es eine Verteilquote, die für die Landkreise recht mager ausfällt. Die Kreise bekommen nun 2020 nur 21 Millionen Euro und im Jahr darauf 26 Millionen Euro. Also nur gut die Hälfte von dem, was der Verkehrsminister in Aussicht gestellt hatte. „Das ist vollkommen unzureichend und total falsch“, sagt Michael Ziche (CDU) der Volksstimme. Er ist Landrat vom Altmarkkreis Salzwedel und zugleich Präsident des Landkreistags. Ziche kritisiert, dass die Koalition nicht nur die Mittel für die Kreisstraßen, sondern auch noch für die Landesstraßen gekürzt hat. „So kann das Ziel, gleichwertige Lebensverhältnisse herzustellen, nicht erreicht werden.“

Die Landräte stecken in einem Dilemma. Sie sind für Straßen, Kliniken, Soziales und weiterführende Schulen zuständig, es gibt aber keine kreiseigenen Steuereinnahmen. Die Anteile an Einkommens- und Umsatzsteuern gehen komplett in die Gemeinden. Auch Grund- oder Gewerbesteuern dürfen Kreise nicht erheben. Ihnen bleibt nur eine Quelle: Die Kreisumlage. Alle Gemeinden müssen diese an die Kreiskasse abführen. Das führt - trotz Konjunktur - regelmäßig zum Krach. Denn: Die Gemeinden stöhnen selber über steigende Bau- und Sozialkosten und haben zudem alte Kassenkredite zu tilgen. Fazit: Sie brauchen jeden Euro selber. Derzeit klagen 46 Gemeinden gegen die Umlagen, weil sie die Forderung der Kreise für unverschämt halten. Es geht um immerhin 120 Millionen Euro. In erster Instanz bekamen die Gemeinden Recht. Am Mittwoch entscheidet die zweite Instanz am Oberverwaltungsgericht Magdeburg. Sollten die Gemeinden recht behalten, müssten die Kreise wohl etliche Millionen abschreiben. Das täte jetzt besonders weh.

Denn die Landkreise mussten erst Ende Februar eine herbe juristische Schlappe hinnehmen, die teuer wird: Das Landesverfassungsgericht urteilte, dass die Landkreise sich mit 30 Prozent am Unterhaltsvorschuss für Kinder zu beteiligen haben. Und selbst dann, wenn der noch so sehr steigen mag. Der Vorschuss fällt immer dann an, wenn Väter die Alimente nicht zahlen können oder wollen. Dann tritt der Staat ein. Der Bund weitete das im Sinne vieler Alleinerziehender 2017 aus: Die Staatsalimente gibt es nunmehr für alle Kinder bis zum 18. Lebensjahr. Früher war es auf Sechs- bis 12-Jährige beschränkt. Die Folge: In Sachsen-Anhalt kletterten die Zahlungen von 36 auf 92 Millionen Euro. Die Kreise müssen nun 20 Millionen Euro mehr zahlen. „Die fürchterliche Botschaft ist: Bund und Länder haben eine tolle Idee, und die Kommunen müssen sehen, wie sie damit klarkommen“, sagt Ziche.

Zuständig sind die Landräte auch für die Krankenhausversorgung. Die Klinken sind nach Ziches Auffassung falsch finanziert. Die Häuser werden derzeit nach Fällen wie etwa Operationen bezahlt. In dünnbesiedelten Regionen funktioniert das nicht. Die Kliniken sollen zur„Grund- und Regelversorgung“ am Netz gehalten werden, sie kommen aber nicht auf genug Umsatz. „So widersprüchlich, wie das jetzt organisiert ist, ist das nicht mehr wirtschaftlich“, sagt Ziche. Manche Abteilungen wie Geburtshilfe seien schon am ersten Tag des Jahres in den roten Zahlen. Wenn man aber Kliniken in angemessener Reichweite von maximal 40, 50 Kilometern am Netz halten will, benötige man unabhängig von der Fallzahl eine Art Grundfinanzierung.

Außerdem fehle es an Investhilfen vom Land. Die sollen zwar ab 2022 von derzeit 45 auf 50 Millionen pro Jahr erhöht werden. Aber: „Das kommt zu spät und reicht nicht“, kritisiert Ziche. Er schätzt den Zuschussbedarf aus der Landeskasse auf 100 Millionen Euro pro Jahr.

Um die Bittstellerei zu beenden, wollen Landkreise eigene Einnahmen. Sie fordern etwa einen Anteil an der Umsatz- und Einkommenssteuer. Dann würden sie von einer Konjunktur direkt profitieren und bräuchten sich das Geld nicht über die streitbeladenen Umlagen von den Gemeinden holen. „Darüber reden wir seit Jahren. Aber es bewegt sich nichts“, sagt Ziche.

Derzeit stehen Sachsen-Anhalts Landkreise mit 310 Millionen Euro im Dispo. Das ist der zweithöchste Pro-Kopf-Wert in Deutschland. Ziche rechnet damit, dass man bis Jahresende weiter in den roten Bereich rutscht: Auf bis zu 345 Millionen Euro.