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Kenia-Koalition Brüllattacken und Bermuda-Dreieck im Landtag

Der Landtag von Sachsen-Anhalt hat sich auf Antrag der Linken mit der Arbeit der Kenia-Koalition befasst. Die Debatte verlief hitzig.

Von Michael Bock 21.12.2017, 00:01

Magdeburg l Weihnachtsfriede? Besinnliche Zeit? Nicht für Thomas Lippmann. Nicht jetzt. Der Fraktionschef der Linken im Landtag von Sachsen-Anhalt ist mächtig auf Krawall gebürstet. Überaus scharf attackiert er das schwarz-rot-grüne Bündnis. „Die Instabilität ist so groß, am Pulverfass dieser Koalition sind so viele Lunten gelegt, dass das Gebäude jederzeit und von jeder Seite zum Einsturz gebracht werden kann“, ruft er in den Plenarsaal.

Eine „Bermuda-Koalition“ sei das. „Aus dieser Dreiecksbeziehung, aus diesem Sumpf von Uneinigkeit, Missgunst und Ignoranz, kommt kaum ein Gesetz oder Antrag wieder heraus – oder man erkennt den Inhalt nicht mehr wieder.“

Dann attackiert Lippmann direkt den Ministerpräsidenten. Er bezeichnet Reiner Haseloff als „lame duck“, als lahme Ente also. So wird im politischen System der USA ein Politiker bezeichnet, der noch im Amt ist, aber nicht zu einer Wiederwahl antritt. Von Aktivitäten des Regierungschefs, die das Land voranbringen, erfahre man eigentlich gar nichts, sagt Lippmann. „Wir erkennen nur Planlosigkeit bis hin zur Agonie.“

„Die Koalition macht ihre Hausaufgaben“, entgegnet Haseloff. Und geht, sichtlich gereizt, in die Gegenoffensive. „Die Schärfe Ihres Duktus hat mich an eine ganz schlimme Zeit erinnert“, sagt er. Konkret habe er an Karl-Eduard von Schnitzler gedacht, seinerzeit Autor und Moderator der DDR-Propagandasendung „Der Schwarze Kanal“ und Chefpropagandist der SED. Was Lippmann in „dieser Schärfe und Brutalität“ vorgetragen habe, entspreche nicht den Gepflogenheiten des Hohen Hauses, erregt sich Haseloff.

Die Linke setzt nach. Sie habe den Eindruck, sagt Eva von Angern ungerührt, dass Kritik aus der Opposition am Ministerpräsidenten einer „Majestätsbeleidigung“ gleichkomme. Haseloff verteidigt seinen Schnitzler-Vergleich, dieses Recht habe er sich genommen. „Ich musste mir einiges anhören. Ich habe schon ausreichend weggesteckt.“

AfD-Chef André Poggenburg hält die Kenia-Koalition für ein „gescheitertes politisches Experiment“. Dies liege daran, „dass zusammengerührt wurde, was einfach nicht zusammengehört“. Das schwarz-rot-grüne Bündnis sei „nach 20 Monaten in Unverantwortung am Ende“.

Die SPD-Fraktionsvorsitzende Katja Pähle fordert eine „andere politische Kultur“ in Sachsen-Anhalt. „Kenia ist eine Koalition, in der pausenlos Leute über ihren Schatten springen müssen – und das wird sich kaum ändern“, sagt sie. „Was mich an dieser politischen Konstellation stört, ist nicht der Streit der Parteien – der ist normal und unvermeidlich. Was mich stört, ist, dass dieser Streit oft nicht über Sachfragen, sondern als Selbstzweck geführt wird, auch innerhalb der Koalition.“ Das Dreier-Bündnis sei „kein Vorbild, aber auch kein Jammertal“, sagt sie.

Scharf kritisiert Pähle „menschenfeindliche Äußerungen“ der AfD in Landtagsdebatten. Das „Geschwür am deutschen Volkskörper“ – so hatte Poggenburg linksextremistische Studenten genannt – sei nur einer von vielen Tiefpunkten gewesen. Die AfD gehe in Diskussionen weder mit Florett noch mit Säbel vor: „Die einzige Waffe, die Sie führen können, ist die Dreckschleuder!“

Was wiederum AfD-Mann Robert Farle in höchstem Maß erzürnt. „Schämen Sie sich. Setzen Sie sich jetzt“, brüllt er Pähle an.

Landtags-Vizepräsident Wulf Gallert (Linke) schafft es äußerst souverän, die hitzigen Gemüter zu beruhigen. „Wir wollen alle versuchen, kollektiv durchzuatmen“, sagt der gelernte Lehrer mit ruhiger Stimme. „Jetzt kommen wir alle ein bisschen runter.“ Das gelingt.

Grünen-Fraktionschefin Cornelia Lüddemann mahnt: „Wir sollten auch innerhalb der Koalition verbal abrüsten. Wir müssen uns auf das konzen­trieren, das uns eint – das ist die Sachebene.“ Dazu gehöre auch, dass man Kritik aus der Opposition aushalte und sich nicht auf DDR-Vergleiche einlasse.