Debatte Ein Sternchen erhitzt die Gemüter
Die Diskussion um geschlechtergerechte Sprache wird immer erbitterter geführt.

Magdeburg
„Gründer“ und „Gründerin“, „Gast“ und „Gästin“ oder „Bösewicht“ und „Bösewichtin“ – der Duden listet gedruckt und in seiner Online-Ausgabe neuerdings männliche und weibliche Formen von Substantiven auf. 120.000 Personen- und Berufsbezeichnungen erhalten im Online-Wörterbuch zusätzlich die weibliche Form. Die sprachliche Realität habe sich gewandelt, erklärte Duden-Chefredakteurin Kathrin Kunkel-Razum die Änderungen.
Die Debatte um gendergerechte Sprache hat in den vergangenen Wochen und Monaten an Fahrt aufgenommen. Im Kern steht die Frage, ob anstelle etwa des Plurals „Gründer“ nicht besser Formen mit Genderstern („Gründer*innen“), Unterstrich („Gründer_innen“) oder Doppelformen („Gründerinnen und Gründer“) verwendet werden sollten. Hintergrund: Die Vielfalt der Geschlechter lasse sich sprachlich abbilden.
„Schluss mit Gender-Unfug!“
Das generische Maskulinum ein Auslaufmodell? Völlig undenkbar, heißt es von der Gegenpartei. „Schluss mit Gender-Unfug!“, forderten nach der Duden-Reform etwa der Verein Deutsche Sprache und prominente Unterzeichner in einem Aufruf. „Radfahrende“, „Studierende“: Gendern erzeuge eine Fülle lächerlicher Sprachgebilde. Ein Beitrag zur Besserstellung der Frau in der Gesellschaft sei damit nicht zu erreichen.
Linguistin Kristin Kuck von der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg sieht das anders. Wer das generische Maskulinum verwende, um Gruppen zu bezeichnen – und dabei nur von Bankern, Rechtsanwälten oder Häuslebauern spricht – lasse offen, ob sich in dieser Gruppe auch Frauen befinden. „Frauen sind immer nur mitgemeint. Erst das Gendern schafft hier Eindeutigkeit“, so Kuck.
Uta Seewald-Heeg hat ein „gespaltenes Verhältnis“ zu den neuen Endungen. Die Computerlinguistin lehrt an der Hochschule Anhalt und ist Vorsitzende der Neuen Fruchtbringenden Gesellschaft zu Köthen/Anhalt. „Das bestehende System mit generischem Maskulinum ist ökonomisch“, sagt Seewald-Heeg. Mit Gendersternchen, Unterstrich oder Doppelpunkt versehen würden viele Texte „zum Teil nahezu unlesbar“. Beim Sprechen beeinträchtige der Gendergap – also die hörbare Kunstpause zwischen Stamm und Endung – den Sprachfluss.
„Maß für das Schöne“ fehlt
„Natürlich ist es wichtig, Frauen auch sprachlich hör- und sichtbar zu machen“, sagt Seewald-Heeg. Ob die neuen sprachlichen Formen dafür das geeignete Mittel darstellen, bezweifelt sie. Doppelformen („Kolleginnen und Kollegen“) bevorzugt Seewald-Heeg, wenn sie gezielt Frauen adressieren möchte. Beim gehäuften Einsatz der neuen Endungen fehlt der Sprachpflegerin hingegen „das Maß für das Schöne“.
Als „wichtigen und alternativlosen Schritt“ interpretiert die Anglistin und Kulturwissenschaftlerin Susan Arndt die Duden-Reform. Die gebürtige Magdeburgerin lehrt an der Uni Bayreuth. 2020 erschien ihr Buch „Sexismus – Geschichte einer Unterdrückung“. Arndt analysiert und diskutiert darin Erscheinungsformen von Sexismus.
„Sprache ist ein wichtiges Mittel der Repräsentation“, sagt Arndt. Das generische Maskulinum bilde eben nicht alle verschiedenen Geschlechter ab. „Es stammt aus einer Zeit und steht in einer Tradition, in der der Mann das Letztentscheidungsrecht hatte, den öffentlichen Raum repräsentierte und das auch juristisch sanktioniert wurde“, sagt Arndt.
Männer sprechen im Namen von Frauen
Das generische Maskulinum gewähre Männern das „Recht“, im Namen von Frauen sprechen zu können. Als wenig förderlich empfindet die Kulturwissenschaftlerin in der derzeitigen Debatte die große Anzahl von Menschen, die „emotional bis aggressiv“ auf die Veränderungen reagiere. „Zugleich nehmen viele für sich in Anspruch, die Norm objektiv zu vertreten, und unterstellen anderen einen emotionalen Umgang mit dem Thema.“
Zu beobachten ist derzeit: „Das Tempo des gendersensiblen Sprachwandels erhöht sich“, sagt Linguistin Kristin Kuck. Wichtige Medien verändern ihren Sprachgebrauch. Ein wichtiger Richtwert für sprachliche Veränderungen.
Gendergerechte Sprache im Kommen oder nicht – eine Meinung dazu haben offensichtlich viele. Als Moderatorin Anne Will im vergangenen Jahr in einer ihrer Sendungen vom „Bund der Steuerzahler_innen“ sprach, also den Gendergap (auch Glottisschlag oder Knacklaut genannt) mitsprach, explodierte die Zahl der Zuschriften. ZDF-Moderatorin Petra Gerster erhielt wütende Nachrichten, als sie begann, in der Nachrichtensendung „heute“ zu gendern. „Die Mehrheit der Zuschauer lehnt das ab“, folgerte Gerster in einem Interview.
Mehrheit in Umfrage skeptisch
Tatsächlich erachteten laut einer Umfrage von YouGov im Mai 2020 rund 28 Prozent der befragten Frauen geschlechtergerechte Sprache als eher unwichtig. Unter den Männern waren rund 34 Prozent dieser Meinung. Insgesamt hatten 36 Prozent keine Lust darauf, sprachliche Veränderungen etwa im Arbeitsalltag mitzumachen. Der Anteil war unter den Männern mit 40 Prozent höher als bei den Frauen (32 Prozent). Das Gendern in der Öffentlichkeit bewerteten 41 Prozent in einer jüngeren YouGov-Umfrage als „unnötig“.
Stülpt der Duden der deutschen Sprache also etwas über, was bei den Menschen in der Breite noch nicht angekommen ist? Linguist Peter Eisenberg sieht das so. Mit seiner Reform schaffe der Duden das generische Maskulinum faktisch ab. Der Duden vertrete nicht die Sprache, wie sie ist, sondern baue sie um.
Sprachwissenschaftlerin Kristin Kuck sieht in der Duden-Reform andere Gründe. Der Duden passe sich an den veränderten Gebrauch von Sprache und den verstärkten Gebrauch von femininen Endungen an. Den von einigen Sprachpuristen vermuteten „gewaltsamen Eingriff“ in die Sprache sieht sie darin nicht.
„Da ist schon länger ein Stein ins Rollen gekommen“, sagt Susan Arndt. Die Frauen von heute stünden auf den Schultern früherer Generationen. Eine viel breitere Zahl von Frauen steige nun in die Debatte ein und ermutige wieder andere Frauen, Sprache auf den Prüfstand zu stellen.
Verwaltungen gendern
Der veränderte Umgang mit Sprache ist auch in den Verwaltungen der Städte und Gemeinden in Sachsen-Anhalt zunehmend Thema. Neben den häufigen Doppelnennungen taucht auch das Gendersternchen auf. „Wir verwenden es seit dem letzten Jahr in Pressemitteilungen und auf unseren Social-Media-Auftritten“, sagt Thomas Zaschke, Pressesprecher der Gemeinde Barleben. Von „Bürgerinnen und Bürgern“ zu schreiben – das habe so manchen Text gesprengt, sagt Zaschke. In Barleben ist nun die Rede von „Bürger*innen“. Eine Anweisung von oben habe es dafür nicht gebraucht, sagt Zaschke. Inklusives Sprechen und die veränderte Schreibweise – Bürgermeister Frank Nase stehe da hinter ihm, sagt er.
Auf Ebene der Landespolitik ist geschlechtergerechte Sprache Ansichtssache. Einige Fraktionen benutzen sie sehr bewusst, andere sind strenge Verfechter des generischen Maskulinums. Während etwa die Linke im Landtag von Sachsen-Anhalt in Pressemitteilungen rege vom Gendersternchen Gebrauch macht, also von „Expert*innen“ oder „Vertreter*innen“ schreibt, macht die AfD keinen Hehl daraus, was die neuen sprachlichen Formen für sie sind: „Genderwahnsinn“. Die Fraktion machte sich vor zwei Jahren für die Abschaffung „aller durch Feminismus und Gender Mainstreaming bedingten Schreibweisen im amtlichen Gebrauch“ stark. Die übrigen vertretenen Parteien sahen das anders.
Rechte Gruppen „erobern“ genderkritische Haltung
Der Verstoß der AfD ist kein Einzelfall. Rechte und rechtskonservative Gruppen hätten seit einiger Zeit die genderkritische Haltung „erobert“, sagt Linguistin Kristin Kuck. Wie häufig in Sprachdebatten, stehe meist kein sprachliches Interesse im Vordergrund der Debatte, sondern ein gesellschaftlich-politisches. Wer sich für das Gendern entscheidet, positioniere sich politisch und grenze sich von den Gruppen ab, sagt Kuck.
So sehr das Thema Gendern polarisiert – es sei wichtig, zu den Fragen im Gespräch zu bleiben, sagt Susan Arndt. Natürlich gebe es Menschen, denen das Gendersternchen missfalle. Auf der anderen Seite gibt es aber auch jene, die das starre Festhalten am generischen Maskulinum als ignorant empfinden, sagt Arndt.
Der Duden klärt in seiner jüngsten Auflage auf drei Seiten übrigens darüber auf, wie geschlechtergerechte Sprache funktioniert. Der Gebrauch des generischen Maskulinums ist ausdrücklich weiter erlaubt, empfohlen wird er aber nicht mehr.