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Grabpflege Magdeburgerin sorgt für Ort des Friedens

Die Magdeburger Landschaftsgärtnerin Susan Krüger schafft in Sachsen-Anhalt Lebendigkeit auf Friedhöfen und Gräbern.

Von Bianca Kahl 16.11.2018, 23:01

Magdeburg/Haldensleben l Eine Gruppe von Frauen steht im „Weißen Garten“ in Haldensleben, schaut sich um und unterhält sich angeregt. Es sind ehrenamtliche Trauerbegleiterinnen. Eine von ihnen ist die Künstlerin Manuela Moritz. Als Mittel zur Trauerbewältigung hat sie einen Trauergarten erdacht. Er enthält ein Labyrinth, das den Weg der Trauer symbolisiert, aber auch andere Elemente wie Erde, Stein und Wasser. Sie war ganz überrascht, als sie in der Nähe ihrer Wohnung im Weißen Garten ihre Vorstellungen wiederfand. „Hier gibt es sogar eine Holzmauer, die wie eine Klagemauer sein könnte“, weist sie ihre Mitstreiterinnen auf die Gestaltung hin.

Nicht weit entfernt, auf einer Bank, sitzt Susan Krüger. Die freiberufliche Garten- und Landschaftsplanerin hat diesen öffentlichen Garten konzipiert. Nicht als Trauergarten, sondern als vielseitigen Ort, wo man in der Innenstadt zur Ruhe kommen oder auch schöne Feste veranstalten kann. Die einzelnen Räume sind von weißen Blüten gesäumt und überall laden lauschige Plätze dazu ein, sich niederzulassen. Dass Manuela Moritz hier einen Ort der Heilung und des Trostes wiedererkennt, freut sie sehr. Denn ganz unbeabsichtigt spiegelt ihre Handschrift hier offenbar wider, was sie schon lange beschäftigt: Trauer im öffentlichen Raum.

Vor einigen Jahren war Susan Krüger damit konfrontiert, mehrere kommunale Friedhöfe umzugestalten. Damals begann sie, selbst viel über den Tod nachzudenken und sich tief in die Welt von Trauer und Friedhöfen einzugraben. „Mir wurde plötzlich bewusst, dass der Tod in meinem Leben gar keinen Platz hatte“, denkt sie laut nach. Früher war er ein ganz natürlicher Teil des Lebens. Verstorbene wurden in der Stube aufgebahrt und alle Nachbarn und Freunde kamen, um sich zu verabschieden. Heute ist der Tod ein Tabu. Er wird so lange aus dem Bewusstsein ausgeblendet, bis er vielleicht aus heiterem Himmel ins Leben hineinstürzt. „Wenn jemand sterben würde, den ich liebe, wäre ich unter großem Zeitdruck mit Fragen konfrontiert, die ich nicht mal in glücklichen Tagen gut beantworten könnte. Ich glaube, so geht es den meisten Menschen“, sagt Susan Krüger.

Dann werden in kürzester Zeit Entscheidungen gefällt, mit denen man anschließend sehr lange leben müsse. Zum Beispiel über eine anonyme Bestattung auf der grünen Wiese und später gibt es keinen Platz, an den man gehen könne in seiner Trauer. Doch braucht es diesen Platz überhaupt? Immer mehr Menschen wünschen sich, dass ihre Asche einmal auf See oder in der Natur verstreut werden soll.

So vieles verändert sich in der europäischen Trauerkultur. Menschen aus anderen Kulturräumen bringen ihre eigenen Bestattungsriten mit. Ein italienisches Designunternehmen bietet abbaubare Urnen in der Form von Eiern an, über denen Bäume wachsen sollen. Größere Gefäße sind so konzipiert, dass man darin in Fötushaltung bestattet werden kann. Die Designer träumen von Friedwäldern anstelle von Steinfeldern.

„Der Friedhof sollte – wie der Name schon sagt – ein Ort des Friedens sein“, findet Susan Krüger. Ein Ort, an dem man offen seine Gefühle zeigen und traurig sein darf. Aber auch fröhlich. Ein Ort, an dem man Halt findet und den man wieder friedlich und mit sich selbst im Reinen verlässt.“

Wenn der Tod schon keinen angemessenen Platz mehr im Leben hat, könnte das Leben doch mehr an den Ort der Toten geholt werden, findet sie. Die Gestalterin ließ ihre Erkenntnisse zum Thema Leben mit Trauer in die Pläne für hiesige Friedhöfe einfließen. Sie träumte von freundlichen Orten und individuellen Lösungen. Doch sie scheiterte an strengen Vorschriften, klammen Kassen, bestehenden Verträgen und gesellschaftlichen Tabus.

Die Pflicht, Verstorbene auf einem Friedhof fern von dichter Bebauung zu bestatten und ihre Gräber mehrere Jahre zu erhalten, wird immer wieder diskutiert. Bremen ist das erste Bundesland, wo man eine Urne auch im eigenen Garten bestatten darf. Die Friedhöfe sollten die Menschen einst vor ansteckenden Seuchen schützen. Über Jahrhunderte entstand auf diese Weise ein eigener Kulturraum – vom kunstvollen Handwerk der Steinmetze und Floristen bis hin zu Ritualen, wie wir unsere Lieben beerdigen und ihnen gedenken. Der Friedhof kann auch ein Treffpunkt sein. Ein Platz, an dem man Bekannte wiedersieht und mit anderen ins Gespräch kommt. Es gibt sogar eine Initiative, die den Kulturraum Friedhof auf der UNESCO-Liste des immateriellen Kulturerbes sehen will.

„Doch unser Verständnis von Trauer und Bestattung verändert sich“, findet Susan Krüger. „Unsere Lebensumstände sind anders. Friedhöfe, wie wir sie bisher kennen, können da nicht mehr mithalten.“ Sie erklärt, dass Familien oft in alle Winde zerstreut leben. Wenn die Jungen dann die Alten in der Heimat besuchen, geschieht das zu Familienfesten oder anderen Anlässen. Gemeinsam auf den Friedhof zu gehen, steht meist nicht auf dem Plan. Die Zeit und die Gelegenheiten, um ein Grab zu pflegen, fehlen oftmals im Familienalltag. Und im Zeitalter der Digitalisierung lohnt es sich durchaus, über virtuelle Friedhöfe und Internet-Gedenkstätten zu sprechen, die jeder jederzeit auf der ganzen Welt besuchen kann.

Auf den realen Friedhöfen bleiben jedenfalls viele Flächen unbelegt: Sie wurden einst für einen größeren Bedarf geplant. Doch die Bevölkerungszahlen gehen zurück und die Feuerbestattungen nehmen zu. Eine Urne in einer Säule braucht aber viel weniger Platz als ein ganzes Familiengrab mit mehreren Särgen. „Die überflüssigen Flächen könnten schöne Parkanlagen sein, Orte der Freude, des Trostes und der Erholung“, sagt Susan Krüger. Sie könnte sich auch ein schönes Café vorstellen oder sogar einen Spielplatz. Doch dafür scheint es noch keinen Platz zu geben in den Köpfen der Menschen. Stattdessen herrscht Totenstille. Immer seltener trifft man eine Menschenseele und die Atmosphäre auf den Friedhöfen bleibt trist.

Doch Susan Krüger hat Hoffnung. Sie sieht eine Chance der Veränderung im Kleinen. Denn was Friedhof auch ist: Ein Ort, an dem sich kleine, private Gärten befinden. Es sind die letzten Gärten der Menschen – die auf den Gräbern. Hier fühlen sich viele unsicher bei der Bepflanzung. Sie denken mehr darüber nach, wie andere ihr bepflanztes Grab beurteilen könnten, als darüber, was den individuellen Charakter ihrer bestatteten Liebsten widerspiegelt. Viele haben Angst, dass sie die Pflege nicht bewältigen. „Das Ergebnis ist oft ein eintöniges Bild aus Heide und Cotoneaster“, bedauert Susan Krüger.

Sie hat es sich deshalb zur Aufgabe gemacht, mit ihrer kleinen Revolution der Friedhöfe genau dort anzusetzen: Bei den Bedürfnissen der einzelnen Menschen. Ihr Fachwissen über Pflanzen und deren Ansprüche setzt sie nun auch ein, um individuelle Bepflanzungssets zu entwerfen. Pflegeleicht und das ganze Jahr schön sollen sie sein, ja. Aber auch ein bisschen eigensinnig. Die Stauden-Pakete heißen „Lichtermeer“, „Leichtigkeit“ oder „Liebesgruß“. Die Grundidee ist, dass die Trauernden die Gräber eigenhändig pflegen können und auf diese Weise Trost finden. Auch, wenn sie nur wenig Zeit haben. „Es tut gut, auf diese Weise die Verbundenheit mit den Verstorbenen auszudrücken. Ich will Mut machen, kleine Lichtpunkte auf den Friedhöfen zu setzen“, sagt die Gestalterin. Denn wenn erste Ecken ein Lächeln in die Gesichter zaubern, könnte man ja vielleicht anfangen, über größere Veränderungen zu sprechen.

Ein Bewusstsein für das Thema ist bereits da. So lädt der Verband Deutscher Bestatter im Internet Menschen zum Mitdiskutieren ein: Was kann Friedhof alles sein und wie könnten diese Orte in Zukunft aussehen? „Irgendwie haben wir in Deutschland vergessen, wie wichtig es ist, zu trauern“, findet Manuela Moritz, die noch mit den anderen angehenden Trauerbegleiterinnen im Weißen Garten steht. „Erst jetzt, da immer mehr Menschen aus anderen Ländern zu uns kommen und zum Teil Furchtbares erlebt haben, denken wir wieder neu über dieses Thema nach.“ Trauern müsse man aber nicht nur über den Tod, sondern auch über andere einschneidende Erlebnisse wie Trennung oder Arbeitslosigkeit. Ihren „Befähigungskurs für ehrenamtliche Trauerbegleitung“ wird Manuela Moritz in den nächsten Tagen abschließen. Er wird von den Maltesern in Magdeburg im Rahmen ihrer umfangreichen Hospizarbeit angeboten und trägt dazu bei, Betroffenen zu helfen und dem Trauern einen angemessenen Platz im Leben einzuräumen. Dass diese Ausbildung vom Bund gefördert wird, zeigt, dass ein Umdenken bereits begonnen hat.

Der Bundesverband der Bestatter sucht Ideen, wie die Friedhöfe in Zukunft aussehen sollen: www.friedhof2030.de