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Justizirrtum Nach Freispruch mit Jubel empfangen

Thomas Bauer aus Ballenstedt kennt den Fortgang des Justizirrtums von 1924. Die Freilassung war nicht das Ende der Geschichte.

Von Bernd Kaufholz 15.03.2018, 00:01

Thale l Auf den Bericht über den 1924 unschuldig verurteilten Karl Schmidt aus Thale, den die Volksstimme am vergangenen Sonnabend mit dem Titel „Totschlag 1924: Was eine vergilbte Akte erzählt“ veröffentlicht hat, hat sich ein Verwandter des Justizopfers gemeldet.

Thomas Bauer aus Ballenstedt (Harzkreis) kennt den Fortgang des Falls, nachdem Schmidt, der wegen Totschlags verurteilt worden war, 1935 aufgrund erwiesener Unschuld freigesprochen wurde.

„,Fänger‘ Schmidt wurde mit großem Bahnhof, ähnlich wie heute eine Fußballmannschaft, vom Zug abgeholt, und die Menschen jubelten ihm zu. Die Zeitung hatte zuvor dazu aufgerufen. Eine Blaskapelle spielte und ein roter Teppich war ausgerollt.“ Später habe ihn sogar sein ehemaliger Zellengenosse Otto Grotewohl besucht. „Der war da allerdings noch nicht DDR-Ministerpräsident.“

Im Bericht in der „Berliner illustrierten Nachtausgabe“ ist am 19. Juli 1935 unter der Überschrift „Nr. 137 ist unschuldig“ zu lesen: „Sein Sohn hat das Wohnhaus mit Girlanden geschmückt und über die Tür ein Pappschild mit der Inschrift ,Willkommen!‘ angebracht.“ Thomas Bauer schreibt: „Die Schwester meiner Oma war auch dort.“ Die Frau habe sich wohl gesagt, dass es eine satte Abfindung gibt, wenn jemand zehn Jahre unschuldig im Gefängnis saß „und hat sich an Schmidt herangemacht“. Die Haftentschädigung betrug 35 000 Reichsmark.

Thomas Bauer: „Die Schwester meiner Oma und Schmidt haben später geheiratet“. Aus dieser Ehe ging ein Junge hervor, mit dem mein Vater in Thale Wendhusenkloster quasi zusammen gewohnt hat.“

Der Schmidt-Sohn sei später in den Westen gegangen. Auch die Geschichte der Flucht sei kurios: „Schmidts Freundin war abgehauen. Um keinen Stress zu bekommen, behauptete Funktionär Schmidt Junior, sie sei von Menschenhändlern verschleppt worden und er wolle sie von Westberlin zurückholen. Er sei mit Fahrer und Dienstwagen nach Berlin gefahren – und blieb auch dort.

Der „Fänger“ selbst sei bei einem Unfall im Steinbruch gestorben. Von meinem Vater hörte ich dazu auch eine Geschichte: Während einer Familienfeier bei meiner Uroma riss Schmidt wahllos von einem Kalender Blätter ab. Dann schaute er auf ein Datum und sagte: ,Mal sehen, was an diesem Tag passiert?‘ Es war sein Todestag.“