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Betreuung Schulsozialarbeiter in prekärer Lage

In Sachsen-Anhalt steht die Förderung von Schulsozialarbeit mit dem Ende des Förderprogramms vor dem Aus. Das Land erarbeitet eine Lösung.

Von Alexander Walter 23.01.2019, 00:01

Magdeburg l Ein winterkalter Januarmorgen an der Leibniz-Schule im Herzen von Magdeburg. Noch sind die Flure finster. Allein im Büro von Carsten Krause brennt schon Licht. Der groß gewachsene Mann mit Glatze und Bart bereitet sich auf seinen ersten Einsatz an diesem Tag vor. Auf dem Plan steht Sozialtraining in der fünften Klasse. Routine für den 43-Jährigen.

Seit acht Jahren ist Krause Schulsozialarbeiter, seit September an der Leibniz-Schule in der Hegelstraße. Er hat eine Weiterbildung zum Deeskalations-Trainer. Die kann er an seinem neuen Arbeitsort brauchen.

Der Zuwandereranteil liegt bei 52 Prozent – in manchen Klassen bei 80 Prozent. Die 358 Schüler kommen aus 24 Nationen. Nicht wenige Schüler sprechen kein Wort Deutsch. Es gibt oft Streit unter den Schülern, fast wöchentlich auch körperlich, sagt Krause. Anzeigen wegen Beleidigung und Körperverletzung seien keine Seltenheit. Die Schule galt zuletzt als Brennpunkt, das räumt selbst die Schulleitung ein.

Die offizielle Mission des Sozialarbeiters in dieser Lage: Er soll zuallererst Schulabbruch vermeiden. Dafür fördert die EU seinen Job. Tatsächlich ist Schulabbruch ein großes Thema an der Leibniz-Schule. Rund ein Sechstel der Jugendlichen verlässt die Einrichtung, ohne wenigstens einen Hauptschulabschluss zu erreichen, sagt Leiter Roman Schöpp. Dahinter aber stehen oft noch gravierendere Probleme: Da seien Zuwanderer, die nur ein Jahr Zeit hatten, um anzukommen. Daneben schwänzen einheimische Jugendliche. Die Ursachen reichen von Überforderung über Mobbing bis hin zu Drogenabhängigkeit, Trennungen und sogar Missbrauch.

Trotz des Kernziels, Abbrüche zu verringern, umfassen die Aufgaben von Carsten Krause dann auch ein weites Spektrum: Er ist Vertrauensperson und Krisenmanager, Streitschlichter, AG-Leiter und Vermittler etwa zu Beratungsstellen.

Kurz nach halb acht steht der studierte Sozialpädagoge jetzt in der 5. Klasse. Die Gruppe aus 16 Schülern kennt sich seit September. Sechs Kinder kommen aus Syrien, andere aus der Türkei. Die Kinder sind quirlig, reden wild durcheinander. „Das sind alles kleine Goldstücke, aber jeder will gesehen werden“, flüstert Lehrerin Hanka Gehrke herüber. Krause sorgt mit einem Zwischenruf für Ruhe. Dann gibt er den Schülern eine Aufgabe: Auf Signal sollen sie sich zu Dreier-Teams zusammenfinden.

Das klappt – allerdings bleibt am Ende immer ein Kind außen vor. So sind die Regeln. Bei der Auswertung sitzt Schüler Luca zusammengesunken auf seinem Stuhl. „Das war ein doofes Spiel“, sagt er. „Aha“, sagt Krause. „Woran lag das, waren alle fair zueinander?“ „Nein“, meint Luca, die anderen hätten sich schon von Anfang an verabredet, da habe er gar keine Chance gehabt, in ein Team zu kommen. Andere Schüler geben Luca recht. Die Klasse hat offenbar etwas über ihren Umgang miteinander gelernt.

Spiele wie diese laufen meist intuitiv ab. Und doch haben sie einen Langzeit-Effekt: „Dank Herrn Krause sind wir schon ein echtes Team geworden“, sagt Lehrerin Gehrke nach der Stunde. Funktionierende soziale Strukturen sind eine Grundvoraussetzung für Schulerfolg, wird Schulleiter Schöpp später ergänzen. „Die Sozialarbeit schafft sie.“ Sie hält damit auch die Abbruchquote zumindest stabil. „Wir wüssten nicht, wie wir den Schulalltag ohne sie bewältigen sollten.“

Trotz solcher Erfolge steht die Schulsozialarbeit derzeit wieder einmal auf der Kippe. Mitte 2020 läuft für die aktuell rund 380 Schulsozialarbeiter im Land die Förderung aus. Bei Trägern der Jugendhilfe angestellt, wird die Mehrheit über das Programm „Schulerfolg sichern!“ bezahlt. Es läuft seit 2008 und wurde bereits einmal verlängert. Die Mittel kommen aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF). Sie müssen immer wieder neu beantragt werden.

Fraglich ist, ob es auch diesmal eine Verlängerung geben wird (siehe auch Infokasten). Immerhin: Fließt kein Geld, will das Land in die Bresche springen. Für 2020 und 2021 hat der Landtag 33 Millionen Euro in Aussicht gestellt. Das aber wird kaum reichen, um den Status quo zu halten. Nach Angaben des Bildungsministeriums kostet die Sozialarbeit in den aktuellen Strukturen pro Jahr rund 28 Millionen Euro. Laut Bildungsgewerkschaft GEW genügt das vom Land eingeplante Geld dann auch gerade so für die Sozialarbeiter in den Schulen, nicht aber für die Kollegen in den koordinierenden Netzwerkstellen.

Ein Bündnis, bestehend aus der Liga der Freien Wohlfahrtspflege, der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung, Landeseltern- und -schülerrat sowie GEW, schlägt deshalb Alarm. Mit einer landesweiten Unterschriftenaktion fordert es ein Konzept für die dauerhafte Verankerung der Schulsozialarbeit im Land. Damit nicht genug, soll die Zahl der Stellen auf 800 verdoppelt werden, sagt GEW-Landeschefin Eva Gerth.

Am Ende soll jede Schule die Möglichkeit haben, einen Sozialarbeiter zu beschäftigen. 100.000 Unterschriften will das Bündnis bis 15. April zusammenbekommen. Die Liste will es anschließend der Landesregierung übergeben.

Auch Bildungsminister Marco Tullner (CDU) hat Handlungsbedarf erkannt. „2019 wird es ein absolutes Schwerpunktthema sein, die Schulsozialarbeit dauerhaft zu sichern“, sagt er. Ein Konzept will er im Verlauf des Jahres vorlegen. Erst danach will Tullner aber über konkreten Personalbedarf reden. Der Finanzierungsaufwand für 800 Sozialarbeiter allein durch das Land wäre in der Tat enorm: Laut Experten des Paritätischen Sozialwerks läge er bei rund 50 Millionen Euro – pro Jahr.

Carsten Krause hält derweil mindestens die Verstetigung der jetzigen Sozialarbeit für dringend notwendig. „Der Schulalltag verändert sich, in meiner Laufbahn gibt es inzwischen kaum etwas, das ich noch nicht gesehen habe“, erzählt er. Schüler suchten dabei besonders oft seinen Rat als Vertrauensperson, die außerhalb des Lehrerkollegiums steht. Krause berichtet von einer Jugendlichen, die von ihrer Schule flog.

Auch an der Leibniz-Schule bekam sie Probleme, bummelte, wurde aus dem Unterricht geworfen. „Sie hat sich an mich gewendet, es stellte sich heraus, dass sie Probleme mit Drogen und schon eine Entziehungskur hinter sich hatte.“ Einen Rückfall wollte das Mädchen unbedingt vermeiden, sagt Krause. Das gelang, die Schülerin ist immer noch an der Schule. „Wir geben Schülern eine Perspektive“, sagt Krause schließlich. Auch er und seine Kollegen würden sich endlich Planungssicherheit wünschen, sagt er. „Bislang wurde die aber nicht hergestellt. Über die Zukunft mache ich mir Sorgen.“