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Intensivstation Wo es um das Überleben geht

Leben retten mit Hightech-Ausstattung: Einblick in die Intensivstation der Universitätsklinik in Magdeburg.

Von Uwe Seidenfaden 22.02.2020, 00:01

Magdeburg - An die 179 Tage seines Aufenthaltes auf der „Internistischen Intensivstation“ (ITS) des Magdeburger Uniklinikums kann sich Jens nur verschwommen erinnern. So ähnlich wie ihm ergeht es vielen Patienten, die wegen einer schweren Krankheit, nach einem großen chirurgischen Eingriff oder als Folge eines Unfalltraumas zeitweilig auf einer Intensivstation liegen. Unter dem Einfluss stark schmerzlindernder Medikamente, sind ihre Sinneseindrücke eingeschränkt. Dennoch schildern manche Koma-Patienten nach deren Genesung, dass sie Sprachen sowie die Geräusche der das Leben erhaltenden und die Körperfunktionen überwachenden Geräte wie durch einen Filter wahrgenommen haben.

„Ich konnte tagelang nicht viel mehr sehen als die Zimmerdecke und einen Teil der Zimmerwand“, erinnert sich der Mitte 40-Jährige. „Irgendwann bildete ich mir ein, dass das Bild an der Wand ein Fernseher ist. Wenn mir kalt war, dachte ich, ich liege im Schnee und das blubbernde Geräusch des Beatmungsgerätes hielt ich für Regen.“ Den Schwestern und Pflegern auf einer Intensivstation sind solche Verwirrtheiten (Delirium) von Patienten vertraut.

„Es sind meist die Nebenwirkungen intensivmedizinischer Maßnahmen, die notwendig sind, um die Regeneration des Körpers zu fördern“, sagt Jörg Müller, Leiter der am Zentrum Innere Medizin der Kardiologie angeschlossenen „Internistischen Intensivstation“. Um zu verhindern, dass sich solche Phantasien und Albträume dauerhaft im Gehirn einprägen, ist „ein gutes Zusammenspiel des ganzen Stationsteams wichtig“, ergänzt er. „Die Angehörigen der Patienten werden bei uns von Beginn an in die Therapieplanung einbezogen“, so der leitende Stationsarzt Dr. Ivan Tanev.

Als sehr hilfreich erwiesen hat sich beispielsweise ein sogenannter Patientenanamnesebogen, in dem Familienangehörige Fragen aus dem Leben der Patienten beantworten, etwa zum Beruf, dem Tragen eines Hörgerätes oder einer Sehhilfe bis hin zur bevorzugten Schlaflage. Selbst Informationen, die für medizinische Laien auf den ersten Blick nebensächlich erscheinen, können für das Stationspersonal im individuellen Umgang mit schwerstkranken Menschen hilfreich sein. Den Angehörigen fällt es oftmals schwer, richtig mit der besonderen Ausnahmesituation umzugehen. Wie sollte man reagieren, wenn ein geliebter Mensch scheinbar unerreichbar im Koma liegt oder phantasiert und z.B. graue Mäuse an der Zimmerdecke sieht? Mancher fragt sich, ob Oma, Mutter oder Ehemann auf der Intensivstation mit „Alzheimer“ oder einer anderen Demenz-Form angesteckt wurden. Die Ärzte können das ausschließen, da Demenz-Erkrankungen nicht ansteckend sind.

Richtig ist aber, dass bakterielle Infektionsrisiken für Schwerstkranke auf Intensivstationen sehr gefährlich sind, weil sie den Körper weiter schwächen. Um möglichst keine Krankheitserreger einzuschleppen, müssen Angehörige an der Eingangstür zur Intensivstation klingeln und nach dem Einlass sowie beim Verlassen der Station ihre Hände desinfizieren. „Nicht erlaubt ist den Besuchern das Mitbringen von Blumen und Pflanzen“, so Müller.

Besucher können die Arbeit des ITS-Teams unterstützen, indem sie beispielsweise positive Erlebnisse aus Familien- und Bekanntenkreis erzählen, vertraute Musik abspielen, aus Büchern vorlesen sowie die Hand des Patienten halten oder über dessen Wangen streicheln. Auch das Schlafkissen von zu Hause oder der Duft des vertrauten Deodorants werden vom Intensiv-Team im Rahmen der sogenannten Basalstimulation eingesetzt, um die Genesung zu erleichtern und das Abgleiten in albtraumhafte Phantasiewelten zu verhindern.

„Ich bin dem Stationsteam sehr dankbar, dass es mir professionell und mitmenschlich über eine schwere Zeit in meinem Leben geholfen hat“, sagt Jens, der vier Jahre nach seiner Krankenhausentlassung noch immer Kontakt mit den Schwestern und Pflegern hält. „Trotz hoher Arbeitsbelastung leisten dieses Team tagtäglich eine tolle Arbeit“ , würdigt auch Prof. Dr. Rüdiger Braun-Dullaeus, Direktor der Klinik für Kardiologie, Angiologie und Internistische Intensivmedizin, die ITS-Mitarbeiter anlässlich des 25-jährigen Bestehens der Station.

Auf größeren Intensivstationen – so auch am Magdeburger Uniklinikum – ist es nicht ungewöhnlich, dass das Stationsteam und die Familienangehörigen für den Patienten ein Tagebuch führen. Darin beschrieben werden wesentliche Tagesereignisse, persönliche Eindrücke und Gefühle während des Aufenthaltes des kranken Angehörigen auf der Intensivstation. „Später kann das den Patienten helfen, die Erinnerungslücken zu schließen und diffuse Eindrücke aus dieser Zeit nachträglich besser einzuordnen“, sagt Stationsleiter Jörg Müller. „Es hat sich gezeigt, dass damit das Risiko eines posttraumatischen Syndroms, als Folge einer unreflektierten traumatischen Erinnerung, reduziert werden kann“, ergänzt Oberarzt Dr. Ivan Tanev.