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Landesfinanzen André Schröder: "Zahlen lügen nicht"

Die Wunschliste der Koalition ist lang. Wie soll Sachsen-Anhalt das alles stemmen? Das verrät Finanzminister André Schröder (CDU).

Von Jens Schmidt 09.05.2016, 01:01

Herr Minister, Ihr Amtsvorgänger Jens Bullerjahn schrieb kurz vor Dienstschluss einen Warnbrief: Haushaltsrisiken und neue Koalitionswünsche reißen bis 2021 ein Kassenloch von 6 Milliarden Euro. Haben Sie eine Gelddruckmaschine?

André Schröder: Nein, die haben wir nicht. Mein Vorgänger kennt die Lage, klar, aber ich möchte mir ein eigenes Bild machen. Wir erarbeiten jetzt einen Finanzstatusbericht, in dem Chancen und Risiken neu bewertet werden.

Ein Kassensturz also?

Das wäre das falsche Wort, da man annehmen könnte, wir würden mit der finanzpolitischen Linie der vergangenen Jahre brechen. Dem ist nicht so. Ich will mit dem Bericht zeigen, in welchem Finanzrahmen die Koalition startet.

Wo ist die Grenze?

Entscheidend sind zwei Punkte: Wir nehmen keine neuen Schulden auf. Und: Wir setzen die Haushaltskonsolidierung fort. Dazu gehören der Abbau des strukturellen Defizits, Tilgung und Rücklagen. Dafür bekommen wir vom Bund jährlich eine Konsolidierungshilfe von 80 Millionen Euro. Die darf nicht aufs Spiel gesetzt werden. Aus all dem ergibt sich eine Obergrenze für die Ausgaben. Das ist die rote Linie.

Was bedeutet „strukturelles Defizit“?

Vereinfacht gesagt geht es um die langfristige Ausgewogenheit von Einnahmen und Ausgaben. Wenn man die Balance verlässt und dauerhaft mehr ausgibt als man einnimmt, entsteht ein strukturelles Defizit.

Mitte des Monats kommt eine neue Steuerschätzung. Wie stehen die Zeichen?

Es sieht gut aus. Allerdings kommt es zu einem Sondereffekt: Eine hohe Gewerbesteuernachzahlung führt in der Folge dazu, dass das Land weniger aus dem Länderfinanzausgleich bekommt.

Zudem: Selbst wenn die Einnahmen steigen, dürfen wir nicht einfach neue Vorhaben finanzieren, sondern müssen das besagte strukturelle Defizit aus den Vorjahren weiter verringern. Für dieses Defizit gibt es eine Obergrenze, die dürfen wir nicht reißen, andernfalls gibt es die schon erwähnten Konsolidierungshilfen nicht.

Mehr Geld für Kommunen, mehr Lehrer und Polizisten: Wie sollen die milliardenschweren Mehrausgaben geschultert werden?

Es gibt grundsätzlich drei Möglichkeiten: Durch dauerhaft höhere Einnahmen, durch zeitliche Streckung von Vorhaben oder durch Umschichtung. Eines weiß ich aber jetzt schon: Wir haben keine großen Puffer. Daher ist klar: Wir können nicht alles auf einmal schaffen! Wir müssen Prioritäten setzen. Wir wollen den Einstieg in die finanzielle Entlastung der Kommunen. Außerdem wollen wir schon in diesem Jahr 270 Lehrer zusätzlich einstellen, bislang waren 470 Lehrer-Neueinstellungen vorgesehen. Die Zahl der Polizeianwärter wollen wir um 100 auf 250 erhöhen. Dies wollen wir aus den Personalverstärkungsmitteln bezahlen, so dass kein Nachtragshaushalt notwendig wäre. Aber auch für diese prioritären Vorhaben gilt die erwähnte rote Linie: Die Konsolidierungshilfe darf nicht gefährdet werden. Auch diese Maßgabe macht der Koalitionsvertrag.

Werden Sie eine Streich- und Kürzungsliste vorlegen, um Geld umzuschichten?

Ich habe alle Ministerien angeschrieben, um den Doppelhaushalt 2017/18 vorzubereiten. Ich gehe davon aus, dass nur die prioritären Maßnahmen angemeldet werden und alle weiteren Vorhaben im Rahmen der Einzelpläne zu finanzieren sind.

Allein für die Kommunen wären ab 2017 jedes Jahr 200 bis 300 Millionen Euro mehr fällig, um den Koalitionsvertrag zu erfüllen. Wo soll das Geld herkommen?

Wir sind dabei, Chancen und Risiken des Haushalts zusammenzustellen. Bekanntlich verhandeln die Länder mit dem Bund um die Flüchtlingshilfen. Da geht es bundesweit immerhin um 21 Milliarden Euro. Derzeit trägt der Bund 24 Prozent. Die Länder fordern 50 Prozent. Sind die Länder erfolgreich, bedeutet das für Sachsen-Anhalt eine Entlastung von etwa 120 Millionen Euro. Zudem müssen wir schauen, welche Unterbringungskapazitäten wir noch brauchen und welche Verträge auslaufen können.

Und was die Kommunen betrifft: Auch dort darf die Zeit der Konsolidierung nicht zu Ende sein. Mitunter höre ich: Die Gemeinden haben gespart, da gehe nichts mehr und das Land sei dran, zu helfen. Einen Schlussstrich unter die Konsolidierung kann es aber nicht geben. Das Geld, das wir zusätzlich den Kommunen geben, soll Anreize schaffen, Schulden abzubauen und die Ausgabedisziplin zu honorieren. Das werden wir in einem neuen Finanzausgleichsgesetz regeln.

Ihr Vorgänger verwies oft darauf, dass die Arbeitszeit der Lehrer hier vergleichsweise niedrig sei und man mit einer Wochenstunde mehr gut 500 bis 700 Stellen sparen kann. Gibt es einen neuen Anlauf?

Diese Frage richtet sich zuerst an den Bildungsminister, der die Tarifverhandlungen führt. Aber es stimmt, dass die Wochenbelastung in Sachsen-Anhalt niedriger ist als in den meisten anderen Bundesländern. Insofern bleibt das Thema. Es stimmt aber auch, dass wir Unterrichtsversorgung sicherzustellen haben und daher um die Einstellung zusätzlicher junger Lehrer nicht herumkommen.

Wann wird die Lebensarbeitszeit der Beamten auf 67 angehoben?

Ich denke, das startet schrittweise in den nächsten zwei Jahren.

Eltern sollten bei den steigenden Kitabeiträgen entlastet werden. Ist das leistbar?

Wir werden das Betreuungsgeld vom Bund eins zu eins an die Kommunen weiterreichen. Außerdem diskutieren wir die Möglichkeit, die Kosten für Gehaltssteigerungen zu übernehmen. Dadurch kann der Anstieg der Eltern-Beiträge gedämpft werden.

Jedes Ministerium darf sieben Extra-Stellen schaffen. Warum?

Es geht um befristete Einstellungen. Im Leitungsbereich etwa bei persönlichen Referenten, Sprechern oder Büroleitern sind personelle Veränderungen nach einer Wahl durchaus üblich. Wichtig dabei: Ab 2017 hat jedes Ressort ein Personalkostenbudget – das nicht überzogen werden darf.

Ihr Vorgänger war als harter Hund bekannt. Welcher Typ Finanzminister sind Sie?

Ich bin ein anderer Typ, ich will aber nicht mit den Grundsätzen seiner Finanzpolitik brechen. In der Kommunikation hatten viele das Gefühl, dass Finanz-Politik nur noch Notverwaltung war und es keinen Gestaltungsspielraum in anderen Politikfeldern mehr gab. Es kam dann zu Verhärtungen. Das möchte ich vermeiden. Ich setze auf Ausgleich. Für mich kommt es darauf an, Lösungen zu finden. Allerdings geht das alles nur bis zu einem bestimmten Punkt. Diplomatie schlägt nicht die Zahlen. Niemand soll denken, ab morgen wird nur noch gekuschelt. Eine ausgleichende Art sollte man nicht mit Schwäche verwechseln. Zahlen lügen nicht.