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Landtag Linken-Chef Höppner: "Wir waren zu elitär"

Die Linke verliert in Sachsen-Anhalt, wie im ganzen Osten, an Zuspruch. Parteichef Andreas Höppner will das wieder ändern.

Von Jens Schmidt 26.10.2017, 01:01

2009 war sie noch Volkspartei, seit 2016 rennt ihr das Volk weg. Parteichef Andreas Höppner möchte in der Zuwanderungsfrage trotzdem hart bleiben: Offene Grenzen für alle, die hier arbeiten wollen. Mit ihm sprach Volksstimme-Reporter Jens Schmidt.

Volksstimme: Herr Höppner, Ihr Fraktionschef Swen Knöchel ist zurückgetreten. Zuvor hatten Sie eine Aussprache mit ihm. Er sprach von massiver, auch verletzender Kritik. Gehen Sie als Parteichef mit Ihren Leuten immer so ruppig um?
Andreas Höppner:
So etwas ist immer unangenehm, mit Ruppigkeit hat das gar nichts zu tun. Es gab verschiedene Gespräche mit Swen Knöchel, mit unterschiedlichen Partnern. Am Donnerstag tagte der Fraktionsvorstand, dort war das Klima sehr offen. Swen Knöchels Empfindungen dazu habe ich nicht zu kommentieren.

Gab es politische Differenzen?
Es gab über die neuen Herausforderungen, der sich die Linke stellen muss, keinen Dissens zwischen Partei und Fraktion in Sachsen-Anhalt. Die Linke muss ihre Rolle als glaubhafte Oppositionskraft ausfüllen.

Warum haben Sie ihm dann nahegelegt, nicht wieder zu kandidieren?
Um uns mit einer besseren Rollenverteilung in der Fraktion aufzustellen. Die Linksfraktion muss sich stärker in der Öffentlichkeit profilieren, wir bewegen uns in einer neuen politischen Situation zwischen ungewöhnlichen Regierungsbündnissen auf der einen und Krawallmachern auf der anderen Seite.

Auf Bundesebene krachte es zwischen Partei- und Fraktionsführung auch. Wie wirkt sich das auf Ihre Anhänger hier im Land aus?
Wenn sich Spitzenleute gegenseitig bekämpfen, schadet das immer einer Partei. Selbst, wenn es nur einige Zehntel sind, die man an Zustimmung verliert, ist das nicht gut. Das haben wir bei der Niedersachsen-Wahl gemerkt. Am Ende haben uns 0,4 Prozentpunkte gefehlt, um in den Landtag einzuziehen.

Bei dem Streit geht es vor allem um die Zuwanderung. Offene Grenzen für alle oder gesteuerte Zuwanderung?
Ich sage: Offene Grenzen, ja – aber wir brauchen auch Regeln. Jeder, der hier arbeiten, studieren und leben möchte, darf zu uns kommen. Aber wir müssen klären, wie er zu integrieren ist und was Bund, Länder sowie die Landkreise zu leisten haben. Dafür brauchen wir ein Einwanderungsgesetz.

Mal abgesehen von Asyl und Kriegsflucht: Soll jeder, der es möchte, nach Deutschland übersiedeln dürfen?
Ja. Wenn jemand bei uns sein Leben verbessern möchte, dann bekommt er hier seine Chance. Es gäbe nur ein Nein: Für Menschen, die Verbrechen begangen haben oder Terrorakte planen.

Aber bei dem Wohlstandsgefälle zwischen Europa und Afrika würden sich doch Millionen auf den Weg machen. Glauben Sie ernsthaft, dass das Deutschland verkraften würde?
Ich halte es für einen Trugschluss, dass Millionen kommen. In den Jahren vor 2015 hatten wir solch eine Bewegung auch nicht. Ich denke, das werden kalkulierbare und machbare Größenordnungen sein. Natürlich steht über allem, dass wir die Fluchtursachen bekämpfen müssen: Kriege, wirtschaftliche Not, unfairen Welthandel.

Aber gerade sozial Schwächere im Osten sehen in tausendfacher Zuwanderung offenbar eher eine Bedrohung denn eine Bereicherung. Was sagen Sie denen?
Das liegt an der verfehlten Sozialpolitik. Es geht um fehlende Lehrer und Polizisten, um niedrige Renten, Leiharbeit, befristete Jobs und Lohndrückerei – bis hin zum Bus, der auf dem Lande nicht mehr fährt. Jeder Dritte bekommt hier Mindestlohn. Seit Hartz IV ist der Druck auf Arbeitnehmer erheblich gewachsen. Ich kann die Ängste der Leute verstehen. Hätten wir überall gute Lebensbedingungen, gäbe es diese Ängste nicht.

Die Genossen Lafontaine und Wagenknecht halten die Flüchtlingspolitik der Linken aber für verfehlt.
Ich nicht. Es bringt doch nichts, Ärmere gegen Noch-Ärmere auszuspielen. Wir müssen klarstellen, dass es diese beklagenswerte soziale Situation in Deutschland schon vor der Flüchtlingskrise 2015 gab. Die Lösung des Problems liegt in einer besseren Sozialpolitik und nicht in mehr Abschottung.

Das scheinen Ihnen viele nicht abzunehmen. Zur Bundestagswahl 2009 war die Linke in Sachsen-Anhalt mit 30 Prozent Volkspartei – jetzt sind es 17 Prozent. Warum läuft Ihnen das Volk weg?
Wir haben zuletzt in den Städten vor allem jüngere Wählerinnen und Wähler gewonnen. Doch in ländlichen Regionen haben wir viele verloren – vor allem bei Arbeitnehmern und Arbeitslosen. Ich denke, wir bedienen die richtigen Themen; aber die Ansprache war oft völlig verquer. Wir waren zu elitär, zu akademisiert. Ich spreche die harte Sprache der Industrie. Da müssen wir wieder hin. Und: Wir müssen zuhören und mitmachen – in den Vereinen, in den Feuerwehren. Nur mal eine Rede halten, reicht nicht. Die Linke muss wieder Kümmerer-Partei werden.

400.000 Linke-Wähler sind bundesweit zur AfD abgewandert. Können Sie die je zurückholen?
Es gibt ein gewisses Potenzial, das weit rechts steht – da stellt sich die Frage des Zurückholens nicht, weil die Linke ihre Grundsätze nicht aufgeben wird. Aber es gab auch viele, die mir gesagt haben: „Wir haben früher Linke gewählt, aber Ihr konntet auch nichts ändern. Also wählen wir dieses Mal AfD.“ Diese Wähler können wir zurückholen.

Diese Wähler ticken sozial links – aber in der nationalen Frage rechts. Wie wollen Sie die überzeugen?
Indem wir Ihnen als Linke ein Angebot machen und sagen, wie wir Einwanderung regeln würden.

Aber da ringt Ihre Partei doch noch mit sich selbst. Die einen wollen alle hereinlassen, die anderen wollen nach Qualifikation und Bedarf aussieben.
Das ist der Disput, den wir noch vor uns haben und den wir schon vor der Bundestagswahl hätten führen müssen. Ich sage: Wir sollten nicht aussieben. Wir müssen weltoffen bleiben. Wenn wir die sozialen Probleme bei uns entschärfen, werden wir für unsere Haltung auch viel Zustimmung erhalten.

Was wollen Sie in Sachsen-Anhalt dafür tun?
Wir müssen die Drei-Klassen-Gesellschaft in den Betrieben beenden. Die einen haben feste Jobs, andere haben befristete Jobs und es gibt Leiharbeit und Werksverträge. Das Land muss erreichen, dass feste Jobs, Tariflöhne sowie die Vereinbarkeit von Beruf und Familie Standard werden. Das geht über Fördergelder und bei der öffentlichen Auftragsvergabe.

In den Gemeinden werden wir den Wiederaufbau fordern. Eine der schlimmsten Reformen war die Gemeindegebietsrefom 2010: Da wurden Riesengemeinden geschaffen. Einfach Wahnsinn. Leute, die sich früher engagierten, wurden vergrault. Schulen und Kitas wurden geschlossen, Busfahrten gekürzt, Konsum und Sparkasse sind zu.

Einige Schulen hatten nur noch 40 Kinder.
Das ist doch optimal.

Aber sehr teuer.
Natürlich brauchen wir mehr Geld. Aber das ist auch eine Frage der Gewichtung. Ein Beispiel: Da wird in der Altmark mit Schnöggersburg für 140 Millionen Euro eine Stadt aufgebaut, um Krieg zu spielen. Sogar mit einer Schule. Und zugleich werden echte Schulen dichtgemacht. Das versteht vor Ort kein Mensch.

Deutschland ist so reich, dass bei einer sinnvollen und gerechteren Umverteilung Hunderte Millionen Euro für eine bessere Infrastruktur da wären. Wir werden uns daher auch weiter sehr laut für mehr Lehrerstellen einsetzen und den Kampf für eine kostenlose Kita-Betreuung weiter forcieren.

Die Linke wieder als Protestpartei? Sind Sie nicht schon viel zu etabliert, als dass die Leute Ihnen das noch abnehmen?
Da müssen wir nicht drumherumreden: Wir sind mittlerweile eine etablierte Partei. Wir stellen in Thüringen den Ministerpräsidenten und sitzen im Berliner Senat. Aber die Linke muss auch Protestpartei sein. Das ist ausbaufähig. Wir müssen Protest laut und zugespitzt artikulieren – aber zugleich auch bereit sein, Regierungsverantwortung zu übernehmen.