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Kaviar Das schwarze Gold aus Sachsen-Anhalt

Im Landkreis Wittenberg will ein russischer Investor bis zu zwei Tonnen der begehrten Eier im Jahr produzieren lassen.

06.06.2016, 23:01

Jessen l Den Weg in die Schatzkammer versperrt eine dicke Edelstahltür. Der kühle Raum beherbergt das schwarze Gold der Aquakultur Attilus im Landkreis Wittenberg. Rund 500 Kilogramm Kaviar stehen in den Regalen, akkurat gestapelt in Blechdosen. „Für ein Einfamilienhaus reicht es“, scherzt Michel Hensel. Den Wert des kühl gelagerten Kaviars schätzt der 32-Jährige auf gut 400 000 Euro. Hensel verlegte Fußböden, bevor er zur Fisch-Farm nach Jessen kam. Heute bearbeitet er edleres Material. Hensel ist der Kaviar-Meister des Unternehmens. Seine Hände säubern, sieben und salzen die dunkelgrauen Fisch-Eier.

Bis zu 1500 Euro sind für ein Kilogramm Attilus-Kaviar aus Sachsen-Anhalt zu erzielen. Seit Jahrhunderten wird die Delikatesse von Liebhabern verehrt und von Kritikern als Ausweis von Dekadenz verschmäht. Nur wenige Nahrungsmittel sind symbolisch derart aufgeladen: Krönung der Sterne-Küche, Leibspeise der Zaren, Schmuggelware vom Kaspischen Meer, schwarzes Gold. Mit der Realität haben diese Stichworte jedoch nur noch wenig zu tun. Viele Spitzenköche setzen für ihre Kreationen auf regionale Zutaten. Zaren haben ihre Macht lange verloren. Zudem ist der Handel mit Kaviar aus Russland oder dem Iran, den Anrainer-Staaten des Kaspischen Meers, eingebrochen, weil der Fang der wildlebenden, vom Aussterben bedrohten Störe seit 1998 verboten ist.

Hier im Süden Sachsen-Anhalts ist der Stör seit 2008 zu Hause. Das Geschäft mit dem schwarzen Gold ist bislang keine Erfolgsgeschichte für die Fisch-Farm in Jessen. Findige Investoren bauten mit dem Geld Tausender Anleger die Aquakultur auf. Rund acht Millionen Euro soll das Projekt verschlungen haben. Ehrgeizige Ziele verfolgten die Projektleiter, die den vielen Geldgebern einen Ertrag von vier Tonnen Kaviar im Jahr versprachen. Doch die Kaviar-Produktion in Jessen erreichte diese Marke nicht im Ansatz und geriet in wirtschaftliche Schieflage. Zwei Insolvenzen bedeuteten fast das Ende für die Stör-Farm.

„Wer Fischzucht macht, muss sich das leisten können“, sagt Peter Bahrs, der heute Produktionsleiter der Anlage ist, die seit Ende 2014 einen neuen Besitzer hat. Einen, der viel Geduld und noch mehr Geld mitbringt. Der Russe Igor Stopnikov, Kaviar-Liebhaber und Geschäftsmann mit Sitz in England, stieg in Jessen ein und rettete die Fisch-Farm vor dem Untergang.

Dabei hatte Stopnikov eigentlich einen anderen Plan. Der Russe wollte seine Landsleute in England mit Kaviar aus Großbritannien beliefern. Deswegen überlegte er, in der südenglischen Grafschaft Somerset eine Fisch-Farm zu errichten. Das hätte den Geschäftsmann wohl rund fünf Millionen Euro gekostet. Doch dann tat sich die Gelegenheit in Jessen auf. Stopnikov kaufte den Betrieb aus der Insolvenz heraus. Jetzt hat er finanziellen Spielraum, um die Firma auf Vordermann zu bringen und profitabel zu machen. So will Stopnikov mit dem Kaviar aus Jessen endlich Geld verdienen. Zwei Tonnen der edlen Fisch-Eier sollen jedes Jahr hergestellt werden.

Doch das braucht Zeit. „Wir schreiben noch immer rote Zahlen“, sagt Betriebsleiter Peter Bahrs. Vor allem die immensen Energiekosten belasten die Bilanz. Rund 200 000 Euro hat Stopnikov bereits in Anlagen investiert, die weniger Strom verbrauchen. So will der Betrieb rund 30 Prozent der Energiekosten einsparen. Bahrs ist zuversichtlich, bald schwarze Zahlen schreiben zu können.

Das Dilemma von Aquakulturen in der Kaviar-Produktion ist, dass der Betrieb zunächst viel Geld kostet und nur wenig Ertrag bringt. In Jessen müssen junge Störe etwa fünf Jahre gehegt und gepflegt werden, bevor die Tiere geschlechtsreif werden und überhaupt Kaviar produzieren.

In den Hallen kümmern sich sieben Mitarbeiter um die Fische und den Betrieb der Anlagen. Rund 19 000 Störe leben in den acht Becken. Pumpen halten das Wasser in Bewegung. Das soll die Fische an einen natürlichen Flusslauf erinnern und sie schneller wachsen lassen. Einmal im Monat werden die Tiere geschlachtet – im Jargon heißt das Kaviar ernten. Bis zu 40 Störe werden an einem Tag dann ausgenommen.

Der Kaviar aus Jessen wird vor allem in England verspeist. Dort sind die Dosen aus Sachsen-Anhalt im erlesenen Einzelhandel erhältlich. Attilus-Kaviar wird von der feineren Gesellschaft aber auch bei Pferderennen oder Polo-Turnieren verspeist. In Deutschland bestehen Lieferverträge mit Hotels: Die Fünf-Sterne-Häuser Adlon in Berlin oder Steigenberger in Leipzig servieren ihren Gästen den Kaviar aus Sachsen-Anhalt.

Betriebschef Peter Bahrs verspeist seinen Kaviar nur zu besonderen Anlässen, etwa zu Weihnachten oder Neujahr. Der 62-Jährige ist Fisch-Fachmann. Schon früh entdeckte der gebürtige Bremer seine Leidenschaft für die Wasser-Bewohner. Als Kind schenkte ihm seine Tante ein Aquarium. Später studierte Bahrs Biologie in Kiel. Danach zog er durch die Lande, arbeitete deutschlandweit auf Fisch-Farmen: Aal, Forelle, Steinbutt, auch Stör. Bahrs sah Investoren kommen und gehen. Viele verloren ihr Geld. Vor allem die Kaviar-Produktion machte Anleger unglücklich. Nicht nur in Jessen.

In Mecklenburg-Vorpommern wollte ein Investor die größte Kaviar-Produktion der Welt aufbauen. Mit enormen Gewinnversprechen hatte der Initiator rund 50 Millionen Euro von Anlegern einwerben lassen. Bis zu elf Tonnen Kaviar sollten jedes Jahr gewonnen werden. Doch das Vorhaben wird ein Delikatessen-Desaster. Heute ist das Unternehmen Geschichte und der Geschäftsmann wegen Anlagebetrugs zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt.

Viele Kaviar-Produzenten stehen vor Problemen. Deutschlandweit arbeitet nur eine Anlage profitabel. Die Preise fallen seit Jahren. Heute ist Kaviar so günstig wie nie zuvor. Vor allem billige Anbieter aus China fluten den Markt. Mengenmäßig sind die Asiaten längst zum größten Kaviar-Produzenten der Welt geworden. In Europa stehen die größten Zucht-Anlagen in Italien und Griechenland. Deutschland ist kein Kaviar-Land und wird wohl auch nie eines werden. Fällt der Preis weiter, wird das Geschäft für bestehende Anbieter noch schwerer. Eine Vorstellung, die auch Peter Bahrs schaudern lässt: Kaviar soll ein Premium-Produkt mit auskömmlichen Margen bleiben.

Die Deutschen müssen aber ohnehin noch auf den Geschmack kommen. Schätzungen besagen, dass nur jeder Hundertste in seinem Leben überhaupt schon einmal echten Kaviar gegessen hat.