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Handwerk „Mühlenflüsterer“ von Bismark

Etwa 160 Windmühlen gibt es heute noch in Land. Ulrich Blümner aus Bismark ist der einzige Mühlensanierer in Sachsen-Anhalt.

Von Bernd Kaufholz 21.07.2020, 01:01

Bismark l Gereizt habe ihn die Idee schon, denkt Ulrich Blümner 20 Jahre zurück. „Wilhelm Gille aus Gardelegen-Wiepke hatte mich damals angesprochen und gefragt, ob ich nicht seine historische Reichwaldsche Wassermühle, Baujahr 1693, im Ort reparieren kann. Ich hatte bis dahin als Zimmermann nicht viel am Hut mit Mühlen. Aber die Sache hat mich gereizt.“

Dass er sich während des Spezialauftrags mit dem „Mühlen-Virus“ infizieren würde, daran habe er nicht im Entferntesten gedacht, schmunzelt der 55-Jährige.

Blümner bohrte sich wie ein Holzwurm, der sich durchs Gebälk bohrt, durch Fachliteratur, machte sich mit der Geschichte der Mahlhäuser vertraut und fand nach einiger Zeit heraus, dass Mühlensanierung ein spannender Teil des Zimmermann-Handwerks ist.

„Das Besondere am Mühlenbau ist, dass es sich dabei um ein fast vergessenes Handwerk handelt mit einer hohen Spezialisierung. Die Mahl-Maschine mit hölzernem Getriebe und mit Holz-Mechanik muss mit absoluter Präzision behandelt werden. Sie verzeiht selbst den kleinsten Fehler nicht.“

Auch die verschiedenen Holzarten, die in einer Mühle stecken, seien eine Wissenschaft für sich. „Eiche für die tragenden Teile, Lärche für die Flügel und Außenverkleidung, Weißbuche unter anderem für Getriebeteile, außerdem Linde und Pappel.“ Das A und O sei, dass bei der Rekonstruktion alte und neue Teile absolut zusammenpassen müssen. Damit gemahlen werden könne, wie in der Hochzeit der Mühlen.

In der großen Werkstatt unter dem Büro ist David Wippich dabei, ein großes Flügelteil zu bearbeiten: zehn Meter lang, 24 mal 26 Zentimeter stark. Es gehört zum aktuellen Auftrag des einzigen Windmühlen-Sanierers zwischen Arendsee und Zeitz – Die Bockwindmühle im Freilichtmuseum Klockenhagen im Landkreis Vorpommern-Rügen (Mecklenburg-Vorpommern). Der Chef misst nach und nickt. Der erfahrene Geselle, den der Chef selbst ausgebildet hat, hat wie immer sauber gearbeitet.

„Man muss ein bisschen verrückt sein, wenn man Mühlen saniert“, lächelt Blümner seine Ehefrau an, die das Büro führt. Vor fast auf den Tag genau 30 Jahren hat er die Zimmerei in Bismark gekauft und mit Kirchensanierungen begonnen, ehe er auf die Mühle kam.

Inzwischen tragen rund 20 Mühlen das „Brandzeichen“ der Zimmerei Blümner. „Meine Auftraggeber sind Mühlenvereine und Kommunen, kaum Privatleute. Das ist natürlich eine Geldfrage. Denn preiswert ist eine Komplettsanierung nicht“, sagt der Handwerker. „Das teuerste Objekt bisher waren die Arbeiten an der Holländerwindmühle in Wittenburg im Landkreis Ludwigslust-Parchim (Mecklenburg-Vorpommern) im Jahr 2014. Die Sanierung hat mehr als 600 000 Euro gekostet. Zumeist läuft so etwas über Fördergelder für Mühlen- oder andere Vereine.“

Was den Preis in Wittenburg hochgetrieben habe, sei, dass der Mühlenunterbau, der aus acht Segmenten bestand, einzeln abgebaut werden musste und dabei die Mühle nicht umkippen durfte.“ Bildhaft beschreibt Blümner die Demontage eines Stuhlbeins, ohne dass der Sitz kippt.

Zimmermann Blümner hat von 1983 bis 1985 im Kirchlichen Bauamt in Magdeburg gearbeitet. Dort hat er sich speziell um die Sanierung von Kirchen gekümmert. Nach seiner Armeezeit studierte er an der Fachschule Magdeburg Bauwesen und machte später sein Diplom als Bauingenieur. 1990 kaufte er die Zimmerei in Bismark, die an derselben Stelle bereits seit 1938 betrieben wurde.

Wenn der 55-Jährige einen Sanierungsauftrag bekommt, verschafft er sich zuerst einen Gesamtüberblick. „Ich schaue mir vor Ort die Mühle an, mache mich mit der Geschichte des Objekts vertraut, um dem einstigen Originalzustand so nahe wie möglich zu kommen“, schildert er seine Vorgehensweise.

Oft stütze er sich auch auf den „Mühlensachverstand“ des Sachverständigen Rüdiger Hagen aus Wedemark in Niedersachsen, mit dem ihn eine langjährige Zusammenarbeit verbinde.

„Dann schätze ich den Zustand der Teile ein, die ersetzt werden müssen und mache eine Kostenaufstellung“, sagt er. Dabei komme es immer darauf an, ob die Mühle „betriebsfähig sein soll oder nur ein Schaudenkmal“.

Der Bismarker ist immer auf der Jagd nach alten Mühlenteilen. Dort, wo eine Sanierung keinen Sinn macht, wo es sich tatsächlich um Ruinen handelt, versuche ich wenigstens – soweit vorhanden – einige Teile zu retten, um sie aufzuarbeiten und bei Sanierungen wiederzuverwenden. „Goldstaub“ seien 1,2 Tonnen schwere, gusseiserne Wellenköpfe. „Die kann heute kaum noch jemand herstellen. Und wenn sich doch jemand finden würde, dann wären die Kosten der Spezialanfertigung viel zu hoch.“

Das Holz, das die Zimmerei für die Mühlensanierungen benötigt, kommt aus der Region. „Dabei unterstützt mich der Bismarker Revierförster Ingo Matthias. Er sucht die bis zu 250 Jahre alten Eichen in den Gutswäldern der Altmark aus, die für die stärksten Mühlenteile 60 mal 70 Zentimeter dick – gebraucht werden.“ Aber auch bei Versteigerungen finde er das Holz für die Mühlen.

Ulrich Blümner, seine zehn Gesellen und ein Lehrling sind die einzigen Mühlenbauer in Sachsen-Anhalt. „In Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern und in Niedersachsen gibt es die nächsten. Der Markt ist überschaubar. Zwar sind das Mitbewerber, wenn es um Aufträge geht, aber uns vereint die gemeinsame Liebe zur Mühle“, sagt Blümner.