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Jugendarrest Schwänzen bis zum Knast

Pro Jahr müssen mehr als 100 Schulbummler im Land in Arrest. Bis es soweit kommt, muss allerdings einiges passieren.

Von Elisa Sowieja 02.11.2016, 00:01

Magdeburg l Andreas* hat nochmal die Kurve bekommen. In der fünften Klasse begann er, die Schule zu schwänzen – erst immer mal ein paar Tage, irgendwann blieb er ganz weg. Heute, gut zwei Jahre später, besucht er in Magdeburg eine Einrichtung für Produktives Lernen, wo man weniger Unterricht hat und mehr in Betriebe geht. Hätten die Bemühungen um Andreas nicht gefruchtet, wäre er wohl ins Gefängnis gewandert. 166 Schulschwänzer in Sachsen-Anhalt mussten im vergangenen Jahr in Jugendarrest. Im ersten Halbjahr 2016 waren es sogar schon 114 Schüler. Der Arrest dauert höchstens eine Woche und wird im Roten Ochsen Halle abgesessen.

Solchem Urteil gehen viele Warnschüsse voraus. Meldet eine Schule dem Ordnungsamt einen Verstoß gegen die Schulpflicht, verhängt das eine Geldbuße – der Rahmen liegt zwischen 5 und 1000 Euro. Bleibt die unbezahlt, wird der Betrag meist in Sozialstunden umgewandelt. Wenn der Schüler auch die ignoriert, kann ein Jugendrichter Arrest verhängen.

Bevor das Ordnungsamt überhaupt eingeschaltet wird, versuchen die Schulen, ihre Jugendlichen selbst zurückzuholen – allen voran die Schul- sozialarbeiter. So war es auch bei Andreas. Carsten Krause und Monique Stolte, eingesetzt in der Integrierten Gesamtschule „Regine Hildebrandt“ in Magdeburg, schöpften fast die ganze Palette aus: „Wir haben der Familie immer wieder Besuche abgestattet“, erzählt Krause. Außerdem zogen sie einen Betreuer vom Jugendamt hinzu, besorgten Andreas einen Platz in einer Jugendwerkstatt, wo er seine Schulpflicht beim Sägen und Gärtnern erfüllen konnte. Einmal, zur Abschreckung, schickten sie auch das Ordnungsamt, um ihn von zu Hause abzuholen.

Andreas ließ sich zwar oft auf die Angebote ein, blieb dann aber wieder weg. In einer Einrichtung hängengeblieben ist er erst jetzt. Solch langwieriger Prozess ist nicht selten, sagt Krause. Das liegt wohl auch an den Gründen, aus denen gebummelt wird. Denn die sind ihm zufolge nicht nur sehr verschieden, oft kommen auch mehrere zusammen. Die Bandbreite reicht von Überforderung im Unterricht über Scheidung der Eltern bis hin zu Computerspielsucht. Bei Andreas war es ein Mix aus Reibereien mit der Mutter, dem Vorbild des Bruders, der oft schwänzte, und der Alkoholsucht des Vaters, wegen der er Tratscherei befürchtete.

Krause und Stolte zufolge kommt Schulbummelei nicht nur im sozial schwachen Milieu vor: „Sie betrifft alle Schichten, alle Schulformen und Mädchen wie Jungs.“ Auch vom Alter her war bei ihnen ab der fünften Klasse schon alles dabei. Das bestätigt auch Nicole Anger vom Kinder- und Jugendring Sachsen-Anhalt. Sie berichtet sogar von schwänzenden Grundschülern. Arrest als Abschreckung, auch in anderen Ländern gang und gäbe, hält sie trotz der Warnschüsse für falsch: „Schulbummelei ist meist ein Signal dafür, dass es demjenigen nicht gut geht. Nach dem Arrest hat er dieselben Probleme wie vorher.“

Krause und Stolte haben in ihren sieben Jahren an der Schule noch nie erlebt, dass ein Bummler ins Gefängnis musste, sagen sie. Die hartnäckigen Fälle seien früher oder später in Projekten wie dem Produktiven Lernen gelandet. Krause persönlich sieht den Arrest auch kritisch: „Dort bekommen Jugendliche schnell das Gefühl, man hätte sie abgeschrieben. Man sollte ihnen aber das Gegenteil vermitteln. Und das funktionert mit Sozialarbeit.“

* Name von der Redaktion geändert