1. Startseite
  2. >
  3. Sachsen-Anhalt
  4. >
  5. Beim Ausgang getürmt

Maßregelvollzug Beim Ausgang getürmt

Mehr als 200 Straftäter in Sachsen-Anhalts Maßregelvollzug erhalten regelmäßig Lockerungen. Elf haben 2016 gegen Auflagen verstoßen.

Von Alexander Walter 24.07.2017, 10:53

Magdeburg l Der 35-Jährige nutzte die Lockerung seines Maßregelvollzugs zur Flucht. Beim Ausgang im Park türmte er vor den Augen seiner vier Mitpatienten. Die meldeten den Vorfall zwar. Doch der wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilte Straftäter blieb verschwunden. Erst ein halbes Jahr später konnte ein Spezialeinsatzkommando der Polizei den Flüchtigen in Friedrichsbrunn im Harz fassen. Der aus Merseburg stammende Mann hatte sich inzwischen bewaffnet. Bei der Festnahme fand die Polizei eine 9-Millimeter-Pistole der Marke Mauser bei ihm.

Der Fall war 2016 nicht der einzige, in dem ein verurteilter Straftäter Lockerungen seines Maßregelvollzugs missbrauchte. Nach Angaben des Sozialministeriums verstießen von den mehr als 200 Patienten mit Vollzugslockerungen elf gegen Auflagen. Bis Juni dieses Jahres zählte das Ministerium weitere vier Verstöße. Zum Vergleich: 2015 gab es nur drei Missbräuche, 2012 allerdings ebenfalls zehn. Die Zahlen seien Ausdruck normaler Schwankungen, sagt Franka Petzke, Pressesprecherin der Salus Gesellschaft, die die beiden Einrichtungen des Maßregelvollzugs in Sachsen-Anhalt – die Landeskrankenhäuser in Bernburg und Uchtspringe – betreibt. Die Missbräuche lägen im Verhältnis zur Gesamtzahl der gewährten Lockerungen dauerhaft bei unter einem Prozent.

Bevor Lockerungen gewährt werden, würden diese durch ein Team aus Ärzten und Mitarbeitern geprüft. „Hundertprozentige Sicherheit kann es aber nicht geben", betont Petzke. Dafür sei menschliches Verhalten zu komplex. Die registrierten Vergehen reichen von der verspäteten Rückkehr bis zur vorsätzlichen Flucht mit kriminellen Handlungen.

In der Regel werde bei einem leichten Verstoß die geltende Lockerung gemindert und der Verstoß mit dem Patienten besprochen. Bei Straftaten werde diese dagegen „je nach Fall auch schon mal auf Null gesetzt". Insgesamt sind nach Angaben des Sozialministeriums derzeit rund 400 verurteilte Straftäter im Maßregelvollzug des Landes untergebracht. Dieser kommt für Täter infrage, die wegen Sucht- oder psychischer Erkrankungen vermindert beziehungsweise ganz schuldunfähig sind. Ziel ist die Sicherung der Straftäter bei gleichzeitiger Besserung oder Heilung ihrer Erkrankungen. Vollzugslockerungen werden dabei schrittweise gewährt, um Tätern die Wiedereingliederung in die Gesellschaft nach der Therapie zu ermöglichen.

In einem ersten Schritt dürfen Patienten etwa das Gelände der Klinik in Begleitung eines Mitarbeiters verlassen, danach kommen Gruppenausführungen und schließlich der Ausgang ohne Begleitung in Betracht. Die meisten Lockerungen werden im Landeskrankenhaus Bernburg gewährt, das auf die Behandlung suchtkranker Straftäter spezialisiert ist. Zugleich gab es dort mit acht von elf Fällen aber auch die meisten Missbräuche. In Uchtspringe, wo psychisch kranke Täter behandelt werden, sind die Bestimmungen deutlich rigider. Unabhängig davon sei auch die Klientel in Bernburg schwieriger geworden, sagt Petzke. Die Zahl der Täter mit mehrfachen Abhängigkeiten auch von Drogen, die hirnorganische Auswirkungen haben und die Persönlichkeit verändern, nehme seit Jahren zu.