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Geschichte Anstößiger Ball in Magdeburg

Im November 1918 ging der Erste Weltkrieg zu Ende. In Magdeburg wurde das Tanzen wieder erlaubt - ein Ball stieß aber sofort auf Kritik.

Von Manfred Zander 18.11.2018, 12:05

Magdeburg l Am 12. November 1918 gab der anhaltische Prinz Aribert in Dessau den Thronverzicht der Fürstenfamilie bekannt. Der Regent sprach im Namen des minderjährigen Thronfolger Joachim Ernst. Damit endete die rund 900-jährige Herrschaft der Askanier. Das winzige Fürstentum war nun ein kleiner Freistaat in der großen Republik Deutschland.

Die war erst drei Tage alt und gleich zweimal ausgerufen worden: Einmal durch den Sozialdemokraten Philipp Scheidemann, ein anderes Mal durch den unabhängigen Sozialdemokraten Karl Liebknecht. Wilhelm II. hatte zuvor auf seinen kaiserlichen Titel verzichtet und war in die benachbarten Niederlande geflohen. Seine Truppen waren gerade dabei, sich in der Gegenrichtung erfolgreich vom Feind abzusetzen. Am 11. November um 11 Uhr unterzeichneten die Kriegsparteien im Wald von Compiègne einen Waffenstillstandsvertrag. Seitens der alliierten Mächte unterschrieb Marschall Ferdinand Foch, für die neue deutsche Republik der Zentrumsabgeordnete Matthias Erzberger.

„Die Waffen ruhen“, teilte die Volksstimme tags darauf auf der ersten Seite mit. Genau dies hatten acht Tage zuvor im Rotehornpark rund 40.000 Magdeburger gefordert. Ernst Wittmaack, Rudolf Beims und Otto Landsberg mahnten dabei, über über den Kriegsschluss hinauszusehen. „Des Volkes Wille muß ... bis in die letzte Amtsstube hinein oberstes Gesetz sein“, fasste die Volksstimme die Reden der einheimischen SPD-Führer zusammen. „Die Zeit ist angebrochen, da die Demokratie auch in Deutschland für alle Zukunft verankert werden muß.“

Der 9. November war ein Sonnabend und ein strahlender Tag. „Kaiserwetter“, hätte es noch vor ein paar Tagen geheißen. „Revolutionswetter“ schrieb nun die Volksstimme. Unter dem Titel „Die Revolution in Magdeburg“ berichtete das Blatt. Etwa 200 Soldaten einer Genesenen-Kompanie seien aus der Encke-Kaserne in die Innenstadt marschiert. Weitere Soldaten und auch Zivilpersonen schlossen sich an.

Am Bezirkskommando in der Alten Ulrichsstraße von Magdeburg wurden Arrestanten befreit. Aktenbündel flogen auf die Straße, Scheiben der Zellenfenster zersplitterten. Am Generalkommando in der Augustastraße wurden die Offiziere entwaffnet. Der stellvertretende kommandierende General untersagte bewaffneten Widerstand: „Die Bewegung soll unblutig verlaufen.“

Am Nachmittag wehte am Rathaus eine rote Fahne. Auch die Volksstimme flaggte rot von den Balkonen ihres Geschäftshauses in der Großen Münzstraße. Ein Arbeiter- und Soldatenrat wurde gebildet. Er erklärte sich Tage später zum maßgebenden Rat für den Regierungsbezirk Magdeburg. Ähnliches gab es in Neuhaldensleben, Kochstedt, Halberstadt, Oschersleben, Staßfurt, Langenweddingen, Wernigerode und Tangermünde. „Die Revolution vollzog sich in musterhafter Ordnung“, hieß es in der Volksstimme über das Geschehen in Schönebeck. „In Ansprachen der Genossen Senkseil, Ladebeck und Popken wurden die ... Mengen ermahnt zur Ruhe und Ordnung.“

Nicht ganz so musterhaft verlief es in Stendal. Dort habe „sich der Generalmajor Krause (der Garnisonsälteste, d. Verf.) den mit Erlaubnisscheinen vom Arbeiter- und Soldatenrat versehenen Soldaten widersetzt, sie mit dem Revolver bedroht und Maschinengewehre auffahren lassen“, berichtete die Magdeburgische Zeitung in der Abendausgabe vom 9. November. „Daraufhin haben auf Anordnung des Arbeiter- und Soldatenrates ... die Stendaler Betriebe die Arbeit eingestellt.“ Der Oberbürgermeister habe schließlich den General aufgefordert, von seinem Posten zurückzutreten.

Erstes Revolutionsopfer wurde auf dem Magdeburger Zentral-Bahnhof ein Marine-Feldwebel. Weil er sich weigerte, dem Befehl des diensthabenden Bahnhofsoffiziers zu folgen, schoss ihn dieser mit einem Revolver nieder. Der Feldwebel wurde schwer verwundet.

Es ist eine gute Zeit, um alte Rechnungen zu begleichen. Aus Burg berichtete die Volksstimme am 14. November: „Ein Schmierfink oder Kranker belästigt mit anonymen Droh- und Schmähschriften Beamte, Vertreter der Stadt und Parteigenossen!“ Tätlich wird es in der Magdeburger Altstadt. Soldaten und Matrosen zwangen Offiziere, ein Café zu verlassen. Sie beriefen sich auf einen Auftrag des Arbeiter- und Soldatenrates. „Das ist, wie uns die Behörde mitteilt, natürlich unwahr“, enthüllte die Volksstimme.

Drei Tage später machte das Blatt selbst eine alte Rechnung auf, berichtete groß auf Seite 1 über ein als „Vertraulich“ gekennzeichnetes Schreiben des Magdeburger Polizeipräsidenten Kurt von Alten vom 26. September 1913. Darin hatte er zahlreiche Geschäftsleute bedrängt, in der in Magdeburg erscheinenden „Tageszeitung“ zu inserieren, deren Gesellschafter er war. Alten habe damit sein Amt missbraucht, betonte die Volksstimme, „um einen Druck auf Geschäftsleute auszuüben, damit diese ein politisches Unternehmen unterstützten“.

Der Beamte galt als Intimfeind der Volksstimme. Zu Kriegsbeginn war ihm die Zensur über die Magdeburger Zeitungen überwiesen worden. „Wir haben gelitten unter dem engstirnigen Polizeigeist, der seine Entscheidungen und Maßnahmen diktierte“, erinnerte sich der Verfasser des Beitrags, den er mit der Forderung ausklingen ließ: „Mit dem Geiste des Alten muß auch Alten verschwinden ... Aber etwas plötzlich.“

Mit der neuen Ordnung war das Leben nicht unbedingt leichter geworden. Immerhin war die „Veranstaltung öffentlicher Tanzlustbarkeiten“ vom Arbeiter- und Soldatenrat am 18. November wieder gestattet. Eine Freiheit, die nach Ansicht der Volksstimme bereits eine Woche später beim Ball im „Fürstenhof“ missbraucht wurde. „Man nennt ihn den Kriegsgewinnler-Ball. Die Veranstaltung erregte in weiten Kreisen Anstoß und führte zu zahlreichen Beschwerden beim A.- und S.-Rat.“ Der Ball fand in der Woche vor dem Totensonntag statt. In dem Beitrag wurde sie kurzerhand zur Totenwoche erklärt, in der „die Menschen im allgemeinen nicht erbaut sein können von derartigen Lustbarkeiten“.

Der Totensonntag fiel auf den 24. November. Ein paar Tage zuvor war eine erste Bilanz des Krieges bekanntgegeben worden. „Deutschland hat 1.580.000 Tote zu beklagen.“

Der Waffenstillstand hatte die Hoffnung vieler auf ein glückliches Wiedersehen genährt. Oft wurde sie brutal zerstört. Am 29. November gab eine Magdeburger Familie bekannt: „Anstatt der Heimkehr traf uns plötzlich und unerwartet der bittre Schmerz, daß unser einziger hoffnungsvoller Sohn, mein lieber Bruder, Enkel, Neffe und Cousin und mein herzensguter Bräutigam, der Pionier Otto Rolle ... am 4. November durch Brustschuß im 20. Lebensjahr diesem schrecklichen Völkermorden zum Opfer gefallen ist.“