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Jugendschutz Mehr Kinder aus Familien genommen

Eine Alternative zu Heim- und Pflegefamilien bieten sogenannte Erziehungsfachstellen. Dort leben Kinder in einem familiären Umfeld.

Von Julia Puder 11.08.2019, 01:01

Magdeburg/Burg l Wenn Eltern mit der Erziehung ihrer Kinder überfordert sind, muss in manchen Fällen das Jugendamt einschreiten. Allein im Jahr 2018 kam es in 1489 Fällen zu einer Inobhutnahme. Das waren rund 200 mehr als im Jahr davor, wie das Statistische Landesamt mitteilte. Die Initiative ging dabei in 60 Prozent der Fälle von den sozialen Diensten oder den Jugendämtern aus.

Die Kinder werden dann meist in Heimen oder Pflegefamilien untergebracht. Eine Anlaufstelle für Fälle mit besonderen Entwicklungsstörungen sind sogenannte Erziehungsfachstellen. 118 solcher Hilfen zur Erziehung in einem familiären Umfeld gibt es in Sachsen-Anhalt. Eine davon betreiben Sandy Weiß und ihr Mann Sebastian in Burg.

Verlustängste, Bindungsstörungen, Traumata - wenn die Kinder zu Sandy Weiß kommen haben sie schon viel erlebt. „Die Kleinen wurden schon früh mit Enttäuschungen und Vertrauensbrüchen konfrontiert und können dadurch Entwicklungsstörungen entwickeln“, erzählt sie von ihrer Erfahrung mit Pflegekindern.

Die 39-Jährige hat vor acht Jahren ihre Erziehungsstelle unter der Trägerschaft der „Häuser unserer Zukunft“ eröffnet. Sie war die erste Außenstelle des Trägers. Die gelernte Heilerziehungspflegerin und Erzieherin hat zuvor in einer integrativen Kindertagesstätte in Wolfsburg gearbeitet. „Ich hab mich dann in Burg als Tagesmutter selbstständig gemacht bevor ich mit dem Gedanken gespielt habe eine Fachstelle zu eröffnen“, erzählt Sandy Weiß. Im Gegensatz zur Pflegefamilie wird eine Erziehungsfachstelle immer von Fachpersonal mit einer pädagogischen Ausbildung betrieben. Dadurch sei man besser auf Härtefälle und schwierige Situationen im Umgang mit den Kindern vorbereitet, so Weiß. „Eine Pflegefamilie kommt da an ihre Grenzen.“

Zu ihnen kommen Kinder, die auf Grund ihrer Beeinträchtigungen im sozialen und psychischen Bereich nicht in einer Wohngruppe betreut werden können. „Außerdem liegt der Fokus auf einer engen Zusammenarbeit mit den Eltern“, erklärt sie.

Ziel ist die Rückführung der Kinder in ihre Familien. Nicht immer verläuft dies jedoch reibungslos. „Es gibt Eltern, die sich sehr bemühen, aber auch welche die keinerlei Interesse an einem Austausch mit uns zeigen“, stellt Sandy Weiß ernüchternd fest. Die Trennung von den Kindern sei auch für sie nicht immer einfach. Letztendlich entscheide aber das Jugendamt, was mit dem Kind passiert. „Die Kinder gehören meiner Meinung nach in die elterliche Sorge“, so Weiß, „da muss ich meine eigenen Gefühle zurückstellen.“ Zurzeit betreuen Sandy Weiß und ihr Mann Sebastian, der gerade eine berufbegleitende Ausbildung zum Erzieher macht, drei Kinder im Alter von 14 Wochen bis 10 Jahren. „Der Jüngste ist vor einigen Wochen bei uns eingezogen, die Große lebt schon seit siebeneinhalb Jahren bei uns“, erzählt Weiß während Sebastian weiß den Kleinsten auf dem Arm in den Schlaf wiegt.

Der Alltag sieht bei Familie Weiß ähnlich aus wie bei einer „normalen“ Familie. „Die Kinder sind wie andere auch im sozialen Leben integriert, das heißt sie besuchen eine Krippe, Kindertagesstätte oder Schule“. Währenddessen erledigen Sandy und Sebastian Weiß den Haushalt und Behördengänge. Das Besondere: Zusätzlich muss für jedes Kind eine Akte geführt werden, auch die Buchführung über für die Kinder verwendete Finanzen gehört zu den täglichen Aufgaben einer Erziehungsfachstelle.

Die Nachmittage stehen dann für die Kinder zur freien Verfügung. Meistens werden diese aber von Behandlungen beim Arzt, Frühförderung oder Therapien bei Physio- und Ergotherapeuten ausgefüllt. „Jedes Kind bringt sein eigenes Paket mit und dementsprechend müssen wir es speziell fördern“, so Sandy Weiß.

Sie weiß aus eigener Erfahrung, dass die Kinder in ihrem jungen Alter schon einen langen Leidensweg hinter sich haben. „Die Fälle sind sehr verschieden. Manchmal sind die Eltern einfach zu jung oder haben zu viele Kinder, mit denen sie überfordert sind. Manche sind auch selbst psychisch instabil und können kein strukturiertes Umfeld für das Kind schaffen.“ Laut Statistischem Landesamt erfolgten 300 Inobhutnahmen aufgrund von Vernachlässigung.

Sandy Weiß sieht sich selbst in einer Beschützerrolle für das Kind. Sie versucht für das Kind einen sicheren Raum zu schaffen, wo es sich von den Strapazen erholen kann.

Die Betreuung der Kinder ist dabei ein 24-Stunden-Job. „Wir sind rund um die Uhr für die Kinder da, sieben Tage die Woche. Wir sind sozusagen immer im Dienst“, erzählt Weiß, „das sehen die meisten Leute halt nicht“, wünscht sie sich mehr Verständnis von der Gesellschaft.