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Kinder-Uni Wie erklärt man den Holocaust?

Die Kinder-Uni in Stendal will das wohl dunkelste Kapitel deutscher Geschichte kindgerecht vermitteln.

Von Grit Warnat 27.01.2018, 00:01

Stendal l Der 27. Januar ist Holocaust-Gedenktag. „Wer von euch hat das Wort Holocaust schon einmal gehört“, fragt Falko Leonhardt in die Runde. Einige Hände gehen nach oben. Es sind Hände von Grundschulkindern aus Stendal. Bei der Frage nach den Nazis und ob man denn von denen schon mal etwas gehört habe, schallt Leonhardt im Audimax der Hochschule Magdeburg-Stendal ein langes und lautes „Jaaaaa“ entgegen.

Es ist Kinder-Uni-Zeit, das Thema alles andere als leichte Kost. Es geht um den Holocaust, um Konzentrationslager, Vergasung, Millionen von Toten. Kann man diese Gräuel kindgerecht vermitteln? Wenn ja – wie? Und überhaupt: Ist das ein Thema für Kinder?

Mädchen und Jungen sind geladen sowie Studierende und pädagogische Fachkräfte. An diesem Freitag teilt man sich auf in Workshops für die Großen und die Kleinen.

Eine vierte Klasse der Grundschule Am Stadtsee wird von Daniela Söffgen und Tri Duc Grube betreut, beide studieren Kindheitswissenschaften an der Hochschule. Sie lesen gemeinsam mit den Kindern aus dem Bilderbuch „Chika, die Hündin im Ghetto“ der Holocaust-Überlebenden Batsheva Dagan. Es handelt von einem Jungen, der mit seinen Eltern und seiner Hündin in einem polnischen Ghetto lebt und eines Tages das Tier abgeben muss. 1942 haben die Nazis den Juden das Halten von Hunden und Katzen verboten. „Habt ihr Haustiere?“, fragen die beiden Studenten in die Kinderrunde und jeder erzählt plötzlich von Haustier-Erlebnissen, auch von Trennungsschmerz.

Dann wird wieder gelesen, über Bilder im Buch gesprochen, die viel Angst und Traurigkeit zeigen, zum Schluss aber auch Freude, weil der Krieg vorbei und der geliebte Hund wieder da ist. Dieses Happy End gab es für Juden in der Wirklichkeit kaum. Der glückliche Ausgang tut den Kindern aber gut.

Im Audimax läuft unterdessen der gleichnamige Trickfilm. Der Junge mit dem gelben Stern an der Jacke stellt den Eltern viele Fragen, es kommen nur wenige Antworten zurück. Das stört einige Studenten und Pädagogen. Sie selbst suchen an diesem Tag nach Antworten und gehen auch in der Frage auseinander, ob man den Film schon einem Kindergartenkind zeigen sollte und was man dann wie erklären könne.

Es sind keine zwei Stunden vergangen, als sich im Audimax die Stühle leeren. Daniela Söffgen meint, sie habe den Eindruck, die meisten würden die Kinder-Uni zu diesem Thema noch einmal besuchen. Das Interesse sei wirklich gut gewesen. Andere Mentoren, allesamt junge Studierende, teilen diese Einschätzung. Heute vor 73 Jahren wurde das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz von der Roten Armee befreit.

Auschwitz ist zum Synonym für den Holocaust geworden. Der Ort steht für die fabrikmäßig organisierte Ermordnung von Hunderttausenden Menschen.

Angesichts des Wissens um die Verbrechen, ist es schwer vorstellbar, dass eine repräsentative Forsa-Umfrage aus dem vergangenen Jahr ergeben hat, dass 47 Prozent der befragten 14- bis 16-Jährigen den Begriff Auschwitz nicht einordnen können.

Zeitzeugen, die in Schulen von den Demütigungen, Deportationen, den Ermordungen von Familienangehörigen erzählen können, gibt es immer weniger. Diese Zeit rückt weiter in die Ferne.

Aber Erinnerungskultur, das wurde bei der Kinder-Uni deutlich, muss vermittelt, muss gelebt werden. Stendal hat vor drei Jahren damit begonnen, rund um den 27. Januar zu einer Woche des Erinnerns zu laden. Zum dritten Mal schon gibt es Filme, Lesungen, Theater, Vorträge, dieses Mal die Kinder-Uni zum Thema Holocaust.

„Denken ohne Geländer“ lautet der Titel, für den sich die Veranstalter (die Hochschule Magdeburg-Stendal, das Theater der Altmark und die Landeszentrale für politische Bildung Sachsen-Anhalt) eines Ausspruchs von Hannah Arendt (1906–1975) bedient haben. Die große deutsch-jüdische Philosophin und Publizistin, die vor den Nazis ins Exil flüchten musste, hat einst ohne Geländer gedacht. Sie sagte übrigens auch: „Gewalt beginnt, wo reden endet.“

Der Kommentar "Wissen für die Zukunft" zum Thema