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GesundheitTuberkulose ist keine akute Gefahr

Im Interview äußern sich ein Amtsarzt Eike Henning und Tbc-Beraterin Anja Kränzel zu den jüngsten Tuberkulose-Fällen in Sachsen-Anhalt.

Von Janette Beck 30.10.2018, 00:01

Volksstimme: Herr Hennig, können Sie als Amtsleiter angesichts der jüngsten Entwicklungen noch ruhig schlafen oder verfallen Sie langsam in Panik?
Eike Hennig: Ich bitte Sie! In Panik verfallen wir im Amt nicht einmal bei einer echten Epidemie. Der Umgang mit Erkrankungen ist schließlich unser täglich Brot.

Aber ganz wegdiskutieren lässt sich das Thema auch nicht. Immerhin sind in diesem Jahr bereits 139 Sachsen-Anhalter an Tbc erkrankt – das sind mehr als 2017, als insgesamt 129 Fälle gemeldet wurden.
Henning: An den Fakten gibt es nichts zu deuteln, aber es ist falsch, einen Hype daraus zu machen und zu sagen: Alarm, die Krankheit ist zurück! Die Wahrheit ist, Tbc war in Deutschland nie weg. Mal erkranken mehr daran und mal weniger – im Durchschnitt sind es etwa 5500 im Jahr, in Magdeburg allein werden etwa 15 ansteckungsfähige Fälle im Jahr gemeldet. Ein besorgniserregender Anstieg ist aber auch aktuell nicht zu verzeichnen. Insgesamt sind die Zahlen stabil, deshalb kann ich auch ruhig schlafen.

Trotz des Anstiegs besteht also aktuell kein Grund zur Sorge?
Hennig: Nein. Lassen Sie mich das ganz klar sagen: Es besteht keine akute Gefährdung der Bevölkerung in Sachsen-Anhalt. Mit den aktuellen Tbc-Fällen lässt sich umgehen. Denn nach wie vor reden wir aus seuchenhygienischer Sicht über sehr wenige Erkrankte.

Die, wenn sie nicht behandelt werden, an Tuberkulose auch sterben können. Oder?
Anja Kränzel: Das ist schon richtig. Die Krankheit ist nicht ungefährlich. Es gibt keinen vernünftigen Impfstoff und auch keinen Schnelltest. Und unbehandelt stirbt statistisch gesehen jeder zweite Erkrankte. Deswegen, und weil Tuberkulose ansteckend ist, ist sie meldepflichtig. Die Behandlungsmöglichkeiten in Deutschland sind sehr gut, so dass die Tuberkulose auch ausheilt.

Ist die Ansteckungsgefahr bei Tuberkulose weitaus geringer als etwa bei Windpocken, Masern oder auch Grippe?
Hennig: Die Wahrscheinlichkeit einer Infektion mit Tbc-Erregern liegt gerade einmal bei 0,01 Prozent. Im Vorübergehen steckt sich also niemand an. Ob es zu einer Infektion kommt, hängt maßgeblich davon ab, wie lange und intensiv der Kontakt mit der erkrankten Person war.

In der öffentlichen Diskussion wird der Anstieg von Tuberkulose-Fällen in Deutschland in engen Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise gesehen. Stützen Sie die These?
Das Thema ist sensibel und ich möchte anmahnen, ganz genau hinzuschauen. Denn wir suchen ja auch verstärkt bei Asylbewerbern nach Tbc. Das ist gesetzlich vorgeschrieben. Jeder Flüchtling wird in Deutschland daraufhin getestet, weil wir wissen, dass es in einigen Ländern, auch außerhalb Europas, deutlich mehr Tuberkulosen gibt. So kann unverzüglich eine Behandlung beginnen.

Lassen sie uns zu den aktuellen Fällen kommen. Im Zuge der Tbc-Erkrankung eines Hermes-Mitarbeiters wurden insgesamt 500 Kontaktpersonen aufgefordert, sich testen zu lassen – rund 300 stammen aus dem Bördekreis, 200 sind Magdeburger. Wie ist hier der Stand der Dinge?
Kränzel: Ich kann nur für die Magdeburger sprechen. Bei uns im Gesundheitsamt sind bisher erst 63 Personen vorstellig geworden. Von einem Drittel der Blutentnahmen liegen Ergebnisse vor - bis jetzt waren alle Tests negativ. Den Rest müssen wir abwarten.

Der Bördekreis gibt leichte Entwarnung. Dort wurden inzwischen bei 246 von 289 Kontaktpersonen Bluttests durchgeführt. 161 Ergebnisse liegen bereits vor. Eine Tbc-Erkrankung konnte bis jetzt ausgeschlossen werden. Erwarten Sie ähnlich gute Ergebnisse?
Kränzel: Wie erwähnt hängt das Ergebnis stark vom jeweiligen Personenkreis ab, der getestet wird. Stammen die Getesteten aus dem familiären Verband? War der räumliche Kontakt zum Erkrankten eng? Wo stammen die Testpersonen her? Im Grund gehen wir aber von ähnlichen Ergebnissen wie im Bördekreis aus.

Wer legt eigentlich den Kreis der Kontaktpersonen fest, der zum Test von den Behörden aufgefordert wird?
Kränzel: Das geschieht in Abstimmung mit dem Gesundheitsamt vor Ort und ist deutschlandweis geregelt. Die möglicherweise aufgenommene Keimmenge ist dabei von besonderer Bedeutung. Kontaktperson ist, wer mindestens 8 Stunden mit dem Erkrankten in einem geschlossenen Raum war – mehrere kürzere Zeiten werden addiert.

Wie groß ist das Risiko, dass jemand außer Acht gelassen wird?
Hennig: Sehr gering, weil der Kreis der Kontaktpersonen doch recht groß gefasst ist. Dennoch, eine 100-prozentige Ermittlung kann nicht erreicht werden.

Hat eine „enge Kontaktperson“ die Pflicht, der Aufforderung zum Test nachzukommen?
Hennig: Nein. Wer nach der ersten Aufforderung nicht zum Test erscheint, wird noch einmal angeschrieben. Man muss bedenken, dass diese Vorsorgeuntersuchung für die Bürger freiwillig ist.

Wann kann man frühestens getestet werden?
Hennig: Erst ungefähr acht Wochen nach einem Kontakt kann durch eine entsprechende Blutuntersuchung festgestellt werden, ob die körpereigenen Abwehrkräfte sich mit den Tbc-Bakterien auseinandergesetzt haben.

Was passiert genau bei einem Test?
Kränzel: Bei Erwachsenen wird in der Regel Blut abgenommen. Dieser Test untersucht spezifische Antikörper gegen die Tuberkelbakterien. Aber: Der Test sagt nur aus, dass der Körper Kontakt zu Tuberkelbakterien hatte, das kann auch ein Ereignis vor vielen Jahren gewesen sein.

Und was, wenn der Test positiv ausfällt?
Hennig: Werden Antikörper nachgewiesen, erfolgt eine Röntgenuntersuchung der Lunge. Neun Monate später nochmals eine und wiederum ein Jahr danach nochmals eine. Das alles dient der Vorsorge. Denn wie gesagt, nur ein sehr geringer Teil der positiv Getesteten erkrankt auch – häufig auch innerhalb der ersten zwei Jahre.

Wie wird eine Lungentuberkulose behandelt?
Hennig: Der Erkrankte wird stationär isoliert und bekommt über einen längeren Zeitraum verschiedene Antibiotika. Bis die Krankheit wirksam zu Ende behandelt ist, dauert es mindestens sechs Monate. Aber die gute Nachricht ist: Nach 21 Tagen Antibiotika-Behandlung besteht oftmals keine Ansteckungsgefahr mehr. Das wird durch die behandelnden Ärzte entschieden.