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Leben im Zirkus Vorhang auf für Charmaine

Als Gleichaltrige Party machten, trainierte Charmaine. Die 25-jährige Artistin berichtet vom Heranwachsen im Circus Afrika.

18.10.2016, 23:01

Halberstadt l Schwarze, dicke Winterjacke, hochgesteckte Haare, schüchternes Lächeln, offener Blick: Die junge Frau, die frierend auf der Wiese im nassen Oktoberwetter posiert, könnte ebenso gut Studentin wie Friseurin sein, sie sieht aus wie das Mädchen von nebenan. Bei genauerem Hinsehen ist das Gesicht der 25-Jährigen stark geschminkt. Sie hat große Kajal-Augen und eine Glitzerperle im Gesicht. Unter der Winterjacke lugt ein bisschen Neon-Orange hervor. Und schließlich verrät sie das weiß-rote Zirkuszelt, das hinter ihr steht. Die junge Frau heißt Charmaine Weisheit und ist Akrobatin im Zirkus. Ihr Vater ist der Direktor des Circus Afrika, der im Oktober dieser Jahres für zwei Wochen in Halberstadt gastiert. Er ruft Charmaine ans Seil, damit sie zeigen kann, was sie drauf hat.

Am ersten Abend in Halberstadt gab es für sie eine Premiere: Sie turnte das erste Mal vor Publikum am Vertikal-Seil. „Charmaine - Die Königin der Luft“ wird sie auf der Webseite des Circus angekündigt. Wenn sie sich in der mitternachtsblauen Zirkusarena nach oben schwingt und Spagat und Spiralen darbietet, sieht es aus, als hätte sie nie etwas anderes gemacht.

„Es ist aber viel mehr Arbeit als mit Händen und Füßen,“ sagt Charmaine und fügt hinzu „auf dem Trapez kann man sich zwischendurch auch hinsetzen, man hüpft in die Luft, am Seil selbst gibt es nur dich.“

Ihr Körper schnellt dabei mal als Linie hinauf, dann wirbeln Becken und Oberkörper wie ein Schmetterling um das Seil, schließlich schwingt sie frei und zeigt in ihrem neon-leuch­tenden Kostüm das Spagat. Auf dem Boden angekommen, wohnt die Königin der Luft in einem Wohnwagen, und das schon ihr ganzes Leben lang. In eine Zirkusfamilie hinein geboren, war sie von klein auf jede Woche in einer anderen Stadt. Was aufregend klingt, hat auch seine Schattenseiten.

Von den Städten sieht sie dabei wenig. Da der Tag mit Vorstellungen gefüllt ist, muss danach trainiert werden, das heißt, „man kann sich dann nicht einfach erst einmal ausruhen, sondern es geht gleich weiter“.

Man müsse eben so lange proben, bis es wirklich klappt, sagt Charmaine eindrücklich. Auf die Frage, wo bei so viel Training denn Zeit für ihre Schulbildung blieb, antwortet sie, dass sie mit 14 einen Schulabschluss gemacht hat. Ein Zertifikat des Zirkus‘ sei der Nachweis für einen Abschluss als Artistin. Beim Reisen in so viele verschiedene Städte sei es nicht möglich, eine reguläre Schule zu besuchen. Charmaine erhielt ihre Bildung an der Zirkusschule, ein Lehrer, der mitreise, wohin auch immer der Zirkus fährt. Hier lernte sie wie die anderen Kinder im schulpflichtigen Alter lesen, schreiben, rechnen und erwarb am Ende den Hauptschulabschluss. „Ich wollte immer Akrobatin werden, daher reichte das auch“, sagt Charmaine überzeugt. Als sie zwölf Jahre alt war, begann sie, mit Hula-Hoop-Reifen zu turnen. Mit 13 Jahren stand sie das erste Mal auf dem Ring-Trapez. Spätestens dann sei der Berufswunsch klar gewesen: Charmaine wollte den akrobatisch anspruchsvollen Weg der Seil­artistik einschlagen.

„Mein Großvater und Vater, ja, meine ganze Familie ist beim Zirkus. Da kommt man einfach auf keinen anderen Gedanken, als auch die Artistenlaufbahn einzuschlagen“, erklärt Charmaine. Auf die Frage, ob ihr die Seil­artistik nach 13 Jahren immer noch Spaß mache, antwortet sie: „Es ist eine Leidenschaft, aber es steckt auch sehr viel Arbeit darin. Es ist ein hartes Training.“

Auch ihr Privatleben gestaltet sich durch die beruflichen Reisen anders als bei anderen Gleichaltrigen. Da die Orte immer wechseln, ihr Leben aber mit dem Zirkus in Bewegung bleibt, ist es vor allem ihre Familie, die als Konstante bleibt. „Und mein Freund, der auch beim Zirkus ist.“ Für viel anderes außer dem Training bliebe ohnehin kein Raum. Aber einige andere Hobbies verbinden sie dann doch mit anderen junge Frauen in ihrem Alter: „Fürs Shoppen und ins Kino gehen bleibt eigentlich in jeder Stadt einmal Zeit“, sagt sie lächelnd.