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Gründerpreis Die Stromer von Wittenberg

Die Jury verkündet: Den Deutschen Gründerpreis „Aufsteiger“ haben gewonnen: Daniel Hannemann und Simon Schandert, Tesvolt, Wittenberg.

24.09.2018, 23:01

Wittenberg l Simon Schandert kühlt sein Bein. „Da spielt man 23 Jahre lang Fußball, ohne sich zu verletzen und dann das ...“ Am Wochenende zuvor war er für einen Sportfreund des Fußballvereins seines Heimatortes Zahna (Wittenberg) eingesprungen, der sich beim Aufwärmen eine Blessur zugezogen hatte. Und dann das: Finger gebrochen, Bein kaputt.

Der Geschäftsführer beißt die Zähne aufeinander: Am Nachmittag wird Reiner Haseloff erwartet. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident möchte den erfolgreichen Jungunternehmern die Hand drücken und sich über Tesvolt informieren.

Die beiden Tesvolt-Geschäftsführer Simon Schandert (29) und Daniel Hannemann (32) kennen sich schon aus der Schulzeit. Beide gingen auf das Melanchthon-Gymnasium in der Lutherstadt – drei Altersklassen auseinander.

„Wiedergetroffen haben wir uns in Berlin“, erzählt Schandert. „Ich war an der Technischen Universität, Daniel an der Hochschule für Wirtschaft und Recht.“

Das Thema „Photovoltaik“ bringt sie zueinander. Also die direkte Umwandlung von Lichtenergie, meist aus Sonnenlicht, in elektrische Energie mittels Solarzellen.

„Unsere Grundidee war, autark vom Stromnetz zu sein, über Photovoltaik Energie zu speichern und eine Steuerung zu entwickeln, die dafür sorgt, dass die Batterie immer optimal be- und entladen wird.“

Eine Milliarde Menschen auf der Welt seien ohne Stromzugang, besonders in den Entwicklungsländern. „Heute werden dort immer noch in der Hauptsache Bleibatterien genutzt. Aber diese Stromspeicher haben viele Nachteile: geringe Kapazität, hohes Gewicht und umweltschädliche Säuren.“ Außerdem liege deren Überlebensdauer lediglich bei fünf bis sieben Jahren.

Das Duo aus Sachsen-Anhalt warf die Blei-Monster auf den Müll und setzte auf Lithium-Batterien: wartungsfrei, weniger platzintensiv, einfach zu installieren, effizient.

Doch der Stromspeicher allein macht die Innovation nicht aus. Das war für Schandert und Hannemann von Beginn an eine klare Sache. „Eine Lithiumzelle braucht eine Steuerung.“ Und Elektrotechniker Schandert, spezialisiert auf Batteriespeicher, erklärt bildhaft, was unter Batterie-Management zu verstehen ist: „Nehmen wir eine große Stabtaschenlampe mit mehreren Batterien hintereinander. Schwächelt nur eine, schwächelt das gesamte System, was zu geringerer Leuchtkraft führt.“

Die Batteriesteuerung von Tesvolt rückt genau dem Problem des „schwächsten Kettenglieds“ zu Leibe. Über sogenanntes Monitoring findet sie heraus, welches Element den anderen Stromspeichern hinterherhinkt, so dass es unkompliziert ausgetauscht werden kann. Schandert nennt es „aktiven Zellausgleich“, der sich nicht allein auf die 14 Zellen eines Batteriemoduls beschränkt. „Durch die Steuerung können auch die Batteriemodule untereinander optimiert werden.“

Der Batterie-Optimierer überwacht die Temperatur, die Spannung und den Ladezustand, was die Lebensdauer erheblich erhöht – bis zu 30 Jahre. Mit anderen Worten: Das System kann 8000-mal voll aufgeladen werden. Hinzu kommt, dass Tesvolt-Speicher mit einem Verhältnis von zugeführter zur abgegebenen Energie mit 92 Prozent Spitze ist.

„Unsere Vision ist bezahlbare Energie überall auf der Erde“, träumt Schandert voraus. Und mit Samsung (Lithiumbatterien) und SMA (Leistungselektronik) hat Tesvolt starke Partner im Boot.

Hannemann: „Heute verkaufen sich unsere Speicher für Gewerbe und Industrie auf allen Kontinenten.“ Und der Markt wachse weiter. Über 1000 Kunden nutzen bereits die Welt-Innovation aus Wittenberg. So hat Tesvolt 2017 dabei geholfen, während der Weltausstellung in Astana (Kasachstan) die Stromversorgung für das Expo-Gelände sicherzustellen. In West-Australien, gut 300 Kilometer von Perth entfernt, macht der Speicher eine Avocado-Plantage komplett unabhängig vom Stromnetz. Dasselbe gilt für eine Almhütte auf der österreichischen Seite der Zugspitze.

In Mali stellt Tesvolt für 250.000 Menschen in 50 Solarcontainern gespeicherten Strom zur Verfügung. Die 40-Fuß-Container mit zwei Photovoltaikanlagen und einem 60 kWh-Batteriespeicher liefern Strom für 20 Cent pro Kilowattstunde. Bisher mussten die Dorfbewohner bis zu 1,50 Euro pro kWh Strom bezahlen. Er wurde teuer von Dieselgeneratoren produziert oder ihnen stand überhaupt kein Strom zur Verfügung.

Zurzeit kümmert sich das Unternehmen aus Sachsen-Anhalt ums Oktoberfest in München. In einem Festzelt gibt das Elektrosystem in Spitzenverbrauchszeiten zusätzlichen Strom ab.

Schandert fasst unwillkürlich an das schmerzende Bein und verzieht sein Gesicht. Doch dann huscht schon wieder ein Lächeln über die Lippen der einen Hälfte des Wittenberger Dorf-Duos. Der 29-Jährige erinnert sich daran, wie der senkrechte Aufstieg des Unternehmens begann – wenig spektakulär und gar nicht raketenhaft.

„Die Werkstatt meines Vaters war der erste Arbeitsplatz. Die Bauern der Gegend hatten alle Notstromaggregate. Doch die Wartungskosten standen in keinem vernünftigen Verhältnis zu den geringen Einsatzzeiten.“ Ein Stromspeicher musste her, beschloss der Elektro-Spezialist. Die Entwicklung sprach sich in der Region herum und viele wollten solch ein Gerät, das den durch Sonnenenergie gewonnenen Strom speichern kann. Die Geburtsstunde des Tesvolt-Vorläufers. „Wir waren zur richtigen Zeit am richtigen Ort, um eine Nische zu besetzen“, sagt Schandert. „Glück war natürlich auch dabei.“

Mit dem E-Auto haben die beiden Geschäftsführer nichts zu tun – zumindest nicht, was die Speicher in diesen Fahrzeugen direkt betrifft. „Aber wir unterstützen die andere Seite“, so Schandert, die Ladestationen, mit einem sogenannten Outdoor-Schrank, einem wetterfesten Batteriespeicher, der neben den Stationen steht und unter anderem dafür gedacht ist, bei hohem Netzverbrauch Batteriestrom abzugeben.“

Die Erfolge verstellen den Jungunternehmern nicht den Blick für die Zukunft. „Eine Revolution steht bevor“, schaut Schandert voraus. „Die Ära der Feststoffbatterien neigt sich ihrem Ende entgegen. In zehn Jahren spricht niemand mehr darüber.“ Doch Tesvolt sei auf diese Entwicklung vorbereitet. „Im Schulterschluss mit den Unis gehen wir immer mit der Entwicklung mit.“

Im Parterre reitet die Putzkolonne ein. Staubsauger röhren, Wasser schwappt in Eimern. Das Verwaltungsgebäude im Gewerbegebiet am Ortseingang der Lutherstadt wird auf Vordermann gebracht. Der Metall-Glas-Zylinder „Deutscher Gründerpreis“ steht im Beratungsraum bereit. In drei Stunden kommt Haseloff.