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Güssau-Rücktritt Bizarrer Auftritt zum Schluss

Sachsen-Anhalts Landtagspräsident Hardy Peter Güssau ist von seinem Amt zurückgetreten. Hintergrund ist die Briefwahlaffäre in Stendal.

15.08.2016, 23:01

Magdeburg l Die Affäre um Landtagspräsident Güssau war eine 23 Tage lang währende Hängepartie. Eine Chronologie:

23. Juli: Unter der Überschrift „CDU-Spitzen tarnen Wahlbetrug“ berichtet die Volksstimme über Versuche der Stendaler CDU, eine Wiederholung der Briefwahl der Kommunalwahl vom 25. Mai 2014 und eine Strafanzeige wegen der Fälschung von Briefwahlvollmachten zu verhindern. Der Bericht stützt sich auf mehrere Handy-Nachrichten der Gruppe „CDU intern“, der der Stendaler CDU-Vorsitzende Hardy Peter Güssau, CDU-Kreischef Wolfgang Kühnel und der damalige CDU-Funktionär Holger Gebhardt angehören. Die Kommunikation ist Bestandteil der Ermittlungsakten bei der Stendaler Staatsanwaltschaft.

24. Juli: Güssau, seit April Landtagspräsident, reagiert am 24. Juli mit einer allgemeinen Erklärung. Kernsatz: „Ich bin kein Beschuldigter in einem Ermittlungsverfahren und ich habe mich auch zu keinem Zeitpunkt als Mittäter oder Teilnehmer einer Straftat schuldig gemacht.“ Diese erhalten aber nur der MDR und die Mitteldeutsche Zeitung. Auf Volksstimme-Fragen vor und direkt nach dem Artikel reagiert Güssau nicht. Erst am 25. Juli schickt er die Erklärung auf Nachfrage. Weiteres beantwortet er nicht. Linke, SPD und Grüne fordern nach Bekanntwerden der Vorwürfe, Güssau solle seine Rolle im Stendaler Wahlskandal erklären.

25. Juli: Aus der CDU-Landtagsfraktion heißt es, Güssau werde sich nach der Sommerpause zunächst in der eigenen Fraktion zu dem Thema erklären.

29. Juli: Der Landtagspräsident verkürzt seinen Urlaub. Der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) sagt Güssau, seine Zitate aus den Ermittlungsakten seien aus dem Zusammenhang gerissen worden. Einen Rücktritt schließt er aus: „Dann wäre das nicht mehr mein Land.“ Doch der Druck wächst: Über seinen Berliner Anwalt beantragt er Akteneinsicht bei der Staatsanwaltschaft. CDU-Landeschef Thomas Webel und Fraktionsvorsitzender Siegfried Borgwardt laden Güssau zu einem Krisengespräch am 2. August ein.

1. August: Die Ereignisse überschlagen sich nach einem erneuten Volksstimme-Bericht. Aus den Akten ergeben sich Hinweise, dass es auch Vertuschungsversuche bei der Beantwortung von Presseanfragen gegeben hat. Webel und Borgwardt ziehen das Treffen mit Güssau vor. Der Landtagspräsident kündigt an, die Fraktionen ab dem 4. August zu informieren. Er gehe „fest“ davon aus, dass er die gegen ihn erhobenen Vorwürfe entkräften könne, sagt er. „Wahrscheinlich werden wir uns peinlich berührt anschauen, wenn sich alles aufklärt.“ Inhaltlich äußert er sich nicht.

4. August: Güssaus Parteifreunde stärken dem Landtagspräsidenten nach einer Sondersitzung den Rücken. Für die SPD bleiben dagegen „wichtige Fragen unbeantwortet“, so Fraktionschefin Katja Pähle. SPD-Landeschef Burkhard Lischka fordert Güssau zum Rücktritt auf: „Herr Güssau sollte die nun schon über mehrere Wochen andauernde Hängepartei beenden und sein Amt niederlegen.“

5. August: Güssau spricht bei Grünen und AfD vor. Die AfD will einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Stendaler Briefwahlaffäre beantragen, die Grünen sprechen sich für die Einsetzung eines Sonderermittlers aus. Am Abend lädt der Landtagspräsident zum Pressegespräch mit ausgewählten Journalisten. Güssau: „Ich habe nicht vertuscht, nicht getarnt und nicht getrickst.“ Mit seinen Antworten kann er die Vorwürfe jedoch nicht entkräften.

9. August: Die Affäre wird zu einer Belastung für die Landesregierung. Die SPD droht im Koalitionsausschuss mit Koalitionsbruch, wenn es nicht schnell eine klare gemeinsame Linie gibt. CDU-Chef Webel schickt 14 Fragen an Güssau, die dieser bis zum 14. August beantworten soll. Parallel dazu kündigt Linken-Fraktionschef Swen Knöchel ein Abwahlverfahern gegen den Präsidenten an, falls dieser nicht zurücktrete. „Er soll das unwürdige Schauspiel beenden.“

10. August: Alt-Ministerpräsident Wolfgang Böhmer (CDU) schaltet sich ein. Güssau müsse die gegen ihn erhobenen Verdächtigungen aus der Welt schaffen: „Wenn er das nicht schafft, muss er die Konsequenzen ziehen.“

11. August: Der Rückhalt in der eigenen Fraktion bröckelt. Die CDU erwartet nach einer erneuten Sondersitzung, dass der Stendaler sein Amt aufgibt, wenn er in der Sondersitzung des Ältestenrates am 15. August mehrheitlich das Vertrauen verlieren sollte. Das Amt erfordere eine „hohe Akzeptanz“, allein die Unterstützung der CDU reiche nicht aus. Güssau lehnt einen Rücktritt weiter ab.

12. August: Die Affäre löst inzwischen ein bundesweites Medienecho aus. Auf der Online-Seite des Nachrichtenmagazins Der Spiegel heißt es: „Weil CDU-Landtagspräsident Güssau seinen Posten nicht räumen will, wackelt die schwarz-rot-grüne Koaltion in Magdeburg.“

14. August: Die CDU-Spitze redet dem Landtagspräsidenten in mehreren Gesprächen ins Gewissen. Auch Güssaus Antworten auf die 14 Fragen gehen bei CDU-Chef Webel ein. Neue Erkenntnisse liefern sie nicht. Webel appelliert öffentlich an Güssau, dass er das Votum des Ältestenrates „im Interesse der eigenen Person und des Amtes akzeptieren soll“.

15. August, 10 Uhr: Sondersitzung der SPD-Fraktion. Pähle erklärt: „Viele Sachen sind noch ungeklärt, ich gehe davon aus, dass das die CDU genauso sieht.“ Im Ältestenrat um 13 Uhr wolle man Güssau „beraten“, dann könne dieser „Konsequenzen ziehen“. Soweit kommt es nicht.

15. August, 11.30 Uhr: Der geschäftsführende Fraktionsvorstand der CDU trifft sich im Landtag mit Güssau. Dort erklärt der Landtagspräsident, dass er von seinem Amt zurücktreten wird. Mit angespannten Mienen gehen die CDU-Leute in die nächste Runde.

15. August, 12.10 Uhr: Vor der Ältestenratsitzung wollen sich die Spitzen von CDU, SPD und Grünen noch einmal abstimmen. CDU-Fraktionschef Borgwardt eröffnet den Koalitionspartnern, dass Güssau zurücktritt.

15. August, 12.35 Uhr: Güssaus Rücktrittserklärung wird versendet. Es herrscht hektisches Treiben auf den Landtagsfluren. Dutzende Journalisten sammeln Statements von Politikern aller Fraktionen. Güssau selbst will sich nicht weiter äußern.

15. August, 13 Uhr: Vize-Landtagspräsident Wulf Gallert (Die Linke) eröffnet die Sitzung des Ältestenrates. Der Landtagspräsident trifft verspätet ein. Güssau verliest vor den Mitgliedern seine Rücktrittserklärung. Dann sagt er: „Die Sitzung ist beendet.“ Güssau verlässt den Saal, die anderen machen weiter. Über den Abgang des Landtagspräsidenten schütteln viele Abgeordnete hinterher den Kopf. „Diese Art und Weise muss man nicht mehr verstehen“, sagt einer. „Das war schräg.“

Die Rücktrittserklärung von Hardy Peter Güssau (PDF):

Rücktrittserklärung von Güssau