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Geschichte Blutiger Märzanfang an der Saale

Vor 100 Jahren wurde der Krieg durch Waffenstillstand abgelöst. Sachsen-Anhalts Polizei beschäftigte sich mit dem Mord an einem Matrosen.

Von Manfred Zander 31.03.2019, 00:01

Halle l Die Hafenbahn ist sicher nicht das beeindruckendste der halleschen Verkehrsbauten. Aber am 21. März 1919 machte sie Schlagzeilen. Gegen 15 Uhr wurde dort eine Leiche aus dem Wasser gezogen. Die herbeigerufenen Polizeibeamten fanden schnell heraus, dass es sich bei dem Toten um den Obermatrosen Karl Meseberg handelte. Er war durch einen Kopfschuss getötetet worden.

„Die Fundstelle rechtfertigt die Vermutung“, hieß es tags darauf in den Hallischen Nachrichten, „daß die Ermordung Mesebergs mit der Tat, worüber die Kriminalpolizei bereits am 14. d. M. berichtete, in Verbindung steht.“ Damals hatten Passanten auf der Brücke zwei große Blutlachen entdeckt. Dabei handelte es sich um menschliches Blut.

Meseberg befehligte eine 270 Mann starke Matrosenkompanie. Sie galt als bewaffneter Arm des Arbeiter- und Soldatenrates. Der hatte unter der Führung der Spartakisten Otto Kilian und Bernard Koenen Ende Februar den Generalstreik ausgerufen. Tatsächlich wurde in zahlreichen mitteldeutschen Kohlegruben die Arbeit niedergelegt, wurden die Bahnverbindungen blockiert und die Lebensmittelzufuhr abgeschnitten.

Die Saale-Zeitung nannte am 26. Februar Hintergründe: „Wie aus den Äußerungen der verschiedenen Arbeiterausschüsse auf den Gruben hervorgeht, soll .. ein Druck auf die Regierung dahin ausgeübt werden, daß sie die von dem Bezirksarbeiterrat gewünschten Betriebsräte ... anerkennt, daß die Sozialisierung sofort in Angriff genommen wird und ... daß die gegenwärtige Regierung einschl. der Nationalversammlung zurücktritt.“

Es war die vorerst letzte Ausgabe der deutschnational gesinnten Zeitung. In einer Rückschau am 5. März erklärt sie: „Unser Blatt wurde unter die Vorzensur des Hallischen Arbeiterrates gestellt. Der Unabhängige Osterburg fungierte als Zensor“. Auch Otto Kilian habe in der Redaktion mehrfach gedroht: „Ich habe die vollziehende Gewalt, ich kann sie sofort verhaften lassen!“

Die Hallischen Nachrichten aus dem Münchner Huck-Verlag berichteten gleichfalls von einer Vorzensur der Spartakisten: „Doch wurde dieses Ansinnen von der Redaktion und dem Verlag entschieden abgelehnt.“ Alle Zeitungen mit Ausnahme des Volksblattes der USPD hätten das Erscheinen eingestellt. In Weimar beobachtete man das Geschehen mit wachsender Ungeduld.

Von Reichswehrminister Gustav Noske ist die Meinung überliefert, wonach in Halle „der Terror“ herrsche. Schließlich wurde Generalmajor Georg Maercker beauftragt, mit seinem Freiwilligen Jägerkorps in Halle wieder Ordnung herzustellen. Am 1. März rückte er mit 3000 Jägern von der kleinen Industriestadt Ammendorf aus in Halle ein.

Was dann geschah, wurde später je nach politischer Gesinnung verschieden beurteilt. „Wie sie rauben und plündern“, titelte das Volksblatt, das für wenige, aber wichtige Tage ein Informationsmonopol genoss, über den Einmarsch der Regierungstruppen. Maercker verhängte den Belagerungszustand, ließ den Hauptbahnhof und wichtige Gebäude besetzen und den Sicherheitsdienst entwaffnen. In der Hauptpost schlug der General sein Hauptquartier auf.

Er lud Koenen, Kilian und weitere Vetreter des Arbeiter- und Soldatenrates zu Verhandlungen ein und las ihnen die Leviten. „Wenn der Bahnverkehr gewaltsam unterbrochen wird, wenn Bahnbeamte und Arbeiter gemeinsam zum Verlassen ihrer Arbeitsstätte gezwungen werden, dann ist das keine Aufrechterhaltung der Ordnung“, zitierte die Saale-Zeitung den General. Den Rat forderte er auf, „sich dafür einzusetzen, daß die aufgehetzten Massen keine weiteren Vergehen oder Verbrechen begehen“.

Stattdessen verschärfte sich die Lage. Auf dem Marktplatz sei es zu Exzessen gekommen, schrieb die Saale-Zeitung. An der Barbarossabrücke wurde der in Zivil gekleidete Maerck-Begleiter Oberleutnant Robert von Klüber von einer erregten Menschenmenge erkannt, umgebracht und in die Saale geworfen.

Andere Tote haben kein Gesicht. Ein 13 Jahre altes Kind starb bei einem Schusswechsel, eine Frau, als sie Diebesgut nach Hause tragen wollte. In den Kaufhäusern am Markt seien am Abend des 2. März alle Räume ausgeraubt worden, schrieb die Saale-Zeitung, als sie am 4. März wieder erschien. Ebenso die Geschäfte in der Ulrichstraße, der Geiststraße, in der Leipziger Straße und am Steinweg. Geraubt wurden Kleiderstoffe, Wäsche, Pelzwaren, Schmucksachen, Uhren, Hüte, Lebensmittel und Zigarren. „Offen trugen sie (die Plünderer, d. Verf.) ... die geraubten Waren in Bündeln, in Kiepen und Körben davon, ... einzelne gebrauchten sogar Handwagen. Vielfach ermunterten einander die Nachbarn, sich am Stehlen zu beteiligen. Es war ein Rausch“.

„Furchtbares hat die Stadt erlebt“, blickte Chefredakteur Konrad Pohl am 4. März in den Hallischen Nachrichten zurück. „Zwei Nächte lang ist die Stadt der Spielball zuchtloser Banden gewesen. Während sich zwischen Spartakisten und Regierungstruppen heftige Kämpfe abspielten, hatte der Pöbel die Herrschaft an sich gerissen und ganze Straßen ausgeraubt.“

So wurde es fast zur Nebensächlichkeit, dass am 2. März die neuen Stadtverordneten gewählt wurden. In Halle erreichte die von Volksblatt-Redakteur Paul Henning angeführte Liste der Unabhängigen die meisten Mandate. Auf Listenplatz zwei übrigens Korrektor Wilhelm Osterburg, der sich gerade als Zensor unbeliebt gemacht hatte. Die SPD errang sechs Sitze, die vereinigten Listen der bürgerlichen Parteien 32. Diese feierten, dass der Kelch einer absoluten Mehrheit der Unabhängigen an ihnen vorbeigegangen war. Und erste Stimmen forderten, die Wahl wegen der „schwierigen Verhältnisse“ zu annullieren

In Hettstedt schaffte es ein Unabhängiger sogar auf den Bürgermeistersessel. Mit 14 gegen zehn bürgerliche Stimmen gewählt, gelobte Albert Gehricke, dass sein Programm die Wohlfahrt aller Gemeindemitglieder sei.

Die Magdeburger hatten anders als die Hallenser gewählt. Dort blieben die Unabhängigen (sechs Sitze) bedeutungslos. 45 Sitze entfielen auf die Sozialdemokraten, 23 auf die Deutsch-Demokraten, je einer auf das Zentrum und einen Parteilosen, fünf auf die Deutsch-Nationalen.

Zum Aufreger wurde ein anderes Ereignis. Am 19. März nahm die Bürgerwehr bei mehreren namhaften Magdeburgern – Fabrikbesitzer Martin Paetz in der Beethovenstraße 3, Rechtsanwalt Eberhardt in der Winterfeldstraße 1 und Prokurist Richter von der Firma Schäffer & Budenberg in seiner Villa Lennéstraße – Hausdurchsuchungen vor. Dabei wurden mehrere Kisten mit Gewehren beschlagnahmt.

Am 21. März klärte die Kriminalpolizei auf: „Die polizeilichen Ermittlungen haben ergeben, daß die Waffen zur Bewaffnung der Mitglieder einer zu gründenden Einwohnerwehr bestimmt waren. Sie waren zu diesem Zweck von Vertrauenspersonen vorläufig sichergestellt.“ Die Gründung der Einwohnerwehr sollte mit Einverständnis des Reichswehrministers Noske erfolgen, teilte der Magdeburger General-Anzeiger mit. „Ihr Zweck sollte sein, bei Unruhen, hervorgerufen durch Spartakisten und deren Anhang, den friedliebenden Bürgern selbst und gegen Plünderungen Schutz zu geben.“

Lehren aus den blutigen Märztagen von Halle? In der Saalestadt war ein paar Tage zuvor der Wirt des „Volkspark“-Restaurants Emil Koch durch das Sonderkriegsgericht zu einem Jahr Gefängnis verurteilt worden. Bei ihm waren bei einer Hausdurchsuchung 34 Karabiner, und andere Waffen gefunden worden. Die hätte er nach einer Anordnung Maerckers bis zum 6. März abgeben müssen.

Koch musste die Haft sofort antreten. So fehlte er, als am 26. März im „Volkspark“ die Totenfeier für Meseberg stattfand. Im Anschluss wurde der Sarg von acht Matrosen zum Südfriedhof getragen. „Die ... Beerdigung wurde zu einer Massendemonstration der hallischen Arbeiterschaft“, hieß es tags darauf in den Hallischen Nachrichten. „Trotz des kalten Wetters und Schneegestöbers waren die Straßen von einer Menge Schaulustiger gefüllt.“

Noch herrschte Belagerungszustand. Den ließ Maercker erst am 30. März aufheben.