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Kreisreform Keine Erfolgsgeschichte

2007 verloren zehn Städte in Sachen-Anhalt ihren Status als Kreisstadt. Eine Erfolgsgeschichte ist die Kreisreform nicht.

Von Jens Schmidt 01.07.2017, 01:01

Magdeburg l Im Harz verloren 2007 gleich zwei Schwergewichte ihren Status: die Touristenperle Wernigerode und die Unesco-Welterbestadt Quedlinburg waren keine Kreisstädte mehr. Halberstadt wurde das neue Zentrum des neuen Harzkreises. Der Frust ist bei den meisten mittlerweile verflogen. Die Touristen kommen weiterhin in Scharen, um Fachwerkgassen, Schloss oder Domschatz zu bestaunen. Ihnen ist der Kreissitz egal. Wernigerodes Metall- und Elektromotorenwerker rannten auch nicht weg; die Stadt bleibt Steuerprimus im Landkreis. „Wir haben das gut weggesteckt“, sagt Oberbürgermeister Peter Gaffert.

Gestritten wird noch, wo die Kreissparkasse ihren Hauptsitz hat. Ein Ärgernis bleiben lange Wege: Auch zehn Jahre nach der Fusion müssen die Harzer wegen eines Führerscheins oder Bauantrags noch nach Halberstadt fahren.

Das Zusammengehörigkeitsgefühl scheint gewachsen zu sein. Ein Indiz: Die meisten haben am Auto ein „HZ“-Kennzeichen, das für „Harzkreis“ steht, obwohl mittlerweile auch die Kennungen der alten Kreise wieder möglich sind.

Ein gewichtiges Argument für die Reform hieß damals: Kosten sparen. Wohlmeinend könnte man sagen, dass der Anstieg der Personalkosten immerhin gebremst wurde.

Die Zahlen: Vor zehn Jahren hatten die Landkreise gut 12 000 Vollzeit-Stellen. Heute sind es fast 2000 weniger. 2007 gaben die Landkreise 402 Millionen Euro für ihre Bediensteten aus. 2015 waren es etwa 438 Millionen Euro.

Das ist eine durchschnittliche jährliche Steigerung von einem Prozent - klingt moderat. Würde man die üblichen zwei Prozent Tarifentwicklung ansetzen, läge man bei 470 Millionen Euro. Also doch 40 Millionen Euro gespart? „Wir hätten auch ohne Gebietsreform Stellen reduziert“, ist Lothar Theel überzeugt. Theel, seit 14 Jahren Geschäftsführer des Landkreistages, kennt die Zahlen. Allein die demografische Entwicklung entfaltet Druck. Alle Landkreise verloren in den letzten zehn Jahren im Mittel gut 12 Prozent ihrer Einwohner; nur Magdeburg und Halle wachsen.

Am heftigsten erwischte es Anhalt-Bitterfeld und Mansfeld-Südharz. Aber auch der Salzlandkreis verlor gut 30.000 Einwohner und damit fast so viele wie in der Kreisstadt Bernburg leben.

Sein Altmarkkreis wurde schon während der ersten Reform 1994 gebildet. Er ist nur ein paar Äcker kleiner als das Saarland. „Ein Stück zu groß. Aber wenigstens sind es keine Riesenkreise geworden wie in Mecklenburg-Vorpommern“, tröstet sich Ziche, der auch Präsident des Landkreistages ist. Was ihn aber richtig ärgert: Nach der Reform sollten die Kreise eigenständiger werden; Landeszentralen sollten verschlankt und Aufgaben in die Regionen verlagert werden: Landwirtschaft, Schulaufsicht, Verbraucherschutz, Unterhaltszahlungen. So hatte es die Landespolitik zugesagt, um den Leuten vor Ort Fusionen schmackhaft zu machen. Doch wie versprochen - so gebrochen: Daraus wurde nie etwas. Es gibt eine sich verstärkende Tendenz zum Zentralismus, die sich auf Bundesebene fortsetzt:, beklagt Geschäftsführer Theel. „Auch die Länder geben immer mehr Macht an Berlin ab.“

Der Aufwand sinkt deswegen aber nicht im selben Maße; die Ausgaben für Kitas und Flüchtlingsintegration etwa sind in den letzten Jahren sogar deutlich gestiegen. 2007 lagen die Personalkosten der Landkreise bei 216 Euro je Einwohner. 2015 liegen sie bei 259 Euro. Den gestiegenen Finanzhunger stillen die Landkreise mit der Kreisumlage - jener „Steuer“, die sie sich von den Gemeinden holen. 2007 waren es 425 Millionen Euro, im vorigen Jahr schon 593 Millionen Euro. Ein Plus von 28 Prozent. „Die großen Synergieeffekte, die man sich versprochen hat, sehe ich nicht“, sagt Wernigerodes Stadtoberhaupt Gaffert. „Das war schon der stärkste Eingriff in die kommunale Selbstverwaltung“, meint Michael Ziche (CDU), Landrat in Salzwedel.

Das spiegelt sich auch in der Förderpolitik wider: Es gibt Hunderte Programme mit Tausenden Vorschriften - damit wollen Brüssel und Berlin ja alle Fäden in der Hand halten. Die Landräte wünschten sich weniger Einzel-Programme und mehr Freiraum. „Die Leute vor Ort wissen schon am besten, wo das Geld einzusetzen ist“, sagt Uwe Schulze (CDU), Landrat von Anhalt-Bitterfeld.

Zurück zu den kleinen Kreisen will kaum einer mehr, aber Feierstimmung kommt zum zehnten Reform-Geburtstag auch nicht auf. Vor allem nicht in Anhalt-Bitterfeld, jener unglücklichen, ja verunglückten Kreisbildung. Vernünftig wäre ein Kreis Dessau gewesen. Doch das scheiterte an der Stadt, die kreisfrei bleiben wollte; und es scheiterte an der Landespolitik, voran der CDU. Heraus kam ein eigenartiges Gebilde aus Bitterfeld, Köthen und einem Rest, der aus der Vierteilung des Kreises Zerbst übrig blieb. Die ehemalige Kreisstadt Zerbst nebst umliegender Dörfer hängen nun im Nordzipfel des Gebildes. Wenn ihre Einwohner in die Kreisstadt Köthen und also auf die andere Seite der Elbe wollen, müssen sie einen Umweg durch Dessaus Stadtverkehr nehmen oder aber die Fähre (!) nutzen. Einen Trost gibt es: Wegen der abseitigen Lage behielt Zerbst eine Führerscheinstelle und die Kreisstraßenbau-Meisterei.

„Die Stadt hat es dennoch ganz gut verwunden“, sagt ihr Bürgermeister Andreas Dittmann (SPD). Klar, etliche Mitarbeiter der Kreisverwaltung sind jetzt weg und mit ihnen ein Stück Kaufkraft. Immerhin hat sich das städtische Gewerbe gut gemausert und die Steuereinnahmen steigen. Doch was die Stadtkasse an zusätzlichem Geld einnimmt, geht gleich wieder weg zum Kreis. „Die Kreisumlage wächst von Jahr zu Jahr: Wir zahlen jetzt schon 9 Millionen Euro.“

Noch vor einigen Jahren wurde vor allem in der SPD lebhaft diskutiert, dass erst mit einem Großkreis Dessau irgendwann in naher Zukunft die Kreisreform vollendet würde. Ist das noch so? Bürgermeister Dittmann überlegt lange. „Also bei uns ist eine Grenze erreicht; man muss genau überlegen, ob man weitere Vergrößerungen vorsieht.“ Auf neue Gebietsreformen hat offenbar keiner mehr Lust.