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Kriminalfall Mysteriöser Tod im Fahrstuhl

Maik war 25 Jahre alt, als er unter mysteriösen Umständen in einem Fahrstuhl in Magdeburg den Tod fand. Geklärt wurde der Fall nie.

Von Bernd Kaufholz 12.12.2016, 23:01

Magdeburg l In ein paar Wochen ist es wieder soweit. Dann wird Simone Krühne zum Achtgeschosser in der Magdeburger Jacobstraße gehen, die Treppen bis zur 7. Etage hinaufsteigen und vor der Fahrstuhltür eine Kerze anzünden. Daneben legt die 52 Jahre alte Frau, die heute im Jerichower Land lebt, eine langstielige Rose. Ein paar Minuten lang wird sie noch intensiver als sonst an ihren toten Sohn denken und noch stärker das Gefühl haben, dass Maik bei ihr ist.

Doch wenig später draußen, vor dem Haus, wird sie wieder zu Grübeln anfangen: Was ist an jenem verhängnisvollen 28. Januar 2013 wirklich geschehen? Warum wird der Mann nicht gefunden, der mit großer Wahrscheinlichkeit dabei war, als mein Junge starb? Warum hat die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen eingestellt, ohne, dass das Geschehen auch nur ansatzweise geklärt wurde?

Am 28. Januar, kurz vor 9 Uhr, rückte ein Reparaturtrupp in der Jacobstraße 42 an. Der Grund: In der Nacht zuvor hatte die Fahrstuhlanlage um 0.10 Uhr und um 0.40 Uhr automatisch Fehlermeldungen an die Zentrale gesandt. Dort war registriert worden, dass der Fahrkorb eine Funktionsstörung hat. Nachdem er blockiert war, hatte er sich um 0.40 Uhr in Bewegung gesetzt. Doch was die Monteure am nächsten Morgen vorfanden, war kein defekter Lift, sondern zwischen der 6. und 7. Etage einen Toten – eingeklemmt im Schacht. Der 25-Jährige hatte ein Seil um die Brust, das mit einem Karabinerhaken an einer Strebe befestigt war und trug eine Kletterausrüstung bei sich.

„Die Polizei vor Ort hatte schnell eine Erklärung parat“, so Simone Krühne zur Volksstimme. „Solche Fahrstuhlklettereien seien gerade in Mode. Und dabei sei Maik wohl zu Tode gekommen.“ Und selbst eine Obduktion ihres Kindes wurde erst auf ihr eindringliches Betreiben hin durchgeführt. Diese ergab, dass Maik aufgrund seiner Lage zwischen Lift und Schachtwand nicht mehr atmen konnte und ähnlich wie bei einem Verschütteten erstickt war.

Doch die weiteren Ermittlungen rücken von dieser Schnellschuss-These ab. Es wird untersucht, ob sich möglicherweise ein geheimes Rauschgiftversteck im Fachstuhlschacht befunden haben könnte. Der Hintergrund: Das Opfer hatte zehn Jahre zuvor als Schüler in Gerwisch (Jerichower Land) selbst Drogen genommen, allerdings während seiner Garten-und-Landschaftsbau-Lehre erfolgreich eine Therapie absolviert. „Mit 18 war er von dem Zeug weg“ sagt Simone Krühne. Jedoch sei die Freundin, die Maik vor seinem Tod hatte, in der Szene keine Unbekannte, wie die Mutter meint. Einmal habe sie sogar den Notarzt rufen müssen, weil es der jungen Frau „nicht gut“ gegangen sei. Allerdings wurde im Schacht des Lifts kein Stäubchen irgendeiner Sucht-Substanz gefunden.

Einen Vorfall schildert Maiks Mutter, die wie sie sagt, „vor einem riesigen Rätsel“ steht. „Ich weiß nicht, ob es etwas mit der Sache zu tun hat, aber ein paar Tage vor dem Tod meines Sohnes tauchte seine Freundin mit ein paar Typen auf. Dabei muss es wohl zu einer Auseinandersetzung gekommen sein. Maik wurde mit einem Schlagring ins Gesicht geschlagen.“

Ein weiterer Ermittlungsansatz war, dass Maik möglicherweise Buntmetall stehlen wollte und sich deshalb abgeseilt hat. Doch auch dieser Verdacht gilt in Ermittlerkreisen inzwischen als „nicht sehr belastbar“. Ausgelöst hatte diese Theorie ein heute 51-Jähriger von dem nachweislich die Kletterausrüstung stammt – außer dem Seil. So hatte ein Zeuge ausgesagt, dass Torsten G. mit der Ausrüstung zu Maik gehen wollte und sich damit gebrüstet habe: Die brauchen wir zum Kupferklauen. Maik und G. sollen in ihrer Freizeit Hobby-Kletterer gewesen sein.

G. war mehrere Male von der Polizei vernommen worden – als Zeuge. Er hatte allerdings abgestritten, in der Tatnacht der zweite Mann am Lift gewesen zu sein. Doch dass es einen zweiten Mann gegeben haben muss, haben die Untersuchungen von TÜV und Aufzugsfirma klar ergeben. Jemand muss in der 7. Etage die Fahrstuhltür aufgehalten haben. Denn beim Toten waren später keine Werkzeuge gefunden worden, mit denen er von innen eine Lifttür, die sich automatisch verriegelt, öffnen konnte. Außerdem: Maik hatte auch keine Taschenlampe bei sich. Ist die Tür geschlossen, herrscht im Schacht völlige Dunkelheit, so die Experten.

Fakt ist: Solange die Fahrstuhltür geöffnet ist, fährt der Lift nicht. Fest steht, dass sie nicht durch einen Gegenstand blockiert wurde. Wenn sie jedoch von einer zweiten Person aufgehalten wurde, warum hat diese zweite Person die Tür verlassen, als Maik noch im Fahrstuhl war und somit automatisch die „Probefahrt“ des Lifts ausgelöst? Wurde der zweite Mann bei seinem Tun überrascht?

Auch in den Aussagen von Torsten G. hat es Widersprüche gegeben. So will der ehemalige technische Theater-Mitarbeiter in der Tatnacht gegen 23 Uhr bei Maik in der Jacobstraße geklingelt, aber niemanden angetroffen, haben. Doch die Auswertung von Maiks Computer hatte ergeben, dass dieser um 23.15 Uhr in seiner Wohnung online war. G. sei bei seinen Aussagen zudem „sehr nervös“ gewesen.

Die Ermittlungen verliefen im Sande. Und Simone Krühne bekam von Polizei und Staatsanwaltschaft nur sehr spärliche Auskünfte über den Stand des Todesursachenermittlungsverfahrens. „Da wusste ich mir nicht anders zu helfen, als einen Rechtsanwalt einzuschalten“, sagt sie der Volksstimme. Und Thomas Klaus nahm sich der Sache an. Er erhielt Akteneinsicht. Daraus geht hervor, dass selbst die Ermittlungsrichterin davon ausgegangen war, dass ein zweiter Mann beteiligt gewesen sein muss. Es war eine DNA-Probe angeordnet worden. Aber da G. eingeräumt hatte, dass die Kletterausrüstung von ihm stammt, war es nicht verwunderlich, dass zu den „Mischspuren“ auch sein genetischer Fingerabdruck gehörte.

Um das Verfahren anzuschieben, stellte Klaus am 1. September 2015 eine fünf Seiten lange Strafanzeige gegen Torsten G. wegen „Mordes durch Unterlassen“. „Betrachtet man die Aktenlage, ist ein hinreichender Tatverdacht gegeben“, so der Rechtsanwalt. Aus dem Verfahren gegen „Unbekannt“ wurde am 22. September 2015 ein Verfahren gegen die konkrete Person G. Im Raum steht auch noch ein anderes Mordmotiv: Mord zur Verdeckung einer Straftat. Nämlich dann, wenn es sich doch um Buntmetalldiebstahl gehandelt haben sollte und G. den Lift verließ, weil die Sache aufzufliegen droht, und er befürchten musste, an der offenen Fahrstuhltür entdeckt zu werden.

Die Staatsanwaltschaft Magdeburg wies nach der Anzeige an, dass G., der inzwischen wegen einer anderen Sache in Halle in Haft saß, am 22. Oktober 2015 als Beschuldigter verhört wird. Dumm nur – der 51-Jährige war zwei Tage zuvor aus der Haft entlassen worden. Seitdem ist G. nicht mehr auffindbar. G. hat bei seiner Haftentlassung zwar ordnungsgemäß eine Adresse angegeben, wo er sich aufhalten wird. Aber dort ist er nicht anzutreffen.

Die Staatsanwaltschaft hat aus diesem Grund die Ermittlungen nach Paragraph 154f Strafprozessordnung (vorläufige Einstellung des Verfahrens bei Hindernissen in der Person des Beschuldigten) eingestellt. Das teilte Behördensprecher Frank Baumgarten mit.

Ob die Staatsanwaltschaft die Suche nach G. durch einen Haftbefehl forcieren will, darüber hüllt sich die Behörde in Schweigen. Dass sich Zielfahnder an die Fersen des 51-Jährigen geheftet haben, gilt aufgrund der Sachlage als „eher unwahrscheinlich“.

Für die Mutter des Toten nicht nachzuvollziehen, dass sich G. scheinbar „in Rauch aufgelöst“ hat. „Wenn irgendwo ein Wolf erschossen wird, werden 5000 Euro Belohnung ausgesetzt, um den Täter zu finden. Und wenn zwei Welpen gequält werden, wird nicht eher Ruhe gegeben, bis der Schuldige gefunden wird. Da muss man sich die Frage stellen, was ein Menschenleben wert ist?“ Ihr gehe es in erster Linie gar nicht darum, dass Torsten G. bestraft werde. „Ich möchte nur abschließen. Ich möchte wissen, was in der Nacht wirklich passiert ist. Ich möchte meine Ruhe wiederfinden“, sagt Simone Krühne.