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Höher, leiser, leistungsstärker

Von Jens Schmidt 11.12.2012, 11:00

Während die Politik stark auf Nordsee-Windstrom setzt, stemmen sich renommierte Mühlenbauer wie Enercon gegen diesen Trend. Das Unternehmen aus Aurich, das seinen größten Außenbetrieb in Magdeburg hat, baut auch künftig aufs Land. "Wir wollen die Anlagen dort aufstellen, wo der Strom benötigt wird", begründet Firmensprecher Felix Rehwald den Kurs.

Magdeburg ● Off shore-Windparks in der Nordsee liefern wegen der steifen Brise zwar nahezu ununterbrochen große Mengen Strom, der wird aber in Norddeutschland gar nicht verbraucht. Also müssen die
Energiemengen in den industrie- und einwohnerstarken Süden transportiert werden. Dazu sind große, teure Stromtrassen nötig. Die gigantischen Strombahnen mit ihren Riesenmasten stoßen auf Bürgerproteste. Und landschaftsschonende Erdkabel wiederum sind deutlich teurer.

Enercon hat mit kurzen Stromlieferwegen bessere Erfahrungen gemacht. "Kleinere Windparks vor Ort, bei denen die Bürger mitbestimmen können, haben eine größere Akzeptanz", sagt Rehwald. Zudem: Bei den regionalen Anlagen liegen deutlich niedrigere Stromspannungen an. Da seien dann sogar Erdkabel praktikabler.

Der Ausbau im Land stieß aber an Grenzen. In Süddeutschland, wo
viel Strom gebraucht wird, lehnten die Länder Windmühlen lange ab. Dort setzte man auf Atommeiler, deren Garaus nun aber beschlossene Sache ist. In Baden-Württemberg etwa sind derzeit gerade mal 500 Megawatt Windstrom aufgebaut. Im deutlich kleineren Sachsen-Anhalt sind es sieben Mal mehr. Niedersachsen liegt mit mehr als 7000 Megawatt an der Spitze der deutschen Länder. Doch in Schwaben weht nun ein anderer Wind, seitdem Grün-Rot am Ruder ist. Bis 2020 soll der Windanteil am Stromverbrauch in Baden- Württemberg von einem auf zehn Prozent anwachsen. Windanlagenhersteller sehen das gern.

Deutschland ist Windmühlen-Europameister und weltweit auf Rang drei. Etwa 30 Gigawatt (GW) Leistung sind hier aufgestellt, ein Drittel der gesamten Leistung in der Europäischen Union. Danach folgen Spanien (22 GW) und dann mit weitem Abstand Frankreich, Italien und Großbritannien (je 7 GW). China hält mit mehr als 60 Gigawatt den absoluten Weltrekord: Allerdings leben im Reich der Mitte fast 17mal mehr Menschen als in Deutschland. Nach China folgen die USA (47 GW), dann kommt schon Deutschland. Beim Strommix sind die Dänen vorn: Gut ein Viertel ihres Stromverbrauchs decken die Windräder. In Deutschland sind es 11 Prozent.

Windstrom ist der dominierende Ökostrom in Deutschland. Solaranlagen sind hinsichtlich der installierten Leistung mittlerweile genau so stark wie die Windmühlen, die Stromausbeute ist beim Wind
jedoch höher. Die Mühlen kommen auf 1700 Volllaststunden im Jahr, die Photovoltaikanlagen auf etwa die Hälfte.

Mit Volllaststunden kann die Stromernte gemessen werden. Beispiel: Eine Anlage mit einer Leistung von einem Megawatt liefert im Jahr 1000 Megawattstunden Strom. Das sind 1000 Volllaststunden. In Wirklichkeit drehen sich die Räder länger als diese 1000 Stunden, allerdings wird wetterbedingt nicht immer die volle Leistungskapazität ausgeschöpft.

Kraftwerke, die mehr als 5000 Volllaststunden schaff en, genießen bei Netzbetreibern und Stromhändlern besondere Wertschätzung: Diese Anlagen liefern verlässlich, nahezu schwankungsfrei Strom. Solche Kraftwerke gelten als grundlastfähig. Dazu zählen Kohlekraftwerke und Atommeiler. Unter den Ökostromerzeugern waren dies bisher nur Wasserkraftwerke und Biogasanlagen. Windparks im Meer, wie der deutsche Alpha Ventus in der Nordsee, kommen ebenfalls an den magischen Wert von 5000 Volllaststunden im Jahr heran. Weit draußen auf See bläst immer Wind. Jedoch sind nicht nur lange Kabel nötig, auch Bau und Wartung der Mühlen sind erheblich aufwändiger und sie stehen bei Umweltschützern wegen negativer Auswirkung auf Seevögel unter Kritik. Die Stromgestehungskosten liegen auf hoher See bei 12 bis 16 Cent je Kilowattstunde; Landmühlen erreichen schon 6 bis 8 Cent. Das ist schon nah am Börsenpreis von gut 5 Cent. Der deutsche Offshore Aufbau kommt auch wegen fehlender Anschlussleitungen schleppend
voran. Vorreiter sind hier die Briten. In der Irischen See steht der weltgrößte Seewind-Park.

Die Landwind-Fraktion ist dabei, die Stromausbeute zu verbessern. Dabei gilt: Je höher die Mühle, desto besser die Ernte. Im Enercon-Werk in Magdeburg wird die derzeit weltstärkste Windmühle für den Landeinsatz produziert: Die E 126. Die Nabe (die Nase in der Mitte der Mühle) hängt 135 Meter über dem Boden. Leistung: 7,5 Megawatt. Mehr als das Doppelte einer herkömmlichen Mühle. Nächstes Jahr soll eine Maschine mit 149 Meter Nabenhöhe folgen. Außerdem tüftelt Enercon an effizienteren Rotorblättern.

Repowering heißt die Devise fürs Flachland. Dabei gibt es zwei Wege: Entweder werden zehn alte durch zehn neue Anlagen ersetzt und die Leistung gesteigert. Oder: Zehn alte Mühlen werden abgerissen und
dafür drei neue hingestellt. Das schont die Landschaft und den Nerv der Anwohner. "Große Anlagen drehen langsamer, sind leiser, wirken ruhiger", sagt Rehwald.

Mit den großen Mühlen verfolgen die Hersteller auch strategische Interessen: Die sind für bergige Gegenden besser geeignet - also für die energiehungrigen Länder wie Hessen, Baden-Württemberg oder Bayern, dort, wo der neue Markt für Windmühlenhersteller liegt und mit Aufträgen lockt. Dennoch bleibt ein Problem: Die hohen Schwankungen des Land-Windstroms. Ein Auszug aus dem 2011er Tagebuch des Netzbetreibers 50Hertz belegt das - hier die Angaben für jeweils 7.15 Uhr: 31. Januar 117 Megawatt, 2. Februar 1705 Megawatt, 4. Februar 9161 Megawatt, 12. Februar 835 Megawatt. Wind kann auch nachts blasen, wenn kaum jemand Strom braucht oder er kann mittags abflauen, wenn der Bedarf hoch ist. "Insofern ist Solarstrom für uns Händler derzeit werthaltiger", sagt etwa Thomas Pietsch von den Städtischen Werken Magdeburg. Während die Solarstromkurve zwischen 10 und 18 Uhr eine recht gleichmäßige Glocke beschreibt, flattert die Windkurve durch die Zeit.

Um die Stromlieferungen zu verstetigen, werden Windparks mit Stromwasserstoff speicher gebaut wie in Werder-Kessin bei Neubrandenburg. Möglich ist es auch, Wind, Sonne und Biogas zu Kombikraftwerken zu verbinden. Solch ein Dreibund könnte deutlich verlässlicher Strom liefern.