Bekannter Filmemacher und Autor besucht seinen Geburtsort Halberstadt Hannelore Hoger liest Kluge-Texte
Halberstadt l Er ist ein Tausendsassa in der Film- und Fernsehwelt, ein enorm produktiver Autor und Drehbuchschreiber, ein nachdenklicher, aufmerksamer Beobachter. Alexander Kluge verfügt über ein profundes, unglaublich breit gefächertes Wissen. Das spiegelt sich in seinen bisherigen Arbeiten ebenso wie in seinen neuen Projekten wider.
Gestern nun war Kluge in Halberstadt. Hier ist er 1932 geboren und aufgewachsen, bis es ihn nach der Scheidung der Eltern 1946 nach Berlin verschlug. Aber Halberstadt besuchte er, bis zum Tod seines Vaters 1979, regelmäßig. So war es denn auch logisch, dass sich ein Teil der Texte, die er gestern gemeinsam mit der bekannten Film- und Theaterschauspielerin Hannelore Hoger las, mit Halberstadt beschäftigte. Als Ort der Lesung hatte das Nordharzer Städtebundtheater als Veranstalter die Martinikirche gewählt. Nicht nur, weil hier die Geschichte "Die Hyänen" aus Kluges "Chronik der Gefühle" spielt. Diese Kirche mit ihren unterschiedlich hohen Türmen ist als Bürgerkirche Symbol für etwas, was Kluge wichtig ist - ein Symbol von Beständigkeit und Wandel zugleich. "Reiche vergehen, die Menschen bleiben. Diese wunderbare Kirche und das in Halberstadt aufgeführte Werk von John Cage sind Dinge, die gehen über ein Menschenleben, weisen über Systeme hinaus", sagte er während der Lesung.
Über 370 Menschen folgten seinen Worten und der Musik, die Theaterintendant Johannes Rieger zwischen den Texten spielte. Dabei gelang es ihm, Musikkenner Kluge zu überraschen. Er spielte ein Klavierstück von Richard Wagner, "Von den schwarzen Schwänen". Kluge dazu: "Zum 200. Geburtstag von Wagner wird überall auf der Welt Wagner gespielt, aber nirgendwo auf der Welt hat einer dieses Stück gespielt. In Halberstadt wird es gespielt." Für ihn Anlass, auf die große Wagnertradition in Halberstadt hinzuweisen.
Seine Lesung schloss Kluge mit einem Text aus einem Buch, das im Herbst erscheinen wird. "Romeo und Julia in New York" erzählt die Geschichte eines Börsenmaklers, der aus seinem Büro im 46. Stock eines Hochhauses kommt, um an einem der vielen kleinen Stände vor dem Haus seinen Hunger zu stillen. Aus ihm und dem bildhübschen Mädchen aus Bang- ladesh am Stand wird trotz aller Anziehung kein Liebespaar. Die Ökonomie der Börse, der Anstrengung, stehe hier der Ökonomie des Lebendigen entgegen. "Man muss sich fragen: Wie kann man endlich ein Paar aus ihnen machen", sagte Kluge. Es würde der Welt gut tun.
Aktuell arbeitet Kluge mit dem britischen Staatsfernsehen BBC an einem Filmprojekt zur Geschichte der Menschheit zwischen 70 000 vor Christus bis heute, und an einem Buch, das den 30. April 1945 näher betrachtet.
Der Tag, an dem Hitler starb, ist für Alexander Kluge der Wendepunkt, an dem sich die Deutschen dem Westen zuwandten, "da wurde die Adenauer-Zeit vorbereitet".