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Landwirtschaft Rumpeliger Agrar-Kreislauf

Nachhaltig getreu dem Prinzip „Farm to Fork“ - so sollen Europas Bauern künftig wirtschaften.

Von Steffen Honig 23.07.2020, 17:55

Zerbst l Die 55 Mitarbeiter der Agrargenossenschaft Bornun, Sitz Trüben, bei Zerbst bewirtschaften rund 4000 ha Land, auf denen Roggen und Mais wachsen. Im Betrieb stehen 550 Milchkühe und 480 Sauen. Mario Gaube, schon seit LPG-Zeiten dabei, ist hier der Chef. Ein Betrieb, wie es viele gibt in Sachsen-Anhalts Dörfern.

Nachbar Kees de Vries hat sich angesagt, der ein bäuerliches Familienunternehmen in Deetz führt. De Vries, Bundestagsabgeordneter der CDU, kommt mit Parteiprominenz im Schlepp: dem sachsen-anhaltischen CDU-Europaabgeordneten Sven Schulze und dessen sächsischem Kollegen Peter Jahr. Die Auswirkungen der neuesten Landwirtschafts- ideen der EU will man diskutieren – die auf eine nachhaltigen Kreislaufwirtschaft vom Hof zum Verbraucher abzielt (Farm to Fork).

Niemand ist dagegen in der Runde. Alle melden jedoch ein kräftiges „Aber“ an.

Genossenschafts-Chef Gaube: „Die Realität geht in eine andere Richtung.“ Die gesetzlichen Vorgaben seien kaum noch erfüllen. So haben die Bornumer mit der Sauenzucht heftige Sorgen. Dabei seien die Ställe entsprechend der EU-Normen seit 2009 bereits zwei Mal umgebaut worden, sagt Gaube.

Um die Aufzucht wirtschaftlicher zu machen, hat Gaube einen Fachberater hinzugezogen. Ernüchterndes Resultat: Nur 2000 bis 3000 anstelle der aktuellen 480 Schweine wären effektiv. Denn für Schweinezucht gibt es keine EU-Fördermittel. Die Genossenschaft müsste demnach auf die Massentierhaltung umstellen, von der kein Verbraucher etwas wissen will. Oder den Agrar-Kreislauf weiter unwirtschaftlich betreiben.

Gaube und de Vries haben ein anderes Beispiel zur Zentralisierung von Schlachtbetrieben – durch die Fälle Tönnies und Wiesenhof brandaktuell – bei der Hand. In Roßlau-Tornau war 1993 ein regionaler Schlachthof der bayerischen Firma Moksel neu gebaut worden. 2006 wurde der dichtgemacht. Weil die Fördergelder ausgelaufen waren. Großschlachtereien sprangen in die Bresche.

Bei Tönnies sind für de Vries nicht die Schlachtzahlen von 20  000 bis 40  000 Tieren und die Werkverträge an sich das Problem. Das seien vor allem die Subunternehmen, die die Vorschriften nicht einhielten. „Wenn die Leute für ein Bett so viel bezahlen müssen wie für eine Hotel-Suite, kann sich Tönnies da nicht rausstehlen.“ Und immer längere Transportstrecken für die Schweine und Rinder würden natürlich dem Tierwohl eklatant zuwiderlaufen.

Der EU-Abgeordnete Peter Jahr, vor seiner parlamentarischen Karriere aktiver Landwirt, findet den „wissenschaftlich-technischen Fortschritt“ in der Landwirtschaft zu wenig berücksichtigt.

Der Sachse denkt dabei an Neuzüchtungen mit Hilfe von grüner Gentechnik. In Deutschland ist das seit Jahren ein äußerst kontrovers debattiertes Thema. Landwirte versprechen sich viel von der sogenannten Crispr/Cas-Technik. Mit dieser Methode können punktgenaue Mutationen im Erbgut erzeugt werden.

Landwirt und CDU-Politiker de Vries: „So werden Pflanzen gezüchtet, die nicht mehr von den natürlichen zu unterscheiden sind.“ Wenn Deutschland sich hier abkoppele, würden eines Tages diese Produkte importiert, ohne sie als solche zu erkennen. „Strahlung und Chemie sind erlaubt, aber diese Technik nicht“, moniert er.

Der Kreislauf vom Erzeuger zum Verbraucher eiert auch bei mentalen Fragen. CDU-Politiker Sven Schulze: „Wichtig ist, nicht so tun, als würden Landwirte die Natur nur ausnehmen.“

Der sächsische Europabgeordnete Jahr ist einstweilen zufrieden, dass sich der EU-Gipfel vom Wochenende auf den mehrjährigen Finanzrahmen der Gemeinschaft geeinigt hat. Damit stünden auch die planbaren Mittel für die Landwirtschaft fest. „Jetzt, wo das Geld gesichert ist, können wir über die nächste Reform in diesem Bereich reden.“

Ob Green Deal, Farm to Fork oder Biodiversität – all dies ist für Jahr aber „längst noch nicht zu Ende diskutiert“. Von den Zerbster Bauern gibt es keinen Widerspruch.