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Job Der Alltag eines Pendlers aus Sachsen-Anhalt

Tausende Sachsen-Anhalter fahren zu einem Job in ein anderes Bundesland. Vier Pendler erzählen über ihren Alltag.

Von Massimo Rogacki 15.02.2019, 00:01

Magdeburg l Sachsen-Anhalt ist ein Pendlerland. 143.705 Menschen fuhren 2018 zu einem Job in ein anderes Bundesland. Nicht wenige Pendler setzen sich auf ihrem täglichen Arbeitsweg besonderen Belastungen aus. Der Stress steigt, wenn sich der Zug verspätet oder die Fahrgemeinschaft nicht zuverlässig ist (siehe Interview). Andere arrangieren sich mit dem Pendeln und nutzen die Zeit, um im Zug zu arbeiten oder sich zu erholen. Wie empfinden die Sachsen-Anhalter ihren Arbeitsweg? Die Volksstimme hat mit vier Pendlern gesprochen.

Wer hierzulande zur Arbeit in ein anderes Bundesland startet, überquert besonders häufig die Landesgrenze zu Niedersachen. 41 713 Sachsen-Anhalter arbeiten dort. Einer von ihnen ist Minh Hoang. Der 27-jährige Stendaler pendelt seit fünf Jahren. Als Projektmanager arbeitet er für eine Marketingagentur für Volkswagen in Fallersleben, einem Stadteil von Wolfsburg. Eine Stunde und zwanzig Minuten ist er aus Stendal pro Strecke unterwegs. Als Belastung empfindet er das nicht. „Ich sehe die Stunden in der Bahn fast schon als Entspannung“, sagt der 27-Jährige. Morgens um 7.30 Uhr, wenn er es sich im IC bequem macht, packt er den Laptop aus und liest, auf dem Rückweg gegen 18 Uhr arbeitet der Stendaler noch etwas oder guckt sich zur Entspannung einen Film an.

Anstrengender wird die Fahrt für ihn nur, wenn die Züge aufgrund von Baustellen nicht regelmäßig verkehren. „Aktuell ist die Bahn immer brechend voll“, sagt er. Da mache das Pendeln dann weitaus weniger Spaß.

In Stendal wohnen zu bleiben und nicht nach Wolfsburg zu ziehen, das war für ihn eine bewusste Entscheidung. „Stendal ist für uns als Pendler der ideale Lebensmittelpunkt“, sagt Hoang. Über einen Umzug habe er aufgrund der höheren Miet- und Lebenshaltungskosten nie nachgedacht. Außerdem wohnt seine Familie in Stendal. Minh Hoangs Frau hat im Übrigen vollstes Verständnis für den zeitintensiven Arbeitsweg ihres Mannes. Sina Bronkalla fährt schließlich auch schon seit acht Jahren mit dem Zug zur Arbeit nach Berlin. Das fünfthäufigste Ziel von Pendlern aus Sachsen-Anhalt. Sie arbeitet dort in einem Pharmakonzern. Etwas über eine Stunde ist auch sie pro Strecke unterwegs.

Die beiden Stendaler arrangieren sich dennoch bestmöglich mit dem Modell. „Lebenszeit geht in jedem Fall beim Pendeln drauf“, sagt Minh Hoang. Etwas mehr Zeit für Partner und Freizeit zu haben – das klingt für ihn schon verlockend. Bewusst genutzte gemeinsame Zeit und viel Sport – das sind nach seinem Empfinden die wichtigsten Rezepte, um dem Pendlerstress entgegenzuwirken.

Betrachtet man eine Umfrage im Rahmen des Glücksatlas 2018 lässt sich das Paar aus Stendal vom verhältnismäßig langen Arbeitsweg nur wenig stressen. Denn die Belastung steigt, je zeitraubender die Fahrtstrecke ist. Nur neun Prozent der Befragten nehmen ihren Arbeitsweg als stressig wahr, wenn er bis 20 Minuten beträgt. Bei einer Fahrtzeit von 20 bis 40 Minuten sind es 31 Prozent. Unter den Befragten, die 40 Minuten und länger zum Arbeitsort pendeln, empfinden bereits 71 Prozent ihren Arbeitsweg als stressig. Obwohl auch der Oebisfelder René Rosinsky mit rund 50 Minuten Fahrtzeit am Tag in letztere Kategorie fällt, hält sich der Stresspegel bei ihm nach eigener Aussage in Grenzen.

Der 52-Jährige pendelt zu VW. Er gehört zu den Tausenden Beschäftigten aus Sachsen-Anhalt, die täglich die VW-Standorte Wolfsburg oder Braunschweig ansteuern. Seit 1991 pendelt er zum Werk in Wolfsburg, wo er in der Produktion tätig ist. Dort arbeitet er im Drei-Schicht-Betrieb, zu den Belastungen beim Pendeln kommen also kräfteraubende Arbeitszeiten. Für Rosinsky alles kein Problem. „Über die Jahre habe ich mich daran gewöhnt“, sagt er. Nach der Wende hatte er den Schritt gewagt und sich auch mangels passender Job-Angebote in Sachsen-Anhalt in Niedersachsen beworben.

Rosinsky pendelt mit dem Auto. Um etwas Geld zu sparen und nicht immer selbst am Steuer sitzen zu müssen, ist er in Fahrgemeinschaften von drei bis vier Personen organisiert. Die Pendler finden sich über ein spezielles Angebot im Intranet von VW. Meistens ist Rosinsky mit Kollegen aus Gardelegen (Altmarkkreis Salzwedel) unterwegs, die ihn in Oebisfelde (Landkreis Börde) einsammeln. „Das hat sich gut bewährt“, findet er.

Eine Entlastung für einige Pendler: Bei Volkswagen gilt seit 2016 eine Betriebsvereinbarung, die den Beschäftigten mehr Möglichkeiten für mobiles Arbeiten bietet. Voraussetzung ist allerdings, dass die Arbeitsaufgabe das auch zulässt.

Das Prinzip Home-Office ist in einigen Bereichen schlichtweg nicht umsetzbar. Gerade für Beschäftigte in der Produktion wie René Rosinsky heißt es deshalb: weiterhin pendeln. Obwohl er sich damit über die Jahre arrangiert hat, würde er sich dennoch freuen, ab und an etwas mehr vom Tag zu haben. Dann würde er die Pflege seines heimischen Gartens noch etwas intensiver betreiben, sagt der 52-Jährige.

Einer, der seinen Arbeitsweg ebenfalls als „verkraftbar“ einschätzt, ist der Genthiner Lutz Nitz. Wie rund 9800 andere Sachsen-Anhalter pendelt er nach Brandenburg, das Platz vier der bevorzugten Pendler-Ziele belegt. Der 62-Jährige unterrichtet seit 2002 in einer Jugendhilfeeinrichtung in Brandenburg an der Havel. Dass er bei der Jobsuche vor 17 Jahren im benachbarten Bundesland fündig wurde, sei eher Zufall und keine bewusste Entscheidung gegen Sachsen-Anhalt gewesen, erinnert er sich.

Genthin (Landkreis Jerichower Land) liegt rund 15 Kilometer von der brandenburgischen Landesgrenze entfernt. Für die knapp 30 Kilometer zu seinem Arbeitsort benötigt der Lehrer mit dem Auto eine knappe halbe Stunde. Eine Stunde Fahrtzeit am Tag kommt so zusammen. Seine täglichen Pendel-Kilometer seien für ihn zur Routine geworden, bekundet er. Um zum ersten Läuten um acht Uhr in der Schule zu sein, verlässt Nitz seine Wohnung um kurz nach sieben Uhr. Gerade im Winter macht ihm lediglich das Fahren im Dunkeln etwas zu schaffen. „Das ist über die Jahre anstrengender geworden“, sagt der 62-Jährige. Wie viele andere Pendler hat er zudem ein besonderes Verhältnis zu Baustellen. „Umleitungen und Baustellen gehören auf der B 1 fast schon zur Normalität“, sagt er. „Wenn man die gleiche Strecke jeden Tag fährt, fällt das erst recht auf.“ Da helfe nur, jeden Tag ein zeitliches Puffer einzukalkulieren. Was für Nitz indes nicht zum Tragen kommt, weil er keine Kinder im schulpflichtigen Alter hat: Die Abweichungen zwischen den Ländern bei Ferienzeiten und Feiertagen. Auch die müssen viele Pendler einkalkulieren, wenn sie zu ihrem Job über die Landesgrenze fahren.