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Großübung Bundeswehr evakuiert Touristen in der Altmark

Große Transportflugzeuge sind in Stendal gelandet: Der Grund ist die Truppenübung "Schneller Adler" der Bundeswehr.

Von Matthias Fricke 06.09.2018, 01:01

Stendal l „Das kannst Du vergessen, ich fliege nicht ohne Dich", schreit eine Frau aus der Gruppe von Touristen mit Tränen in den Augen. Ihre Begleiterin ist gerade kurz vor dem Einstieg in die Transall der Bundeswehr zusammengebrochen. Sanitäter kümmern sich um die Frau. Schwer bewaffnete Soldaten gehen in Deckung und beobachten die angrenzenden Wälder. In breitem Schwäbisch ruft ein Offizier der Gruppe Zivilisten zu: „Sie kommen alle in die Maschine, wirklich alle!" Er versucht dabei, die lauten laufenden Motoren der Transall zu übertönen. 71 Sitzplätze bietet die Maschine. Eine zweite steht bereits dahinter bereit.

Die Frauen und Männer sind deutsche Staatsbürger und sollen aus dem Fantasiestaat Aquilanien (für die Übung Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern) in einen sicheren Drittstaat ausgeflogen werden. In diesem Fall heißt er „Washinistan" (in der Realität Niedersachsen und Schleswig-Holstein).

Noch ist an diesem Übungstag der militärischen Evakuierungsoperation die Lage in dem Krisenland angespannt, aber ruhig. Doch das soll sich bald ändern.

In einem extra für die Übung gedrehten Fernsehbeitrag in englischer Sprache sind Unruhen, Feuer, Tote und Verletzte zu sehen. Das Auswärtige Amt hat alle deutschen Staatsbürger aufgerufen sich an Sammelpunkten einzufinden, damit sie ausfliegen können. Oberst Sascha Zierold erklärt das Szenario: „Am Mittwoch sind die ersten 155 Urlauber in Rostock mit einem niederländischen Schiff außer Landes gebracht worden. Heute hat sich die Lage verschärft. Deshalb werden die Urlauber unter militärischem Schutz ausgeflogen."
In den nächsten Tagen, so sieht es das Drehbuch vor, werde sich die Lage in Aquilanien dramatisch verschlimmern. Dann sollen auch Schüsse fallen. Die Soldaten verwenden dabei aber Manövermunition.

Der Flugplatz Borstel bei Stendal werde dann am Montag von Fallschirmspringern eingenommen und gesichert. Eine weitere dramatische Situation entsteht den Planungen nach bei Arneburg an der Elbe im Landkreis Stendal. Dort soll es dem Drehbuch nach zu einem Chemieunfall gekommen sein. Eine Spezial­einheit der Feuerwehr wird dort im Einsatz sein. Truppenteile setzen über die Elbe. Die Soldaten müssen dort eingeschlossene Deutsche und möglicherweise weitere EU-Bürger retten. Oberstleutnant André Forkert von der Division Schnelle Kräfte (DSK): „Das ist in der Relalität auch so, dass sich befreundete Länder helfen und bei freien Plätzen in der Maschine oder dem Schiff helfen."

Inzwischen entsteht auf dem Stendaler Flugplatz an einer neuen Schlange der deutschen Urlauber Unruhe. „Wir wollen endlich raus", schreien sie. Die Rollenspieler einer extra für die Übung engagierten Privatfirma haben zwar eine konkrete Vorgabe, können diese aber je nach Situation ausschmücken. Sie erhalten pro Einsatzstunde zehn Euro. Viele Altmärker sind unter den Statisten. „Sie kommen aber auch aus ganz Deutschland. Die haben bereits Erfahrung dabei. Wir wollen, dass die Situation so realitätsnah wie möglich ist, um im Ernstfall auf alles vorbereitet zu sein", sagt Oberstleutnant Forkert.

Wie auf Stichwort ruft einer der Kontrolleure bei der Durchsuchung des Gepäcks: „Waffe!" Die Soldaten gehen in Sicherheit. Doch Laienschauspieler Matthias Weihnrich aus Karlsruhe lässt sich die Pistole widerstandslos von den Feldjägern abnehmen.

Mitreisen darf der Mann trotzdem. Die Waffe wird sichergestellt. DSK-Oberstleutnant Kay Ullmann erklärt: „Es kommt in diesem Fall für uns an, dass wir sicher hier rauskommen. Im Zweifel holen wir alle erst einmal aus der Krise. Es gelten aber bei den Lufttransporten die gleichen Regeln wie in der zivilen Luftfahrt."

Die Soldaten unterstehen in einem echten Krisenfall bei einer Evakuierung dem Auswärtigen Amt. Die militärische Beratung erfolgt aus dem Einsatzstab der Bundeswehr im Auswärtigen Amt.

Eine der letzten militärischen Evakuierungen gab es vor sieben Jahren bei der Operation „Pegasus". Vor allem Mitarbeiter deutscher Firmen mussten damals aus Libyen in Sicherheit gebracht werden. „Zum Glück kommt so etwas nicht häufig vor. Aber wenn, dann wollen wir vorbereitet sein. Im Regelfall können wir uns keine Fehler leisten", sagt DSK-Oberstleutnant Forkert.

Sein Divisionskommandeur Generalmajor Andreas Marlow zeigt sich über den bisherigen Verlauf der Übung zufrieden: „Wir müssen natürlich später in der Summe alles auswerten, was schiefgelaufen ist, und sehen, wo wir etwas verbessern können." Die Division trainiert in Deutschland gemeinsam mit den Niederländern solche Einsätze recht häufig: In der Regel alle zwei Jahre mit unterschiedlichen Szenarien.

Die letzte Gruppe der zu Evakuierenden ist auf dem Weg zur Transall, als sich dunkle Gestalten aus einem Waldstück nähern. Jetzt muss alles schnell gehen. Erste Schüsse fallen. Der nächste Einsatz am Montag kann nur noch mit Fallschirmjägern erfolgen.

Die Transall-Maschinen fliegen nach Celle. Dort warten Busse, die die Statisten zurück nach Stendal bringen.