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Kreißsaal Geburt ohne Bett

Weniger Kaiserschnitte durch eine andere Ausstattung im Kreißsaal? Eine Hallenser Wissenschaftlerin will natürliche Geburten fördern.

Von Elisa Sowieja 08.11.2017, 00:01

Halle l Raus mit dem Gebärbett, rein mit Matratze, Kissen, Schaumstoff-Quader und einer Teeküche mit Tisch und Stühlen. Hebammenwissenschaftlerin Dr. Gertrud Ayerle vom Universitätsklinikum Halle will mit in einem Experiment herausfinden, ob die Gebärumgebung Einfluss darauf hat, ob ein Kind per Kaiserschnitt oder auf natürlichem Wege zur Welt kommt. Kissen und Co. sollen die Schwangeren animieren, verschiedene Positionen auszuprobieren – Stehen, Hocken, Sitzen –, statt die meiste Zeit auf dem Bett zu liegen. „Durch eine aufrechte Position nutzt man die Schwerkraft des Kindes“, erklärt die Projektkoordinatorin.

Zum alternativen Kreißsaal gehören auch Entspannungshelfer wie DVDs mit Naturszenen. Es geht aber nicht nur um die Ausstattung: „Die Frau soll selbstbestimmt für ihr Wohlempfinden sorgen.“ Die anderen richten sich danach, wann sie was machen will.

Hintergrund der Studie, die das Bundesgesundheitsministerium bezahlt, ist die hohe Kaiserschnittrate in Deutschland. Knapp jedes dritte Kind kommt auf diesem Wege zur Welt, das gilt auch für Sachsen-Anhalt. Der Anteil hat sich hierzulande seit 1996 verdoppelt. Teilweise verlangen Frauen von vornherein danach, weil sie Angst vor zu starken Schmerzen haben. Teils machen aber auch Ärzte lieber einen Kaiserschnitt zu viel als einen zu wenig, weil sie fürchte, verklagt zu werden, wenn bei einer Spontangeburt etwas schiefgeht.

Ein alternativer Kreißsaal, so die Idee, könnte dazu beitragen, dass sich die Frage nach der medizinischen Notwendigkeit häufiger gar nicht erst stellt. Ayerle nimmt an, mit dem Konzept lässt sich die Rate der natürlichen Geburten um fünf Prozent steigern. Bundesweit eingesetzt, könnten so in Deutschland zusätzlich etwa 21.000 Schwangere pro Jahr diese Form von Geburt erleben.

Im April startet die Studie, sie läuft bis 2020. Das Forscherteam besteht aus sechs Hebammen und Ärztinnen aus Halle und von der Hochschule für Gesundheit Bochum. Zwölf Geburtskliniken bundesweit machen mit. Welche, steht erst im Dezember fest. Voraussichtlich sind mehrere in Sachsen-Anhalt dabei. Die Frauen werden bei der Anmeldung zur Geburt gefragt, ob sie teilnehmen möchten. Wer zustimmt, landet aber nicht automatisch im alternativen Raum. Um einen Vergleich zu haben, gebärt die Hälfte der Teilnehmerinnen im normalen Kreißsaal. Der Zufall entscheidet.

Um die Auswertung kümmern sich Gesundheitsökonomen der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Sie stellen die Kosten zusammen, die für jede Geburt anfallen – samt Folgekosten, etwa für Kontrolltermine nach einem Kaiserschnitt. So finden sie heraus, ob Geburten im alternativen Kreißsaal merklich weniger kosten, weil es möglicherweise weniger Komplikationen gibt.

Wenn die Studie nachweist, dass der alternative Kreißsaal natürliche Geburten fördert, glaubt Ayerle, würden sich sicher auch andere Kliniken für das Konzept interessieren.

Petra Chluppka vom Landeshebammenverband ist überzeugt, dass die Kaiserschnitt­rate auf diesem Weg gesenkt werden kann: „Wenn man der Frau einen Ort mit Bewegungsmöglichkeiten gestaltet und sie dabei unterstützt, ihren Instinkten zu vertrauen, nimmt sie intuitiv die richtige Position ein.“ Das funktioniere aber nur, wenn sich Hebammen und Ärzte darauf einließen.

Am Klinikum Magdeburg gibt es so etwas Ähnliches bereits. „Wir propagieren die selbstbestimmte Geburt seit den 90er Jahren“, sagt Oberärztin Anke Treuheit. Zur Ausstattung hier gehören Gebärhocker, Seil und Entspannungssessel. Auf das an Kopf- und Fußende verstellbare Gebärbett verzichten, wie es in der Studie getestet wird, will man allerdings nicht: „Gerade bei Geburten, die sich über lange Zeit hinziehen, sind die Frauen froh, wenn sie sich dort zwischendurch hinlegen können. Bei uns bewegen sie sich trotzdem viel.“