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Käferbekämpfung Kletterjagd durch alle Wipfel

Der asiatische Laubholzbockkäfer frisst sich durch Magdeburg. Eine Gruppe junger Forstwirte unterstützt die Bekämpfung aus luftiger Höhe.

Von Dan Tebel 07.10.2016, 08:15

Magdeburg l Der Asiatische Laubholzbockkäfer (ALB) erregt seit seinem Erstfund 2014 die Magdeburger Gemüter. Knapp 7000 Bäume sind dem Käfer im Norden der Stadt durch Fällungen bereits zum Opfer gefallen. Die Gefahr, dass auch Bäume im denkmalgeschützten Herrenkrug- und Vogelsang-Park von den Schädlingen befallen werden, ist real. Im Stadtteil Rothensee demonstrierten in dieser Woche Anwohner gegen die Abholzung von größtenteils gesunden Bäumen in Risikogebieten – vor der Haustür oder auch auf dem eigenen Grundstück.

Die Forstwirtschaft setzt in Sachsen-Anhalts einzigem ALB-Befallsgebiet alle Hebel in Bewegung, dem rabiaten Käfer Einhalt zu gebieten. Bislang vor allem mit vorbeugenden Maßnahmen: Befallsbäume finden und sie einschließlich möglicher Wirtsbäume im Umkreis vernichten. Sechs Forstwirte mit einer Spezialausbildung suchen derzeit in Magdeburger Bäumen nach dem Käfer.

Das Sicherungsseil peitscht um den Ast. Dann klicken die Sicherheitskarabiner, die Handschuhe sind bereits angezogen. Das Klettergeschirr sitzt fest am Körper. Marvin Käsler ist gesichert und hängt in der Luft. „Wir benutzen für den Aufstieg ein Doppelseil mit Klemmknoten“, erzählt der 20-Jährige, während er allmählich den Boden unter den Füßen verliert. Der junge Mann zieht sich gen Himmel. Stellenweise stützt er sich mit Händen und Füßen am Stamm oder dickeren Ästen ab. Sie helfen ihm, vorwärts zu kommen. Ein kräftezehrender und gefährlicher Aufstieg für den Erhalt des Baumbestandes und gegen die Invasion eines asiatischen Käfers.

Der junge Forstwirt aus Coswig gehört zu einem Team von sechs jungen Leuten, das sich dem luftigen Kampf gegen den ostasiatischen Schädling verschrieben hat. Üblicherweise sind auch Kontrollgänger mit Ferngläsern unterwegs, um den Käfer aufzuspüren. Die Kletterer unterstützten dabei. Ihre Aufgabe besteht darin, die Astwerke der Bäume in den Risikobereichen nach Hinweisen des Schädlings abzusuchen. Liegen in einem Bereich Hinweise vor oder wurde durch eine Lockstofffalle ein Käfer gefangen, gilt es den betroffenen Baum zu finden, um das Ausbreiten zu verhindern.

Marvin hängt mittlerweile zwischen Ästen und Blättern. Seine Nase fährt zum Teil nur wenige Zentimeter über die dicken Äste. Damit er sieht, was er sehen soll, ist ein geschultes Auge notwendig. Risse, Gänge und Spechthiebe müssen genau unter die Lupe genommen werden. Mögliche Anzeichen für einen Befall sind Bohrspäne oder Bohrmehl, die der Schädling beim Graben hinterlässt. „Diese Rückstände können auch vom Kontrollpersonal am Boden gesichtet werden, aber von unten ist schwer zu erkennen, was oben auf den Ästen passiert“, erklärt Käsler.

Gearbeitet wird aus Sicherheitsgründen immer zu zweit. Georg Wiedner bleibt am Boden, sichert seinen Kollegen ab und hat den kleinen Computerbildschirm des sogenanntes Toughbords im Blick. „Hier sind die Bäume nummeriert. Damit haben wir den Überblick, welcher Baum schon untersucht wurde“, erklärt er.

Den richtigen Blick erlernen die Seilkletterer durch Selbstschulung und Praxisbeispiele. Ein Befund oder ein Hinweis wird in der Gruppe begutachtet und ausgewertet – Teamwork par excellence. „Man braucht da wirklich ein gutes Auge für und muss fit sein“, sagt Thomas Winter, Leiter vom Landeszentrum Wald. Und das sei ein grundlegendes Problem: Bis vor einem Jahr gab es zu wenig Mitarbeiter für diese Tätigkeit.

„Die neuen Auszubildenden waren ihrem Abschluss nah und es bot sich an sie für die Aufgabe zu spezialisieren und einzusetzen“, erklärt Thomas Winter. Im vergangenen Jahr wurde daher dieser Sondereinsatz ausgeschrieben und das junge Kletterteam aufgestellt, um das Insekt aufzuspüren, bevor es sich weiter ausbreitet.

Marvin Käsler absolvierte seine überbetriebliche Ausbildung beim forstlichen Bildungszentrum und ist nun in luftigen Höhen auf Käferjagd. Dafür wurden die sechs angehenden Forstwirte in Magdeburgerforth während der Ausbildung zusätzlich zu Seilkletterern geschult. Sie mussten Höhentauglichkeit und körperliche Fitness unter Beweis stellen. Kurse und Theorie beschäftigten sich mit Fertigkeiten der Seilklettertechnik. Wichtig ist aber auch: Die Bergung verunglückter Baumkletterer aus der Krone und deren Erstversorgung. Seit dem 1. August 2015 ist das Team nun in Baumwipfeln im Einsatz.

300 bis 400 Stunden sind Marvin Käsler und das Team seither durch die Äste geklettert. Maximal sechs Stunden täglich dürfen die Kletterer laut Arbeitsschutzgesetz unterwegs sein. Dazu kommen zwei Stunden der sogenannten Rüstzeit, also das An- und Ablegen der Ausrüstung. Vorgeschriebene Zeiten sind wichtig, denn fehlende Aufmerksamkeit kombiniert mit der anstrengenden Tätigkeit sind gefährlich.

Akribisch wird über die Einsatzzeiten Buch geführt, denn Stundenzahlen gewährleisten Zusatzausbildungen, die auf die Seilkletterausbildung aufbauen. Eine davon ist die Zapfenpflückerausbildung, die der Saatgutgewinnung an Baumkronen dient und eigentlich nichts mit der Käferbekämpfung zu tun hat. Zukünftig können damit aber personelle Mängel in dem Bereich abgedeckt werden, so Winter. Und nach 300 Stunden können die Kletterer einen weiteren Schein absolvieren, der sogar für die Bekämpfung relevant ist: „Damit können Proben mithilfe einer Motorsäge entnommen werden. Bis jetzt geht nur mit der Handsäge“, erklärt Winter.

Proben auf dem Baum zu entnehmen, war an diesem Tag für Marvin Käsler nicht nötig. Mittlerweile steht er wieder am Boden neben Georg Wiedner und schnallt sein Geschirr ab. Dieser kann den Baum im Laptop nun mit Grün markieren. Es wurde nichts Auffälliges gefunden. Wie lange die Seilkletterer noch den Asien-Käfer jagen, steht nicht fest. Ihr Vertrag ist vorerst bis Jahresende befristet.