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Konditor Torten aus Osterburg ohne Tantchen-Image

Konrad Behrends rettet die elterliche Backstube in Osterburg und verlässt dafür die Bundeswehr. Dabei setzt er auf Instagram und Facebook.

Von Barbara Hallmann 25.11.2017, 23:01

Osterburg l Schwer ist sie, die alte Holztür der Konditorei, trägt massige Ornamente, die Farben dunkel und glänzend. Mit einem Mal geht sie schwungvoll auf, dahinter Konrad Behrends, der nur kurz von seinem Handy aufschaut, um zu grüßen. „Moment, muss schnell den Instagram-Post fertig machen.“

Vieles von dem, was in seiner Backstube entsteht, stellt Konrad Behrends auch direkt ins Internet. Seine Seiten in sozialen Netzwerken wie Instagram oder Facebook sind voll von Schokolade und Törtchen. „Ohne das geht‘s nicht mehr“, sagt der Konditor. Die Bäckerei Behrends gibt es seit 1856 und er führt sie seit 2017 in der sechsten Generation.

Dick und satt fließt zuerst die weiße Schokolade aus der Spritztüte in die Form, dann die schwarze. Am Ende schlägt der Konditor die Form fest auf die Arbeitsplatte und verwirbelt mit einem Holzstäbchen gekonnt die beiden Schokoladen. Und genauso versucht er auch, das Gestern und das Morgen der Firma zusammenzubringen. Eine Herausforderung für den Konditor, der erst 2018 seinen 30. Geburtstag feiern wird.

Mit 19 Jahren begann Behrends seine Ausbildung bei einem vielfach prämierten Konditormeister in Gütersloh, machte danach Zivildienst und arbeitete später als Geselle in der Backstube des Vaters mit und begann die Meisterausbildung. „Aber irgendwann hab ich für mich hier keine Perspektive gesehen“, resümiert er. Alle hätten alles immer billiger haben wollen, die Leute hätten ihr Brot nur noch im Supermarkt gekauft. Die Konsequenz: Konrad Behrends begann die Offizierslaufbahn bei der Bundeswehr. „Ich hab die Backstube schon oft vermisst.“ Nach Wochentagen in Munster oder Dresden fuhr er also zurück nach Osterburg und half sonnabends wie sonntags beim Vater aus. 2016 erkrankte der Hans-Heinrich Behrends schwer und sein Sohn sah nur eine Möglichkeit, die Firma zu retten: Er beendete die Offiziersausbildung und ging zurück an die Biese. „160 Jahre Tradition – das gibt man nicht einfach auf.“

Jetzt schmeisst er den Laden zusammen mit seiner Mutter und drei Angestellten. „Momentan bin ich eigentlich noch dabei, mir einen wirklichen Überblick zu verschaffen“, gesteht er. Mittlerweile verbringe er den allergrößten Teil seiner Zeit in der Firma. Zeit, Freunde zu treffen oder ein Bier trinken zu gehen, bleibt ihm nicht. „Aber wenn Zartbitter-Schokolade so ganz dick vom Löffel fließt, das ist das Allerschönste, das hilft beim Durchhalten.“ Oft erfüllt ihn die Tradition mit Stolz, manchmal drückt sie aber auch als Last auf die Schultern. Zwei Verkaufslokale, mehrere Immobilien – jetzt trägt Konrad Behrends für all das die Verantwortung. Er muss ihn jeden Tag hinlegen, den Spagat zwischen gestern und heute.

Allmorgendlich erwarten die Kunden das bekannte Brot, die bekannten Brötchen im Laden. Wollen Nusstörtchen, Nougatgebäck und Stollen, wie sie Vater Hans-Heinrich im Sortiment hatte. Aber der junge Konditor will mehr. „Die Kunden sollen bei uns wirklich etwas bekommen, das sie sich gönnen.“ Und doch weiß er: Für die Altmark muss er bodenständig bleiben, denn „die Leute sind hier bodenständig. Sie wollen richtig guten Geschmack – aber bitte nicht zu viel Chichi auf ihren Törtchen.“

Und so gießt er regelmäßig Schokoladen mit – wie er betont – hochwertiger Kuvertüre aus Belgien, sei es nun als Dunkel-Hell-Melange, mit Gummibären, kandierten Früchten oder Nüssen. „Beim Einkauf sparen bringt da nix, das rächt sich bei der Qualität“ – so das Credo des Konditors. Auch Schokoladenweihnachtsmänner bietet Konrad Behrends seit einigen Jahren an – wieder, wie er betont. „Wir hatten die ja schon vor dem Krieg, danach gab‘s ja einfach kaum mehr Schokolade zu kaufen.“ Dieses Jahr würde er gern zusammen mit seiner Schwester Johanna, die in Berlin ein Konditorei-Café betreibt, essbaren Baumbehang backen. Schon heute liefert er der Schwester Stollen und Kekse ins Café nach Friedrichshain. Und irgendwann würde er gern wieder selbst Baumkuchen herstellen, wie es früher auch der Fall war.

Dass Jungunternehmer die Chancen vor Ort erkennen und sie nutzen – damit steht Konrad Behrends momentan vergleichsweise einsam da. Landauf, landab müssten Handwerksbetriebe in jüngere Hände übergeben werden. Doch dazu braucht es erst einmal die passende Ausbildung – aber die Zahlen der Lehrverträge haben sich nach einigen schlechten Jahren stabilisiert, zeigen sogar einen leichten Aufwärtstrend. Und der kommt wohl nicht von ungefähr: Back-Blogs wie „Sallys Welt“ haben Millionen Fans, ab Ende November gibt es sogar eine Fernsehshow dazu, in der ein junger Gast zusammen mit Bloggerin Saliha Özcan eine süße Überraschung für einen geliebten Menschen zubereitet.

Dass derlei Medientrends das Interesse junger Leute an bestimmten Berufen beeinflussen, hatte sich in den Nuller-Jahren an der Zahl derjenigen gezeigt, die sich zum Tierpfleger ausbilden lassen wollten. Innerhalb von drei Jahren registrierte die Bundesanstalt für Arbeit damals eine Verdopplung der Bewerberzahlen für diesen und verwandte Berufe. Es war die gleiche Zeit, in der vermehrt Zoodokumentationen nach dem Vorbild von „Elefant, Tiger & Co“ ins Fernsehen kamen und Tierpfleger wie Thomas Dörflein, Vater des Eisbären Knut, internationale Medienaufmerksamkeit erhielten.

Doch davon ist der Konditorenberuf noch um einiges entfernt – ganz besonders in der Altmark. Nicht einen einzigen Konditor-Azubi gab es 2017 in den Landkreisen Stendal und Salzwedel – und auch keine gemeldete freie Ausbildungsstelle. Und das bleibt nicht ohne Folgen. Schon heute leidet der Tourismus darunter, dass zum Beispiel Radfahrer in der Altmark kaum Cafés finden: Auf dem Elberadweg gibt es auf der rechten Flussseite zwischen Tangermünde und Havelberg – immerhin gute 40 Kilometer Strecke – kein einziges; am linken Flussufer bietet die Bäckerei Obara in Berge einen Gastraum und einen Cafégarten, in dem im Sommer fast immer Radfahrer verweilen.

Doch zurück nach Osterburg. Konrad Behrends kümmert das Unken von der sterbenden Region wenig; meist hat er gar keine Zeit zum Nachdenken.

Sein größter Traum: Eine eigene Conche zum Schokolade machen. Ein solches Gerät, wie es der Schweizer Rodolphe Lindt gegen Ende des 19. Jahrhunderts erfand, reibt und rührt die Zutaten für Schokolade über viele Stunden und gibt ihr so die cremige Konsistenz. Erst damit begann der Siegeszug der Schokolade, die vorher brüchig und sandig schmeckte.

Aber das ist eine Investition, die zwar auf der Wunschliste ganz vorne steht – auf der Liste dessen, was möglich ist, findet sie sich weit hinten. Kurzum: Konrad Behrends wird sich noch eine ganze Weile damit zufriedengeben müssen, der belgischen Kuvertüre – wie Rohschokolade im Fachjargon heißt – nach eigener Laune Geschmacksnuancen zuzufügen.

Denn zuerst stehen andere Investitionen an: „Wir müssen das Café ins Heute holen, unser Haus öffnen und es beleben“, sagt er „und damit wieder zu einem Ort machen, den man gerne besucht.“ Noch atmet die Einrichtung das Flair der Nachwendezeit, das Café hat nicht täglich geöffnet. „Aber unsere neuen Kreationen haben sich herumgesprochen – gerade geht Cheesecake total gut.“ Sonntagnachmittags für Kaffee und Kuchen ins Städtchen an der Biese zu pilgern, hat sich schon wieder etabliert, auch weil Konrad Behrends mit den Hashtags #sonntagistkuchentag und #cakelove rund um Osterburg die Sahnetorte vom Tantchen-Image befreit. „Man muss bekannt sein von Wittenberge bis Tangermünde – sonst löppt dat nich.“ Sagt er und macht schnell das nächste Törtchenfoto für Facebook und Instagram.

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