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Jüdische Gemeinde Pessach in Zeiten von Corona

Pessach ist eines der wichtigsten jüdischen Feste im Jahr. Doch wegen der Corona-Krise fällt der Gottesdienst aus - auch virtuell. Was nun?

08.04.2020, 06:45

Magdeburg l Es schwingt ein wenig Ironie mit, will man in diesen Tagen über das Pessach und damit über eines der wichtigsten jüdischen Feste im Jahr schreiben. Es ist das Fest, an dem Juden weltweit an die Befreiung der Israeliten aus der Sklaverei in Ägypten gedenken. Ein Fest der Freiheit also. Ein Begriff, der in diesen Tagen kontrovers diskutiert wird. Oft und immer mehr sogar dann, wenn Einschränkungen unserer für lange Zeit als selbstverständlich geltenden Privilegien zum Retten von Menschenleben zwingend notwendig sind. Für Juden ist dieses Fest weniger mit Privilegien als vielmehr mit der eigenen Leidensgeschichte verbunden.

Pessach gilt auch als Beleg für die besondere Verbindung zu Gott. Es ist das hebräische Wort für Pessah und bedeutet deshalb so viel wie „vorüberschreiten“.

Ein wichtiges Ereignis also, zu dem Juden normalerweise viel reisen, Familien zusammenkommen. Am Vorabend, heute also, beginnt das Fest mit dem Sederabend. Ein gemeinsames Mahl, bei dem Speisen mit Symbolbedeutung auf den Tisch kommen. Speisen aus Hefe- oder Sauerteig sind strengstens verboten. Traditionell steht zu diesem Fest viel Matzen auf der Speisekarte. Ein Brotfladen, der in der Corona-Krise nicht unbedingt leicht zu bekommen und deshalb umso beliebter ist. „Dreimal so viel Bestellungen wie sonst haben wir erhalten“, sagt Wadim Laiter, Vorsitzender der Synagogen-Gemeinde zu Magdeburg.

Die hat in der Corona-Krise schnell reagiert und ein zwölfköpfiges Team zusammengestellt, das den rund 435 Gemeinde-Mitgliedern Fragen rund um das Corona-Virus beantwortet und bei der Beschaffung der Lebensmittel geholfen hat. Diese werden teils extra bei Lieferanten in Berlin bestellt und im Zweifelsfall sogar abgeholt.

Koscherer Wein, Säfte, Matze – auch in der Jüdischen Gemeinde zu Halle wurden alle Familien versorgt. „Mehr können wir nicht machen“, sagt Vorsitzender Max Privorozki und betont: „Die Hauptsache ist, den Personen, die zur Risikogruppe gehören, die Gelegenheit zu geben, sich nicht allein zu fühlen und zur Seite zu stehen. Das versuchen wir zu tun.“

Beklagen tut sich offenkundig niemand über die derzeitigen Einschränkungen – im Gegenteil. „In der jüdischen Kultur steht der Mensch und seine Gesundheit an oberster Stelle und genau darum geht es jetzt, deshalb wird es selbstverständlich auch keinen Gottesdienst geben“, sagt Laiter. „Ich bin stolz, wie unsere Gemeinde-Mitglieder gerade einander helfen, niemand diskutiert darüber, ob die Maßnahmen verhältnismäßig sind.“

Online-Gottesdienste am Schabbat sind ebenfalls tabu, weil an dem jüdischen Ruhetag arbeiten verboten und damit bereits das Einschalten des Laptops als religiöse Missachtung gelten würde. An anderen Tagen halten Rabbiner wie Zsolt Balla von der Leipziger Gemeinde Gottesdienste ab. Im Vorfeld von Pessach setzen die Jüdischen Gemeinden jedoch vor allem auf Lehr-Videos. So wurde unter anderem am Montag ein Online-Pessach-Seder via Zoom von Chasan Yossel Remis, der Vorbeter der Jüdischen Gemeinde zu Halle, veranstaltet. Ein „Lern-Seder für junge Menschen“, sagt Privorozki. Denn: „Wir wollen aufklären, unterstützen, darum geht es jetzt“, ergänzt Laiter.

Diesen Ansatz verfolgen Verschwörungstheoretiker von Haus aus nicht. Sie streuen wirre Ideologien – gern über soziale Medien, gern in diesen Tagen. „Jede Krise führt zu vermehrten Verschwörungstheorien. Da zu Antisemitismus immer auch dieses Element gehört, ist es derzeit noch häufiger zu beobachten“, sagt Wolfgang Schneiß, Antisemitismus-Beauftragter in Sachsen-Anhalt. Zuletzt rief auch Hessens Antisemitusmus-Beauftragter Uwe Becker zum Widerstand gegen eine zunehmende „antisemitische Corona-Hetze“ auf und sagte: „Das Coronavirus führt in diesen Tagen nicht nur zu erheblichen gesundheitlichen, gesellschaftlichen und sozialen Herausforderungen, sondern auch zu einer gefährlichen Ausbreitung antisemitischer Hassbotschaften.“

Für Privorozki ist das wenig überraschend, es wäre verwunderlich, sagt er, wenn Antisemiten und Verschwörungstheoretiker nicht darauf kommen würden, die Pandemie auszunutzen. „Ich bin fest überzeugt, dass die Coronavirus-Krise überwunden sein wird. Die Antisemitismus-Plage wohl kaum.“