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Medizin Magdeburger Krebskongress zu Immuntherapien

Mediziner nutzen Tumor-Schwachstellen, um Krebspatienten zu helfen. Immuntherapien sind Thema des 8. Sachsen-Anhaltischen Krebskongresses.

Von Uwe Seidenfaden 17.03.2019, 01:00

Magdeburg l Am 22. und 23. März findet in Magdeburg der 8. Sachsen-Anhaltische Krebskongress statt. Ein thematischer Schwerpunkt der rund 400 teilnehmenden Mediziner und Forscher werden neue Immuntherapien sein.

Als vor 175 Jahren der Berliner Pathologe Rudolf Virchow das Blut eines schwerkranken Anämie-Patienten unter dem Mikroskop betrachtete, fiel ihm die große Zahl weißer Blutkörperchen auf. Er nannte es „Weißes Blut“ und hoffte, mit dieser „nicht unwichtigen Tatsache, der Wissenschaft geholfen zu haben“. Heute sprechen Mediziner von Blutkrebs bzw. Leukämien oder allgemeiner von „Tumorerkrankungen des Blutbildenden Systems“.

Welche Veränderungen im Körper zu Leukämien führen, haben Forscher erst vor wenigen Jahren und Jahrzehnten entdeckt. Von Bedeutung sind das Knochenmark, sogenannte Stammzellen und Gen-Veränderungen (Mutationen) in den Zell-Chromosomen. Jüngste Forschungsergebnisse führten zu neuen Therapien, die Mediziner als „bahnbrechend“ bezeichnen. Was das konkret bedeutet, ist bei einem Besuch in der Magdeburger Universitätsklinik für Hämatologie und Onkologie zu erahnen.

Untergebracht ist die Klinik in einem Plattenbau aus DDR-Zeiten auf dem Medizinischen Uni-Campus zwischen Leipziger Chaussee und Brenneckestraße. In unmittelbarer Nachbarschaft zu den Labormedizinern, den Strahlentherapeuten und unweit der Blutspenderbank werden hier Jahr für Jahr rund 50 bis 60 Leukämie-Patienten nach den Therapieempfehlungen (Leitlinien) der Fachgesellschaften behandelt.

Klinikdirektor ist seit zehn Jahren Professor Thomas Fischer. „Die Therapie der Blutkrebserkrankungen ist in den vergangenen Jahren immer vielfältiger geworden“, sagt er. „Viele Patienten können bei guter Lebensqualität überleben“. Worauf gründet sich dieser Optimismus des Experten? Auf der Suche nach Antworten lohnt es, bei den Besonderheiten von Leukämien zu beginnen.

Blutkrebs ist kein Tumor, den die Chirurgen wie Brust-, Prostata- oder Darmkrebs aus dem Körper herausschneiden können. Blutkrebs ist von Beginn an systemisch, wie die Mediziner sagen. Das heißt, die sich unkontrolliert vermehrenden (bösartigen) Zellen verbreiten sich über die Blut- und Lymphbahnen im ganzen Körper. Abhängig von den genetischen Veränderungen in den Zellen des blutbildenden Systems können die ersten, meist noch unspezifischen Symptome bereits sehr früh (akut) oder aber erst spät (chronisch) auftreten. Bis Mitte des vorigen Jahrhunderts kannten die Ärzte keine wirksame Behandlung von Blutkrebserkrankungen.

Erste Fortschritte versprachen ab den 1950er Jahren Medikamente (Zytostatika), die alle Zellneubildungen verhinderten. Allerdings sind Chemotherapien eine „Massenvernichtungswaffe“, die nicht nur einen Großteil der Tumorzellen zerstören, sondern auch die meisten Blut-, Haar- und diverse Schleimhautzellen. Die Folge für Patienten sind teils schwere Nebenwirkungen. Außerdem kann ein Teil der Krebszellen diesen Großangriff überleben. Allein führten die Chemotherapien nur zu geringen Lebensverlängerungen bei Blutkrebserkrankungen.

Doch seit den 1960er Jahren lernten Forscher zunehmend besser zu verstehen, wie der menschliche Körper die verschiedenen Blutbestandteile bildet und was dabei manchmal schiefläuft. Die Forschungen ebneten den Weg zu sogenannten Blutstammzell-Transplantationen. Diese Therapie ähnelt dem Zwangsneustart eines defekten Computers. Vor Beginn einer Chemotherapie wird eine Art „Back-up“ des Betriebs- (Immun-)Systems erstellt. Das geschieht entweder aus gesunden, körpereigenen Immunzellen des Patienten (autolog) oder – was inzwischen immer häufiger in Kliniken praktiziert wird – aus Stammzellen des sogenannten peripheren Blutes von Fremdspendern (allogen).

Den passenden Spender außerhalb der Familie zu finden, war bislang ein Problem, denn „die Chancen liegen nur zwischen eins zu zehntausend bis eins zu zehn Millionen“, so der Transfusionsmediziner und Direktor des Magdeburger Uni-Instituts für Transfusionsmedizin und Immunhämatologie mit Blutbank Prof. Hans-Gert Heuft. Umso wichtiger ist es, dass sich möglichst viele gesunde Menschen in einer Spenderdatei (z.B. in der Knochenmarkspenderdatei des Universitätsklinikums Magdeburg) registrieren.

1995, als der Magdeburger Schüler Nico Siedeck an Blutkrebs erkrankte und dringend einen Stammzellspender suchte, initiierte der damalige Magdeburger Blutbankleiter Professor Marcell Heim einen der ersten großen Medienaufrufe, an dem sich auch die Volksstimme beteiligte. Damals ließen sich mehrere zehntausend Menschen als mögliche Spender testen und in dem deutsche Zentralregister registrieren.

Das Register ist heute Teil eines weltweiten Netzes, das inzwischen die Blutkenndaten von über 34 Millionen Menschen beinhaltet. So konnte bereits über zehntausend Krebskranken mit einer Blutstammzellspende geholfen werden. „Allein in Magdeburg können wir so alljährlich zwischen 20 und 40 Blutkrebspatienten mit einer Fremd-Stammzellspende helfen, wieder ein weitgehend normales Leben zu führen“, ergänzt Professor Fischer.

Dabei zeigt er Fotos von ehemaligen Patienten: Darunter glücklichen Familienvätern und -Müttern, die mit ihren Kindern spielen sowie Menschen, in der Mitte des Lebens, die in der weiten Welt unterwegs sind. Es sind viele gute Geschichten.

Allerdings sollten sie nicht darüber hinwegtäuschen, dass Blutkrebserkrankungen noch immer lebensgefährliche Erkrankungen sind, die nicht alle Patienten überleben. Bekannte Opfer sind unter anderem die Schauspielerin Witta Pohl, der Ex-FDP-Generalsekretär und Außenminister Guido Westerwelle, die Ehefrau des früheren sowjetischen Staats- und Parteichefs Raissa Gorbatschowa und der Microsoft Mitgründer Paul Allen. Insbesondere ältere Menschen und Patienten mit anderen Begleiterkrankungen sind oftmals für die Hochdosis-Chemotherapien und Blutstammzell-Transfusionen nicht geeignet.

Für sie gibt es Hoffnung durch die moderne Forschung. Ein erster Schritt war die Immun-Therapie einer chronischen Blutkrebserkrankung – der sogenannten CML (chronisch myeloischen Leukämie). In den 1980er Jahren gelang es Forschern aus den USA und Europa, die molekulargenetische Ursache der CML aufzuklären.

Darauf aufbauend war es Ende des 20. Jahrhunderts einem internationalen Team um den Schweizer Pharmakologen Jürg Zimmermann vom Unternehmen Ciba-Geigy möglich, ein Molekül zu synthetisieren, das die Vermehrung der Krebszellen blockiert. Das Ergebnis war sogar für abgeklärte Schulmediziner geradezu revolutionär: Krebspatienten, denen erfahrene Fachärzte nur noch wenige Wochen gaben, überlebten plötzlich viele Jahre.

Das war der Beginn für Fortschritte auch auf anderen Gebieten von Blutkrebserkrankungen wie der akuten myeloischen Leukämie (AML). Die Zahl der Präzisionstherapien für die Tumorerkrankungen wächst derzeit sehr schnell an, so dass der Optimismus vor dem nächsten Krebskongress Sachsen-Anhalts durchaus angebracht ist.